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Paläste, Nostalgie & Cocktails in Kiew

1500 Jahre Kultur verbinden das alte Kiew mit anderen Zentren Europas. Doch wie steht es nach Revolutionen und verdecktem Krieg um die Barkultur Qualitäten dieses Kulturzentrums des Abendlandes? MIXOLOGY ONLINE begab sich auf die Spur der jungen und stürmischen Barszene der ukrainischen Hauptstadt.

Aus dem Süden kommend schütteln wir uns den letzten Sand des Schwarzen Meeres aus den Haaren, als unser Zug ratternd in den monumentalen Bahnhof Kiews einrollt. Es ist spät am Abend, wir schlängeln uns zwischen gelangweilten Taxifahrern und kampierenden Familien durch einen Palast von Empfangshalle. Unser Weg führt weiter zwischen neokapitalistischen Wolkenkratzern und barocken Prinzengärten, über sozialistische Magistralen und durch schummrig beleuchtete Unterführungen. Bis uns Europas tiefstes U-Bahn-System schließlich zwischen der glamourös ausgeleuchteten Nationaloper und einem bedrückend grauen, sozialistischen Betonriegel ausspuckt – unserem Hotel. Schlecht gelegen sind wir hier allerdings nicht für unsere Suche, werden wir feststellen.

Majdan und Martinis?

Wir beginnen unsere Suche – stark erschwert durch fehlende Ukrainisch- oder Russischkenntnisse – in der Nähe des berühmt-berüchtigten Majdan. In der Umgebung des von Mussorgsky vertonten, 1000-jährigen Goldenen Tores finden wir vor allem Cafés für die Neureichen des Landes. Mit gutem Kaffee und regionalem Wein würden wir versorgt, doch entdecken wir in all der Fülle weder Shaker noch Rührglas. Wir schlängeln uns also weiter durch die auffällig geparkten Karossen der sonnenbebrillten Klientel und suchen unser Glück in Richtung Majdan. Hier kreuzen sich immerhin die stalinistische, im Zuckerbäckerstil errichtete Prunkstraße Chreschtschatyk mit verschiedenen U-Bahn-Linien. Restaurants finden wir einige, und auch interessante Angebote aus der Rubrik Craft Beer oder Kaffee. Doch ansonsten gibt es lediglich Andenken an umgekommene Demonstranten des Majdan. Wir müssen also weitersuchen. Ein heißer Tip: Podil – Hort der jugendlichen Energie und Experimentierfreudigkeit Kiews und Teil der „Unteren Stadt”.

Jugendliche Energie

Als Bezirk, welcher als ehemaliger Hafenteil schwierige Zeiten hinter sich hat, ist Podil nun inzwischen ein Magnet für viele Junge. Jugendlicher Esprit lässt einen Wind des Aufbruchs um die Ecken wehen. Es finden sich hier nur unweit des denkwürdigen Babin Yar attraktive, ungewöhnliche Restaurants und blutjunge, quirlige Bars. Wir stolpern als erstes über das Wood You Like. Bisher haben Bars, die tagsüber Kaffee und abends Bier und Drinks anbieten, bei uns bisher wenig Anklang gefunden. Doch das Wood You Like punktet schnell mit ernergiegeladenem Personal, das gerne auch über seinen Tellerrand hinausdenkt – und uns einen Single Malt-Rusty Nail und einen auf Nachfrage mit Kaffee und Orangen aromatisierten Rum Old Fashioned serviert. Unglücklicherweise steht gerade Spiced Rum hoch im Kurs und der Old Fashioned wurde daher deutlich zu süß. Dieser Besuch wurde aus kulinarischer Sicht demnach nicht der große Wurf. Allerdings macht die Bar dies mit ihrer Energie, der nachbarschaftlichen Atmosphäre und wertvollen Empfehlungen wieder wett.

So landen wir danach auch bei deren Freunden im Parasolka, einer Bar, die mittlerweile leider dauerhaft geschlossen hat. Uns erwartet eine Cocktailkarte mit einigen Klassikern der 90er und 2000er Jahre und wir entscheiden uns für lokales Altbier von Varva – denn auch hier ist die Craft Beer-Welle voll angebrandet – und einen Mint Julep. Der Julep besteht zuerst fast nur aus Bourbon, dann wird er zu stark nachgesüßt. Das Altbier hingegen ist großartig klar im Geschmack und mit wunderbar kupferner Farbe. Wir verlassen schließlich nach dem Leeren unserer Gläser lieber zügig diese an eine Opiumhöhle erinnernde Bar inmitten von Plattenbauten und militärischer Mobilmachung, obwohl der DJ sich gerade warm spielt.

Kiews neue Schickeria

Für höherwertige Drinks müssen wir uns also wieder bergauf in Richtung „Obere Stadt”, bewegen und winden uns durch verlassene, kopfsteingepflasterte Gassen. Dabei umgehen wir den mit Touristenbuden gesäumten Andreasstieg um in einer der Seitenstraßen die Bar Hashtag aufzusuchen.

Der Modernität des Namens entsprechend finden wir ein durchgestyltes Lokal vor. Der sehr kleine Gastraum, eingefasst in großen Glasflächen, drängt die Gästeschar auf seine Stufen sowie den Bordstein und macht so schon weithin auf sich aufmerksam. Ruhestörung ist in Kiew scheinbar keinerlei Thema, denn auch ein Uhr nachts kann der Mob hier unbehelligt von einer primär cocktaillastigen Getränkekarte die Stimmung unter freiem Himmel heben lassen. Leider will uns dies mit den bestellten Old Fashioneds nicht so recht gelingen: Obwohl das Hashtag in Kiew für seine Whiskeycocktails und besonders Old Fashioneds gefeiert wird, sind sie uns auch hier deutlich zu süß – man merkt das Unverständnis des Bartenders bezüglich der DNA dieses Drinks. Die Getränkequalität schieben wir auch auf den (zumindest an diesem Abend) beobachteten Pegel der Bartender, der mindestens mithielt mit dem ihrer Gäste.

Diese designerisch interessante, doch gastronomisch nicht erfüllenden Ort lassen wir also mitsamt seiner Startupper und Shiftdowner hinter uns und wagen einen letzten Versuch, eine wirklich tolle Bar zu finden.

Der Kreis schließt sich

Der Weg zur Bar Parovoz am Leo Tolstoi-Platz führt uns an einem der beiden märchenhaft beleuchteten, orthodoxen und als Weltkulturerbe geschützten Gebäude Kiews vorbei und schließt den Kreis unserer Bartour: Denn diese Bar ist wieder in fußläufiger Entfernung zum Bessarabischen Markt, und damit der Oper gelegen. Aus dem Taxi steigend müssen wir uns jedoch erst mehrfach versichern, richtig zu sein: An dieser Adresse befinden sich nur ein Kleidergeschäft und ein sehr majestätisches Kino. Wir spähen in Ritzen und kleine Seitentüren und werden nicht fündig. Fast schon aufgebend, drücken wir in letzter Hoffnung gegen eine Tür des schon seit Stunden geschlossenen Filmtheaters. Der Weg wird ab hier zwar immer skurriler, jedoch schlägt unser Speakeasy-Spürsinn an. Und so winden wir uns an Heizungsrohren vorbei in den Keller und finden das wunderschöne Kleinod Parovoz schlussendlich doch noch.

Die hier umgesetzte Mischung aus Eisenbahnwaggon und Pariser Metrostation lässt unsere architektonischen Herzen höher schlagen. Wir finden uns in einer Szene wieder, wie sie sich jeder vom Great Gatsby faszinierte Bartender nur wünschen kann! Der aufputschende Jazz und die lebhafte, das Lokal überfüllende Menschenmenge steigern unsere Vorfreude auf die Kreationen der weiß livrierten Bartender.

Auch hier wird wieder gutes Englisch gesprochen und wir bestellen zwei Empfehlungen des Bartenders – einen New York Sour und etwas uns Unbekannte und Unverstandenes. Der New York Sour ist scheinbar aktuell der Hype in den Cocktailbars Kiews, wir fanden ihn bereits auf einigen Menüs.

Von hier an nimmt der Abend einen Lauf, wie er sich nicht von den Nächten in Berlin oder Münchens unterscheidet. Wir genießen jegliche Bestellung und Empfehlung, schwatzen mit dem Personal und den Gästen, erfreuen uns an Schönheiten mit gemeinsamen Sprachkenntnissen und werden schließlich als einige der Letzten herausgekehrt. Innige Verabschiedungen hallen während der Taxifahrt ins Hotel nach und lassen uns Kiew als eine wunderbar märchenhafte, mit versteckten Kleinodien aufwartende Metropole in Erinnerung behalten lassen. Und wir wundern uns abschließend: Wie viele dieser hochqualitativen Bars haben wir nun in Kiew übersehen – oder hält nur Parovoz das Banner hoch?

Wood You Like

Mezhyhirska Straße 24, Bezirk Podil

Hashtag

Vozdvyzhenska Straße 48, Bezirk Podilskyi

Parovoz

Velyka Vasylkivska Straße 19, Bezirk Pecherskyi

Credits

Foto: Foto via Flickr/d1mka vetrov

Comments (1)

  • Martin Roth

    ist noch brandaktuell. Vielen Dank!

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