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Über die Hutschnur oder auf die Palme?

Mit der Bar Zentral und The Hat Bar machen gleich zwei neue, sehr unterschiedliche Barprojekte die neu erstrahlende Berliner City-West unsicher.  Die kurzen Wege der neuen Nachbarschaft am Bahnhof Zoo hat Peter Eichhorn ausgenutzt, um beiden einen Besuch abzustatten. Ein Bericht über alte Bekannte, feine Drinks, eigenwillige Old Fashioneds, viel Musik und die Symbiose zweier Bars.

Nein, nein. Es geht heute nicht um Ärgernisse, Empörung oder Dampf ablassen. Eher um Bars als Inseln der Entspannung. Erst weist uns eine Palme den Weg an den Tresen der Bar Zentral, dann geht es weiter mit musikalischen Kopfbedeckungen und Getränkeakkorden in der The Hat Bar.

Mehr und mehr Neues im Westen

Viel neues in Berlins City-West. Nach der Wiedervereinigung lange von Investoren, Touristen und Veranstaltern vernachlässigt und unterschätzt, erlebt Charlottenburg derzeit ein grandioses Comeback zwischen Bahnhof Zoo und Kurfürstendamm. An der Kantstraße durchschneidet die alte Stadtbahntrasse von 1882 die Gebäudeensembles mit Neuem Kranzler Eck und Theater des Westens. Oben rauschen die Züge entlang, darunter, in den Bögen, gibt es nun anstelle von Damenmode und Badezimmerbedarf lieber Cocktails und Jazz.

Werfen wir zunächst einen Blick in die Bar Zentral. Wer hinter der Palme der Bar Zentral polynesische Gottheiten und Hawaii-Hemden zu Tiki-Drinks erwartet, sieht sich enttäuscht. Klassisch und gediegen geht es zu. Ein langer Tresen durchzieht den Raum mit der Backsteinoptik, illuminiert von markanten Lampen und Beleuchtungselementen. Unter der Decke kreisen langsam die Ventilatoren.

Sehr geschmackvoll bildet das anthrazit-schwarze Schrank-Rückbuffet den Kontrast zum hellen Holz des Tresens, dessen Farbe wiederum die Decke aufgreift. Knapp 20 Barhocker bieten Platz für Gäste entlang des Tresens, dazu kommen am Eingang noch wenige Tische und kleine, intime Sitznischen an der Wand. Kein Schnickschnack, der überdekoriert ablenken würde vom Wesentlichen. Was ist das Wesentliche? Mein Drink und meine Begleitung. Punkt. Vielleicht ist die Reihenfolge falsch gewählt, aber dies ist ja schließlich ein Medium für Cocktailkultur.

Leb wohl, Schöneberg. Jetzt gibts Theater im Westen.

Der Weg führt vorbei am schönen Delphi-Kino und am mondänen Theater des Westens, dann macht man einen Schlenker um das Sausalitos und gelangt zu dem Bogen Nr. 551. Hinter dem Tresen erwarten zwei vertraute Gestalten ihre Gäste. Torsten Bender und Sebastian Mathow sind zahlreichen Berliner Barflys aus ihrer langjährigen Tätigkeit in der Green Door Bar in Schöneberg vertraut. Souverän, zuvorkommend, kultiviert. So kennt man sie und so verwirklichen sie ihr neues und eigenes Barprojekt. Aber zu später Stunde darf es sicher auch einmal schräg und exzentrisch werden, wenn man alte Green-Door-Zeiten schmunzelnd vor Augen hat.

Schön aber, dass endlich eine Bar auch die frühen Stunden würdigt und bereits ab 17 Uhr die Pforten öffnet. Wie beneidet der Berliner doch zuweilen die südliche Barkultur in Zürich, Wien oder München, wo ein After-Work oder Before-Dinner Drink zum Alltag gehören. Viel zu oft wird der Berliner erst ab 20 Uhr bemixt und die Aperitif-Kultur arg vernachlässigt.

Die schlichte Karte widmet sich klassischen Drinkidealen, ohne dabei langweilig zu sein. Drei-Komponenten-Drinks prägen das Menü. Köstlich und gar nicht trist: Tristesse Royal mit Cognac, D.O.M. Bénédictine, rotem Wermut und Absinth. Oder ein Boulevardier 1934 mit Rye Whiskey, Dubonnet Rouge, Absinth, Chocolate Bitters und Amaro.

Wir Bartender vom Bahnhof Zoo

Um die 11 Euro sind die Preise für die Drinks, die man im hinteren Teil der Bar auch vor Palmen genießen kann, die dort die Wand zieren. Da der Tresen so lang ist, fühlt man sich hier entweder etwas ab vom Bar-Geschehen oder genießt den Rückzugsbereich. Zumindest bis eine lustige Truppe von Plattenauflegern eher unbeholfen eine gigantische Musikanlage dort aufbaut, um anschließend mit ihrer Beschallung die Gespräche zu beeinträchtigen. Aber es wird noch nachjustiert. Einiges muss und darf sich noch finden. Raumausstattung und Beleuchtung sind noch nicht fertig. Es ist gut, wenn eine Bar organisch wächst und sich mit den Betreibern und den Gästen entwickelt und anpasst. Dominante Themenkonzepte, die den Gast eher unterordnen, haben wir in Berlin derzeit genug. Eine erwachsene Bar für ein entspanntes, womöglich kultiviertes Publikum – wie Victoria Bar, Windhorst Bar oder Becketts Kopf – darf es ruhig noch mehr geben.

Die Bar Zentral ist ein realer Raum und zugleich ein Raum der Phantasie. Eine imaginäre Insel. So wie die Insel „Stella Island“ des Künstlers Flavio de Marco, dessen Bilder und Reiseführer ein Eiland im Ägäischen Meer behandeln, das es real nicht gibt. Der Künstler schuf nicht nur die Palmenoptik der Bar, er mixt zuweilen auch die Drinks. Sehr gute Drinks, übrigens.

Nur die Beschallung hat sich merkwürdig gewandelt mit den obskuren Gestalten am südlichen Ende des Tresens. Wenn schon Musik, dann live, denkt sich der Berichterstatter, um einen Bogen – und somit eine Bar – weiter zu ziehen.

It dont mean a thing, if it aint got that swing!

The Hat Bar. Irgendwie ist es schon merkwürdig, wenn ein Vermieter – in diesem Fall die Bahn – zwei benachbarte Bögen beinahe gleichzeitig an zwei Bars vermietet. Gut nur, dass die Konzepte so unterschiedlich sind, dass eine sympathische Nachbarschaft für ein feines Miteinander sorgt. Atmosphäre, Idee und Drinks sind derart unterschiedlich, dass man beide Orte gar nicht miteinander vergleichen muss. Man darf sie einfach beide genießen. Jeden auf seine Weise.

Das Konzept der The Hat Bar stammt ursprünglich aus St. Petersburg, erinnert aber sehr stark an New York. Vielleicht in den 1940ern. Auch hier kreisen langsam die Ventilatoren unter der Gewölbedecke aus nacktem Backstein. Eine schwarz-weiße Fotogalerie mit Jazz-Motiven ziert den hinteren Bereich. Piano und Schlagzeug stehen schon bereit. Täglich ab 22 Uhr füllt sich die kleine Bühne und begabte Talente sowie erfahrene Jazzer geben sich ein Stelldichein. Dazu gibt es Drinks. Tafeln über dem Backboard verkünden Bier, Longdrinks und Spirituosen. „Tiny & Rocks 4 oz. 7,50 – 9,50“ steht dort zu lesen. Unzen als Maßeinheit betonen noch das US-Flair. Dazu ein schöner Tresen aus rötlichem Holz. Er weist diese leicht abgerundete Vertiefung auf, in die sich die Ellenbogen so geschmeidig einpassen. In den Vereinigten Staaten ist diese Konstruktion nicht selten, hierzulande eher rar. Gibt es für diese Tresenform eigentlich einen Fachbegriff?

All that Jazz: I know a whoopee spot.

Where the gin is cold. But the piano’s hot!“ How ist the Bartend? „Die Karte bin ich“, tut der Barmann kund. Soso. Dann prüfen wir doch, wie ihm der Old Fashioned gelingt. Irgendwie verlangt dieser Raum nach Bourbon und Rye. Ein schönes Sortiment an American Whiskey ist zu sehen, darunter erstaunliche vier Sorten Corn Whiskey. Immerhin erfolgt die Rückfrage nach dem Wunsch-Destillat und ob eher eine süße oder nicht so süße Ausprägung gewünscht ist. Die Wahl fällt auf Knob Creek. Danach beginnt ein merkwürdiges Zeremoniell mit erstaunlichem Ergebnis. Ausgiebig wird ein bräunlicher Zucker gemuddelt, bis er weiss ist. Whiskey und Bitters kommen obenauf, dazu anschließend zwei kleine Eiswürfel. Bitte sehr. Auf Nachfrage wird ein Holzspieß zum Umrühren gereicht. Die Zubereitung ist ungewöhnlich, das Ergebnis aber durchaus schmackhaft. Passt zum trockenen Anschlag des Schlagzeugers.

Der Rest des Tresens vergnügt sich überwiegend mit Gin & Tonic. Scheint ein Trend zu sein. Oder es liegt daran, dass das Ale eines Braukollektivs aus Berlin tatsächlich sehr sauer schmeckt, wie die nächste Bestellung erweist. Immerhin tröstlich ergänzt um die erwähnte Palette Corn Whiskey. Der Sitznachbar blickt mitleidig auf das leere Whiskeyglas und das halb volle, weggeschobene Bierglas. Zu den souveränen Klängen eines dunkelhäutigen Trompeters mit weißem Bart entwickelt sich ein Gespräch über Whiskey, Jazz und Rum und mündet in der Einladung auf einen Drink durch den sympathischen Mann mit der Schiebermütze und dem irischen Akzent.

Ein weiterer Old Fashioned ist fällig. Diesmal von einem zweiten Bartender und mit Noahs Mill zubereitet. Viel zu süß, schade um den guten Whiskey. Aber hey, alles gut. Für großartige Drinks geht man einfach einen Bogen weiter. In der Hat Bar gibt es dafür jede Menge Spaß. Und Jazz.

 

Bar Zentral

Lotte-Lenya-Bogen 551
10623 Berlin

Di-Sa ab 17 Uhr

Cash only // Rauchen gestattet

 

The Hat Bar

Lotte-Lenya-Bogen 550
10623 Berlin

Mo-So 20 Uhr bis open End

Cash only // Rauchen gestattet

Credits

Foto: Mann und Vorhang via Shutterstock. Postproduktion: Tim Klöcker.

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