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Bartour Istanbul

Istanbul rückt als kulturelle Metropole immer stärker in den internationalen Fokus. Der inzwischen größte Ballungsraum Europas hat nicht nur historisch und kulturell viel zu bieten, auch die Gastronomie profitiert seit zweieinhalb Jahrtausenden vom Schnittpunkt dreier Kontinente. MIXOLOGY ONLINE taucht ein in osmanische Cocktailkatakomben.

Über die Jahrtausende Byzanz, Konstantinopel und nun Istanbul genannt, liegt die Stadt am Bosporus auf dem sogenannten Goldenen Horn schon immer an einem neuralgischem Punkt. Das an Ressourcen und Nahrungsmitteln reiche Schwarze Meer ist mit dem noch viel reicheren Mittelmeer nur durch die schmale Meerenge verbunden.

Gleichzeitig ist dies die einzige direkte Verbindung zwischen Europa, Asien und der Arabischen Welt. Die Seiden- als auch Gewürzstraße führten durch Istanbul. Dergestalt als Handelszentrum prädestiniert, siedelten sich allerlei Kulturen mit ihren eigenen Küchen und Nahrungsmittelvielfalt an diesem Knotenpunkt an.

Findet die Vielfalt den Weg ins Glas?

Obwohl eine klar erkennbare türkische Küche existiert, sind auf der Getränkeseite fast ausschließlich Rakı, türkischer Kaffee und türkischer Tee bekannt. Während Letzterer meist in der Schwarzmeerregion angebauter Schwarztee ist, ist türkischer Kaffee eher eine Zubereitungsmethode als ein eigenständiges Produkt. Rakı wiederum ist überaus charakterstark, aber aufgrund seiner Vergleichbarkeit mit übrigen Anisées auch aus anderen europäischen Kulturen bekannt. Was finden wir also an einzigartig Türkischem?

Vom Billigbier zum Craft Bosporus

Großbrauereien wie Efes, Pera und Bey sind gemeinhin bekannt – doch sie überzeugen geschmacklich kaum. Diese fade Bierlandschaft stößt auch den jungen Türken zunehmend unangenehm auf, und so entwickelt sich in Istanbul eine Wahrnehmung für mit Liebe gebraute Charakterbiere. Direkt im Stadtgebiet von Istanbul haben bereits zwei Craft-Brauereien ihre Produktion aufgenommen. Eine davon ist die Bosphorus Brewing Company in Gayrettepe mitsamt eigener Kneipe. Sie wird von einer britischen Familie geführt und bietet IPA, Pale Ale und Lager sowie Imperial Stout an. Sehr beliebt bei der Expat-Gemeinde, findet man hier zwar gut gemachte Biere, doch dafür umso weniger Istanbuler Flair.

Cocktails mit „Fez“?

Bewegen wir uns in hochprozentigere Gefilde, eröffnet sich im Herzen der 14-Millionen-Metropole eine Vielzahl an urigen Kneipen, neonbeleuchteten Touristenbars und Clubs. Besonders im Viertel Beyoglu, aber auch in Besiktas und Sisli konzentrieren sich die Nachtschwärmer, wohingegen das Ur-Istanbul um die Hagia Sophia primär auf Tagestouristen und damit Cafés und Restaurants setzt. Die Spirituosenauswahl ist vernünftig, doch weder überragend noch sonderlich regional. Globale Konzerne dominieren, wie beim Bier, auch bei den Spirituosen das Feld. Nur Rakı findet sich in uns unbekannten Abfüllungen in den Regalen.

Nichtsdestotrotz spüren wir die Bar Münferit auf. In einer steilen Gasse versteckt, ist diese Bar der Eingangsbereich zum in uralten Gewölben gelegenen, gleichnamigen Restaurant im Keller. Wirklich sehr schick eingerichtet glänzen hier ein flottes Barteam und ein überaus charmanter Gastgeber. Für einen schönen Übergang vom Craft Bier-Teil sorgt eine Auswahl an Craft Bier-Cocktails auf der Karte. Wir entscheiden uns für einen aus lokalem Lagerbier, Laphroaig, Lapsang Soochong und mit Ingwer aromatisierten.

Weiterhin wird uns ein Vodkacocktail mit frischen Erdbeeren und Ingwer empfohlen. Beide Drinks sind auf ihre Art süffig, erfrischend und wohl ausgewogen. Besonders die uns anfangs etwas unheimliche Vodka-Empfehlung ist tatsächlich sehr erfrischend und lässt uns bald wieder mit neuer Energie durch die in goldenes Licht getauchten Kopfsteinpflastergassen federn.

Cocktailkatakomben

Wir wühlen uns, einer Empfehlung folgend, durch jahrhundertealtes Straßenlabyrinth um endlich in Alex’ Bar einzukehren. Obwohl in direkter Umgebung der Haupteinkaufsstraße Istiklal gelegen, ist dieses Kleinod nur schwer zu finden.

Die Fensterfront ist komplett aufgeschoben, Sitzmöglichkeiten existieren nur sporadisch. Dafür gibt es umso mehr Gespräche, die um uns herum aufkochen. Wir staunen genauso über die uralten Gemäuer wie über die deutlich jenseits des hier üblichen Qualitätsniveau liegenden Drinks. Die gemauerten Gewölbe beherbergen eine nur zwei Meter breite Bar, die uns jedoch mit einem orientalischen Cognac-Dattel-Julep und einem etwas zu süßen Dark Rum Sour beglückt.

Was Alex in seiner Katakombe an Platz mangelt, machen er und sein kleines Team durch Esprit und Kommunikation wieder wett. Wir fühlen uns in dieser erst ein halbes Jahr alten Bar auf Anhieb wohl. So steinalt hier beide Etagen wirken, so frisch und international ist doch der Anspruch des Teams. Bier wird nicht ausgeschenkt, doch wird für eine von uns erbetene Zutat der nächsten Runde sogar ein Sprint zur Nachbarbar eingelegt, um unserem Wunsch nachzukommen. Dieses „hole in the wall“ wird sicherlich noch viele Gäste begeistern, auch uns bei unserem nächsten Istanbulbesuch!

Quantität contra Qualität

Antike Straßenbahn und Taxi rütteln uns nach Besiktas und wir kehren im Joker 19 ein. Schon von außen fällt uns das sehr moderne, großflächige Design auf. Auch die Spirituosenauswahl ist bereits beim Eintreten fraglos die größte von uns auf dieser Tour entdeckte. Der ersten Freude folgt allerdings zügig Ernüchterung, als der Bartender Rezepte nur mühsam abgelesen zubereitet. Sie dann trotzdem noch in Zucker und Eis ertränkt vorzufinden, lässt uns wieder nach deutlich kleineren Tresen sehnen und wir verflüchtigen uns zügig aus dieser hochprozentigen Enttäuschung.

Vom Grauen gepackt mäandern wir durch Gassen und bezwingen römische Treppen. An noch immer vollen Nachtcafés und allerlei türkischen Spezialitätenrestaurants vorbei, finden wir glücklicherweise noch das Union 22. Die Spirituosenauswahl ist in dieser Hipsterhöhle unglaublich klein, das Verständnis und Können des Bartenders dafür umso größer. Dieser diametrale Gegensatz zur vorigen Bar lässt uns hoffen.

Für die programmatisch fehlende Karte gibt es gleich noch einen Pluspunkt und wir erbitten vom Gatsgeber Drinks mit Istanbuler Geschmack, gerne klein und kräftig. Unser abendliches Cocktailmenü wird von ihm mit Desserts aus Bourbon, Rum, Schokolade, Kakao, Sesam, Zimt, Nelken, Molasse und Anis gekrönt. Wir finden uns bei allen Drinks mit einem seligen Lächeln in den Polstern versinkend. Auch sonst hat Bartender Caner einen Sinn dafür, die eigene Lokalkultur in Drinks zu übersetzen. Wie wir an ausgehenden Auberginen-, Sesam- oder Teecocktails zu erkennen meinen.

Der Fokus von Union 22 in Nisantasi ist allerdings klar auf Klamotten, Design, Kaffee und Essen gelegt. Sollte das Cocktailprogramm jedoch die Eröffnungsphase überleben, ist sie definitiv einen Besuch wert. So wie auch die ganze Stadt.

Credits

Foto: Istanbul via Shutterstock

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