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Besser als Best – Belfast

Die Spuren des Nordirland-Konflikts sind in Belfast zum Teil noch sichtbar. Die Stadt, in der die Titanic gebaut wurde, hat aber auch ein vitales Nachtleben. Wer hier ausgeht, gerät in Pubs mit Beichtstühlen, Bars mit Käfigen oder einen sehr alten und geschichtsträchtigen Ausschank. Zudem in eine Bar, in der sich wohl auch einer der berühmtesten Söhne der Stadt, George Best, amüsiert hätte. 

Eine Reportage über Irland und Nordirland geht eigentlich immer so: Grüne saftige Wiesen ziehen vorbei. Sie mäandern mit sanft ansteigenden, hügeligen Ausläufern dahin. Ausbruchverdächtige Schafe in trauter Gefräßigkeit dösen neben wiederkäuenden Rindern ohne Wahnsinn. Flache Bauernkaten mit gepflegten Gärten spielen heile Welt und ländliches Idyll. Kaum Wälder; bunte Wildkräuter, Moos, steile Kliffe und wilde Küsten prägen die Landschaft. Vergessen die verheerende Hungersnot aus dem 19. Jahrhundert, fast überwunden die Banken- und Finanzkrise – man will nun noch nicht mal die Milliarden von Apple in Irland. Ciderland. Eine Luft, die zum Schlemmen einlädt, und zum Trinken. Whiskey- und Guinnessdurst bemächtigt sich der Synapsen und beflügelt die Sinne. Daher enden diese Reportagen dann auch meist in Pubs und Bars.

Quirliges Belfast

In Belfast tobte noch bis 1998 der Krieg zwischen Protestanten und Katholiken, zwischen Unionisten und Republikanern – Großbritannien oder Irland. Noch heute sperren sich die Kontrahenten abends gegenseitig hinter hohen Mauern weg. Hass. Tagsüber fotografieren Kalterschauertouristen die cartoonartigen Murals an diesen Mauern und bestaunen die romantisierenden und verkitschten Schlachtenbilder mit den Toten von damals rund um die Shankill und Falls Road.

Nur ein paar Straßen weiter, mit der viktorianischen City Hall als Zentrum, sind schon zu mittags die Pubs gut besucht. In und vor den zahlreichen Cafés und Delis entspannen die Belfaster, auf den Bürgersteigen und in den Fußgängerzonen beherrschen die wimmelnden Menschenmassen mit Schwarmintelligenz die Kunst des Ausweichens. Schilder, die das Rauchen noch fünf Meter vor Gebäuden verbieten und wo kein Alkohol getrunken werden darf. Bürokomplexe, Malls, Restaurants, hippe Barber Shops und schicke Ausgehtempel. EU-Milliarden und Investoren haben schön und schnell gewirkt – Belfast. Fast! In Hauseingängen vor den Banken, in den Hotspots und vor Pubs sind die vielen sehr jungen Obdachlosen zu sehen.

Ein Pub mit Beichtstuhl und eine Revolution

Star der Pubszene ist der Crown Liquor Saloon. Er ist nicht nur ein typischer Pub, er ist eine touristische Sehenswürdigkeit, der aber auch von den Belfastern gern besucht wird. Schon am Eingang ein Kronenmosaik, die Fassade mit den farbigen Fliesen ist beliebtes Fotomotiv. Der Pub, im späten 18. Jahrhundert eröffnet, funkelt im warmen Licht der Buntglasfenster. Mahagoni und Marmor, Gasglühlampen und Holzfässer hinter der Bar erzählen von einer unaufgeregten Mischung aus Tradition und bescheidenem Prunk. Das Besondere sind die kleinen Kabinen, auch Beichtstühle (snugs) genannt. Es sind noch die Glocken zum Nachordern und Metallplatten, um Streichhölzer zu entfachen, vorhanden.

Man kann sich noch die Atmosphäre herbei fantasieren, als beides noch in Betrieb war und die Zeiten weniger an Vollkasko erinnerten, die inzwischen auch die Pubs erfasst haben. Das Publikum besteht zum größten Teil aus Belfastern. Die Trinker an der Bar, die Businessleute in den Beichtstühlen zum Lunch. Gin und Whiskey aus Fässern, aber wirklich in Betrieb sind die unzähligen Zapfhähne, die aussehen wie einarmige Banditen. Die Touristen kommen nur für das Foto und verschwinden dann meist wieder. Besonders süffig um diese Tageszeit ist das Hop House von Guinness, ein stark gehopftes Lager mit zitroniger Frische. Das Barpersonal sieht so aus, als sei es schon von Anfang an dabei und arbeitet mit der internationalsten Sprache, die die Welt kennt: Beinahe stumm werden die Orders abgearbeitet. Was soll man auch sagen nach so langer Zeit und man die Krone aufhat.

Aus der Zeit gefallen scheint auch Belfasts ältester Pub, das Kelly´s Cellars. Düster ruht der Pub in einer kleinen, ruhigen Seitenstraße seit 1720. Es ist der Geburtsort des Aufstandes der United Irishmen gegen Großbritannien. Die Wände sind drapiert mit historischen Fotos, der Gastraum verdichtet das Dasein auf das Wesentliche – trinken und schweigen am Tage, musizieren und rabaukieren am Abend. Eine Kate der Einfachheit und der Ewigkeit. Wer hier nicht an Revolution denkt, der hat sich längst der Bräsigkeit des Bieres ergeben. Der Legende nach haben sich die Anführer der Revolte hinter dem Tresen vor der britischen Polizei versteckt, hier kann man sich wunderbar vor dem Leben und der Hektik verbergen.

Nouvelle Carré

Derartig sediert wird der Barstreuner in Bert´s Jazz Bar im Hotel The Merchant genau richtig empfangen. Wuchtig und opulent brandet der Raum über den Besucher hinweg, als hätte man die Titanic gehoben. Roter Plüsch, rotes Leder und schweres Holz, distinguierte Stille von sanften Jazzklängen in einen Cocoon gehüllt. An der Grenze der Blasiertheit ist diese Bar der Chill-out-Room der Arrivierten. Ein Publikum, das andere nicht mehr braucht, weil man mit sich im Reinen und Lebendigkeit des Teufels ist. Der Daiquiri und der Gin & Tonic sind nicht weiter schlimm. Es ist vielleicht kein guter Abend heute.

Aber es gibt Hoffnung. Saharafarbener Brokat, Kronleuchter und ebenholzfarbener Tresen. Nur einen Eingang weiter und einen Stock höher lockt das Versprechen auf Humanaktivität. In der Tat, in der Cocktailbar im The Merchant sind Stimmen vernehmbar und ein junges, engagiertes Barteam fängt den Gast auf. Aber fängt es ihn auch ein? Auf eine ganz merkwürdige Weise ja. Der junge Bartender ist ein Naturtalent. Offenbar noch nicht lange im Geschäft, oder tagein tagaus mit Mojito- und Caipirinha-Bestellungen traktiert, macht er keine Anstalten, vor der eigenen Unwissenheit zu kapitulieren. Entgegen der erwartbaren digitalen Demenz, die ja bereits viele Menschen seiner Generation erfasst hat, zieht er ein Barbuch zu Rate und vertieft sich in die Lektüre. Nach einer titanischen Ewigkeit, aber noch vor der Sperrstunde, serviert er einen Vieux Carré, dessen Aromatik und Sensorik, dessen Balance und Temperatur großartig sind. Er gesteht, zuvor noch nie etwas von diesem Klassiker gehört zu haben. Nouvelle Carré.

Eine Bar wie George Best

Ab aufs Dach. Oder eher durch die Decke. Durch die jedenfalls geht das The Perch. Hier trifft sich das meist begüterte, jüngere Belfast. Aber das Publikum ist heterogen. Asiaten, Amerikaner, Hippies, Hipster mischen sich unter die Anzug-Boys. Die Ladies sind meist blondiert, die Frisuren gezüchtigt und windgebändigt verzopft.

The Perch heißt ja treffend so etwas wie Hühnerstange. Über dem viereckigen Tresen hängen daher Käfige, die Menschen hier kommen aus einem goldenen. Aber der Spott findet schnell sein Ende durch das Können und Handwerk der Barcrew. Eine Hierarchie ist nicht erkennbar. Es wirkt beinahe so, als mache sich der Service seine Drinks selbst. Jedenfalls sind die Mixstationen immer wieder neu besetzt. Die großzügige Terrasse füllt sich schnell, die Stimmung atmet den kommenden Exzess. Die Drinks fliegen über den Bartresen. Dass man hier Gutes zu erwarten hat, zeigt sich an den Orders. Statt Bier oder Wein sind die Boston-Shaker im Dauerbetrieb. In der Tat, der Tequila Old Fashioned wird perfekt abgerundet mit einem Tropfen Schokoladen Bitters, der Sazerac wird auf Nachfrage souverän abgestimmt auf die Vorliebe des Wollenden. Dazu wird Wasser gereicht. Die Bartender sind freundlich und halten auch im Hochbetrieb Blickkontakt mit dem Gast. Da fliegt das Genussherz und versteigt sich in ungeahnte Höhen und erklimmt die Erinnerung an einen der berühmtesten Belfaster, an den großen Fußballer und Trinker George Best. Der Flughafen ist nach ihm benannt und zu seiner Beerdigung erschien ein Stadion voll – 100.000 Menschen.

Er hätte gut herein gepasst in diesen Hedonistengral, mit seinem Hipsterbart und den langen Haaren. Der letzte Schluck paart sich mit seinem wohl legendärsten Bonmot und es hätte hier gesprochen werden können: „Ich habe viel von meinem Geld für Alkohol, Frauen und schnelle Autos ausgegeben. Den Rest habe ich einfach verprasst.“

Credits

Foto: Belfast via Shutterstock.

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