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Patrick Rüther "Reden wir über Geld"

Patrick Rüther im Interview: »Wenn man immer Schiss hat vor falschen Entscheidungen, fällt man auch keine richtigen.«

Über Geld spricht man nicht? Meistens zumindest. Oder nur hinter vorgehaltener Hand. Mit unserer neuen Interview-Serie drehen wir den Spieß um und beleuchten, wie Gastronomen in der Praxis mit Zahlen umgehen. Den Auftakt macht der Hamburger Bullerei-Mitbetreiber und Vollblut-Gastronom Patrick Rüther.

»Das Leben lässt sich eben nicht planen oder in Businesspläne pressen.«

— Patrick Rüther

Bullerei, Altes Mädchen, Überquell Brauerei. Das sind nur einige der Läden, bei denen Patrick Rüther die Hände im Spiel hatte oder hat. Dabei ist der 45-jährige Hamburger eigentlich studierter Jurist. Aber irgendwie kickte ihn das Gastro-Leben mehr. 2003 rief er nach seinem zweiten Staatsexamen den Hamburg City Beach Club ins Leben. Mit TV-Koch Tim Mälzer gründete er 2009 die Bullerei in den Schanzenhöfen, es folgten das Restaurant Hausmann’s am Frankfurter Flughafen und eine weitere Filiale in Düsseldorf.

Patrick Rüther ist zudem Mitinhaber der Agentur Tellerrand Consulting, die ihn bei der Bewältigung des gastronomischen Behördenwahnsinns unterstützt und auch andere Läden berät. Er gehört außerdem zum Gründungsteam des Braugasthauses Altes Mädchen und leitet seit seinem Ausstieg dort gemeinsam mit Axel Ohm die Überquell Brauwerkstätten in den denkmalgeschützten Riverkasematten am Hamburger Fischmarkt. 2019 wurde er vom Rolling Pin zum Gastronom des Jahres gekürt. Viel Ehre, viel Fleiß. Und wie steht es mit dem Preis dafür? Wir wollen über Geld sprechen.

MIXOLOGY: Patrick, erste Frage an einen Vollblut- und Viel-Unternehmer: Was motiviert Dich am meisten in Deinem Job, und welche Rolle spielt Geld in diesem Kontext?

Patrick Rüther: Ich lerne viele unterschiedliche, tolle Leute kennen in den vielen Tätigkeiten, die ich ausübe. Ich kann mich dabei so einbringen, wie ich bin, mit meinem Interesse für Kunst, Street Art, Musik, Design. Alles Dinge, die mich inspirieren und großen Spaß machen, weil es immer wieder neu ist. Welche Rolle spielt Geld dabei? Grundsätzlich bis zu dem Punkt, an dem man keine Verluste macht, nicht in seiner Existenz bedroht ist und die Grundbedürfnisse der Familie und von einem selbst befriedigt sind, bis dahin spielt es eine große Rolle. Alles andere wäre gelogen. Aber wenn man an diesem Punkt ist, verliert Geld als Glücksfaktor an Bedeutung.

MIXOLOGY: Du bist geschäftsmäßig gleich an mehreren Fronten unterwegs. Langt nicht eine Baustelle? Ein Laden? Ein Unternehmen?

Patrick Rüther: Nein. Es gibt so viele neue, spannende Sachen auf der Welt, auch in dem kleinen Kosmos Gastronomie. Ich bin kein Spezialist. Ich bin ein Generalist.

MIXOLOGY: Aber jede Baustelle für sich bedeutet ein neues finanzielles Risiko, oder? Beunruhigt Dich das nicht manchmal?

Patrick Rüther: Sicherlich beunruhigt mich das in gewissen Situationen. Nur ein gut laufendes Unternehmen zu haben, das wäre aus finanzieller Sicht vernünftig. Da hätte der Beach Club oder die Bullerei schon gereicht. Aber in diesem Fall hätte ich mich persönlich nicht weiter entwickelt.

MIXOLOGY: Du bist also eher der Risiko-Typ, wenn es um  das Geld geht?

Patrick Rüther: Ja. Und spätestens in Düsseldorf hat sich gezeigt, dass das Risiko in diesem Geschäft dann auch nicht klein ist.

»Risikovermeidung auf allen Ebenen ist sicherlich keine Basis für Innovationen.«

MIXOLOGY: Du sprichst von dem Hausmanns’s in Düsseldorf. Nach knapp vier Jahren habt ihr Anfang diesen Jahres die Reißleine ziehen müssen und den Standort geschlossen.

Patrick Rüther: Genau. Das war drastisch. Hier haben wir viel zu spät reagiert. Da haben wir enorm hohe Summen verloren.

MIXOLOGY: Bei Gründungen kommen ohnehin schnell große Summen zusammen, gerade wenn man mit besonderen Gastro-Konzepten und hochwertigen Lebensmitteln arbeitet. Ist das manchmal gruselig?

Patrick Rüther: Zahlen sind gruselig in dem Moment, wo du bei der Bank sitzt und unterschreibst. Alle Läden haben wir privat verbürgt. Mein Gehalt speist sich aus den Gewinnen, die am Ende übrig bleiben. Wenn du aber eineinhalb Jahre keine Gewinne oder sogar Verluste gemacht hast, wenn du dich privat verbürgst über Millionen, was das bedeutet, ist dir in dem Moment, in dem du die Unterschrift leistet, absolut bewusst.

Bei dem Gedanken läuft es dir kalt den Rücken runter, spätestens beim Notar ist das bei mir der Fall. Nur, wenn du im täglichen Geschäft immer daran denken würdest, wärest du extremst eingeschränkt in deinen unternehmerischen Entscheidungen. Risikovermeidung auf allen Ebenen ist sicherlich keine Basis für Innovationen. Mit dieser Prämisse gäbe es heute keine Bullerei. Denn mal ehrlich: Diese Idee war damals Harakiri.

Tim hatte kein aktuelles Kochbuch am Start, wie sich die Schanze als Viertel entwickelt, wusste man auch nicht. Sich in dieser Situation die große Halle mit zwei Restauranteinheiten ans Bein zu binden, war ein irrwitziges Unterfangen. Rational betrachtet. Das hätte krachend scheitern können. Das hätte kein vernünftiger Mensch gemacht. Das Leben lässt sich eben nicht planen oder in Businesspläne pressen.

»Gerade, wenn du zum ersten Mal gründest, solltest du dir bewusst sein, dass du total verliebt sein wirst in dein Konzept und nicht merken wirst, wann du den Stecker ziehen solltest.«

MIXOLOGY: Hast Du ein Gefühl für Zahlen?

Patrick Rüther: Ich habe kein großes Verhältnis zu Zahlen, Mathe war mein schlechtestes Fach. Aber ich habe ein Gefühl für Zahlen entwickelt und kann damit umgehen. Es gibt andere, die können das besser. Deshalb haben wir auch die Tellerrand Consulting gegründet. Da arbeiten unter anderem auch Menschen, die sich grundsätzlich mit Zahlen auskennen. Und das ist gut und wichtig. Abstraktes Reden über Zahlen geht mir trotzdem auf den Keks. Wenn ich mich mit Fachleuten über den Businessplan unterhalte, sind die Kosten klar aufgelistet. Schön. Wenn ich dann später im laufenden Betrieb feststelle, dass sich beispielsweise durch teurere Schürzen oder Personalfeiern die Betriebskosten erhöhen, dann ist das eben so. Businesspläne dürfen kein Korsett sein. Jedenfalls nicht bei der Form von Gastronomie, wie wir sie betreiben. Das ist ein Organismus, der sich entwickelt, der sich auch entwickeln muss.

MIXOLOGY: Aber es lohnt sich schon, seine Bilanzen im Blick zu haben, oder?

Patrick Rüther: Natürlich musst du dir Gedanken um Geld machen. Du musst dir darüber klar sein, dass du mit dem Geld anderer Menschen oder dem deiner Familie handelst. Ich will ja auch kein kopfloses Chaotentum predigen. Die Basis muss stimmen. Gerade, wenn du zum ersten Mal gründest, solltest du dir bewusst sein, dass du total verliebt sein wirst in dein Konzept, und da so viel Blut, Schweiß und Tränen reinstecken wirst, dass du nicht merken wirst, wann du den Stecker ziehen solltest. Und natürlich brauchst du da nackte, nüchterne Zahlen, die dir zeigen, wie es laufen sollte. Aber Bilanzen dürfen kein Selbstzweck sein. Das wäre dann eine Gefahr, zumindest für die Art von emotionaler Gastronomie, wie wir sie betreiben.

»Zum Erfolg gehört eben auch ein wenig Glück. Die Welt ist komplex. Die Wahrscheinlichkeit, dass etwas schief geht, ist nur weniger hoch, wenn du deine Zahlen im Griff hast.«

MIXOLOGY: Gibt es eine Grenze, die Du in Sachen Invest nicht überschreiten würdest?

Patrick Rüther: Zahlen sind relativ, es macht keinen Sinn, sie zu beziffern. Im Prinzip geht das Geschäft so: Du musst schauen, dass Du ein paar mehr richtige als falsche finanzielle Entscheidungen getroffen hast. Düsseldorf war katastrophal. Millionenverluste, viel zu spät die Reißleine gezogen. Der Laden war schön, brachte alles mit. Aber er hat uns in allem bedroht, was wir hatten. Alles, was wir zu der Zeit an Gewinnen in der Bullerei und in Frankfurt gemacht haben, floss da rein. Das ist jetzt alles weg. Punkt. Aber es stimmt eben auch, dass wir Wahnsinns-Umsätze in der Bullerei haben. Übersetzt heißt das: Man muss sich von Summen trennen.

Es gehört dazu, dass du als Unternehmer mal auf die Fresse fällst und dabei Geld verlierst. Man sollte eben immer die Chance darauf haben, das Geld wieder reinzubekommen. Wenn sich ein 55-jähriger Arbeitsloser einen Laden für 100.000 Euro ans Bein bindet, ist das unendlich viel mutiger als wenn Tim und ich uns für 2 Millionen verschulden. Du musst das immer ins Verhältnis setzen. Unsere Grenze erreichten wir in Sachen Fernsehturm in Hamburg. Wir bewerben uns gerade mit einem Partner um die Gastro dort, weil das ein Investment von mehreren Millionen ist, das wir nicht alleine stemmen wollen und können.

MIXOLOGY: Stichwort Partnerschaft: Freundschaft und Geschäftspartner, geht das überhaupt?

Patrick Rüther: Ich habe mit Axel Ohm und Tim Mälzer Partner, die ähnlich ticken wie ich. Wir sind uns in weiten Teilen einig, dass es nicht nur um Geld geht, sondern um mehr. Im Grunde ist es wie in einer Ehe: Eine Partnerschaft braucht Vertrauen und Toleranz. Ich muss nicht jede Bestellung kontrollieren und umgekehrt. Wir haben festgestellt, dass dieses Denken für uns am besten funktioniert. Manchmal führen uns unvernünftige und teure Entscheidungen auch zu Ergebnissen, die zu mehr Gewinn führen. Kalkulierbar ist das aber nicht, es bleibt immer ein Restrisiko, das wir teilen. Wir sind nicht zahlengetrieben, haben aber die Einsicht, dass wir Leute brauchen, die die Finanzen im Blick haben. Die Basis muss stimmen, im finanziellen wie im persönlichen Bereich. Der Horizont muss offen bleiben.

»Wenn du immer Schiss hast vor falschen Entscheidungen, die Geld kosten könnten, fällst du auch keine richtigen.«

MIXOLOGY: Horizont hin oder her: Am Anfang muss jeder Gründer, sei es Bar oder Gastronomie, seine Hausaufgaben machen, oder?

Patrick Rüther: Ja, das wäre empfehlenswert. Aber zum Erfolg gehört eben auch ein wenig Glück. Die Welt ist komplex. Die Wahrscheinlichkeit, dass etwas schief geht, ist nur weniger hoch, wenn du deine Zahlen im Griff hast. Meiner Erfahrung nach gehen viele blauäugig in eine Gründung rein. Alle, mit denen ich bisher sprach, haben die Kosten unterschätzt: Bauphase, Steuersystem, Regulierungsdruck, Brandschutz, Datenschutz, Sicherheits- und Arbeitsschutz, Dokumentationspflicht. Das kostet. Geld – und Zeit. Und Zeit ist bekanntlich Geld.

MIXOLOGY: Hartes Geschäft, das dann doch nicht ohne Risiko funktioniert …

Patrick Rüther: Wenn du immer Schiss hast vor falschen Entscheidungen, die Geld kosten könnten, fällst du auch keine richtigen. Vorsichtige, risikovermeidende Typen sollten nie was mit Gastro machen. Die sollten nicht mal dieses Interview lesen. Das ist keine tolle Branche für diese Leute.

MIXOLOGY: Abschließend: Geld macht …

Patrick Rüther: … bis zu einem gewissen Grad freier bei wagemutigen und ungewöhnlichen Entscheidungen. Und es macht auf keinen Fall von alleine glücklich.

Credits

Foto: ©Henning Heide

Link: https://bullerei.com/

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