TOP

Der Hexenmeister: Anders Sandberg

Bei Anders Sandberg im Stockholmer Pharmarium sitzt der Gast nicht einfach am Tresen. Sandbergs Apothekenbar entführt ihre Besucher in eine entrückte, entgrenzte und retro-exotische Welt voll fremder Gerüche. Der Meister der Aromen will keine Getränke an den Mann bringen, sondern aufzeigen, welch sinnliche Reisen in vermeintlich Altbekanntem schlummern. Pia Volk hat ihn besucht.
Anders Sandberg mixt keine Drinks, er braut Elixiere. Mit seiner schwarze Brille und der Pomade im Haar erweckt er den Eindruck, aus der Zeit gefallen zu sein. Ganz wie der Raum, in dem er steht. Allerdings stammen beide aus unterschiedlichen Jahrhunderten.
Hinter Sandberg, in den Regalen vor der dunkel vertäfelten Wand, reihen sich braune Glasflakons aneinander. In der Sitzecke gegenüber hängen Wandteppiche und stehen Sofas, in deren Kissenpyramiden man versinken kann. Es fehlt nur noch die Opiumpfeife.
Entdeckungsreise in die Kolonialzeit
In Sandbergs Bar fühlt man sich wie mitten im Kolonialismus, dem Zeitalter der Entdeckungen und Weltumseglungen, als Forscher von ihren Reisen pulverisiertes Nashornhorn mitbrachten. Es sind die Zeiten der Herrensalons, von Oscar Wilde und dem Orientexpress. Der Bartender hält ein Kraut in der Hand.
„Majoran, ein vollkommen unterschätztes Gewürz“, sagt er. Leicht minzig riecht es, mit einem Hauch Oregano, herb und gleichzeitig blumig. Zusammen mit Erdbeeren, Gurken, Gin, Iriswurzel und Kräuterlikör entsteht ein Cocktail, der einen auf eine geschmackliche Entdeckungsreise schickt.
Sandberg arbeitet als Barmanager im Pharmarium. Die Bar ist dort, wo 1575 Schwedens erste Apotheke stand. Zu jener Zeit brachten schwedische Seeleute den ersten Arrak aus Asien mit. Daraus mixten sie ein Gebräu, das sie Punsch nannten.
Früher hat man ihn meist warm und zusammen mit Erbsensuppe zu sich genommen, heute trinkt man ihn je nach Anlass aber auch kalt. Ein typisch schwedisches Getränk, findet Sandberg. Neben Vodka. „Ich mag Purity Vodka sehr“, betont er und schenkt einen Schluck ein.
Er ist weich und würzig, erfrischend und kühl. Neben Anis und Lakritz bringt er einen Hauch von Vanille mit. Sandberg liebt es, wenn sich die Gewürze auf der Zunge auffächern.
Nostalgie und Tinkturen
„Die Apotheke basierte früher nur auf Wurzeln und Kräutern“, erzählt er „und meine Idee ist, immer das zu verwenden, was gerade in einer bestimmten Jahreszeit wächst.“ Wie eine alte Hexenküche führt Sandberg seine Bar. Im Frühling zieht er zum Beispiel los und schneidet Flieder.
Er blüht ja überall in der Stadt. Daraus kocht er Sirup. „Der Geruch erinnert viele an ihre Kindheit. Sie werden nostalgisch, fangen an, von damals zu reden und manche merken nicht einmal, dass es ihr Getränk war, das diese Erinnerungsmaschine angeworfen hat.“
Der Hexenmeister mit den offenen Augen
Sandberg findet seine Inspiration überall. Auf dem Markt, im Duty-Free-Laden, auf Spaziergängen. Er schnuppert an Blumen, Parfums, Blättern, sammelt Wurzeln, Pflanzen, Früchte, Blüten. Überall riecht es anders, und Sandberg versucht, den Geruch in Geschmack zu übersetzen.
Seine Bar ist sein kleines Sinneslabor. Er beginnt mit kleinen Experimenten, kombiniert ein Kraut mit einem Likör, findet es widerwärtig, startet von vorne, es wird besser, bis er beim perfekten Geschmack angekommen ist. „Ich mag es besonders, seltsame Dinge zusammenzubringen, von denen man nicht denken würde, dass sie zusammen passen.“
Goldstaub und Ringelblumen zum Beispiel. Dazu Lavendel, Vanille, ein paar Kräuter aus dem Garten, Vodka und Champagner. Heraus kommt Sandbergs beliebteste Kreation, der „Roses of Gold“. Er schmeckt blumig und zugleich würzig, mit einer Note von Apfel.
Die Vermessung der Sinneswelt
Aber Goldstaub? „Trinken ist nicht nur runterschlucken und schauen, was passiert“, meint Sandberg, „Man spürt die Textur auf der Zunge, nimmt den Geschmack auf, der Geruch steigt in die Nase und das Gehirn setzt alles zu einer einmaligen Erfahrung zusammen.“
Es ist eine Sache, einen Drink an die Lippen zu bekommen, aber eine andere, ihn wirklich zu erfassen, mit allen Sinnen zu genießen. Ein reiner Geschmack eröffnet multiple Dimensionen. Sandberg serviert nicht nur Goldstaub. Auch Cocktails, die mit Birkenrauch obenauf gereicht werden.
„Es ist die Neugierde der Besucher, die mich antreibt. Wenn sie nicht so offen wären, hätte ich gar nicht die Freiheit, diese Cocktails zu mixen“, sagt Sandberg.
Sandbergs Gäste sind neugierig. Sie nehmen einen neuen Geruch wahr, oder einen ungewohnten Geschmack und wollen herausfinden, was es ist. Überlegen dies, diskutieren das. Sandberg gibt seinen Kunden Rätsel auf, sie können sich auf die Suche nach dem Geheimnis begeben.
In gewisser Weise ist er die zeitgenössische Version eines antiquierten Apothekers. Apotheken waren früher auch Fenster in die Welt.
Vom Aberglauben zur Bar
Es gab seltsame Dinge, von denen die Menschen noch nicht gehört hatten. All die Apothekengläschen waren gefüllt mir Gerüchen, die die Menschen noch nie erlebt hatten. Es gab pulverisierte Edelsteine, Elfenbein, Lederbeutel mit seltsamen Flüssigkeiten.
Mixturen bestanden aus Morgentau, der nach dem zweiten Vollmond im Juni gesammelt wurde. „Früher dachte man, Verbena helfe gegen Vampire und steckte es in einen Brustbeutel. Heute landet es in meinem Cocktail“, die ja eigentlich Elixiere sind.
 
 

Credits

Foto: Manfred Klimek

Kommentieren