TOP
bonechina bar frankfurt

Bonechina, eine mutige Bar zwischen Grauen und Frankfurter Fliese

Alt-Sachsenhausen ist in der Barboom-City Frankfurt am Main in Bewegung. Lange als Apfelwein-Hochburg beliebt bei Neppern-Schleppern-Bauernfängern, etabliert sich hier eine neue Barkultur. Das kürzlich eröffnete Bonechina leistet Pionierarbeit und zeigt Mut mit einem innovativen Konzept, Tonic-speiender Elefant inklusive.

„Alt-Sachsenhausen ist das Epizentrum des Grauens“, sagt Sven Riebel. Folgerichtig hat er dort kürzlich eine Bar namens Bonechina eröffnet. Das ist hinsichtlich der Entwicklung dieses historischen Frankfurter Stadtteils ein weiterer Fingerzeig, der Beginn einer barkulturellen Renaissance sein könnte. Die hohe Barkunst erobert nach der Drogen-, Puff- und Pennerbonanza Bahnhofsviertel mit Sachsenhausen ein Quartier, das schon fertig war. Das nachts nur noch von seinen Äbbelwoi- und Bembeltrampelpfaden am Leben gehalten wurde. Am Tage ein nettes Kopfsteinpflaster- und Fachwerkidyll, nach Einbruch der Dunkelheit ein Saufbums rund um die Klappergass und die wasserspuckende Legende Fraa Rauscher, den Böswillige schon an Offenbach abschenken wollten.

Bonechina: Jugendherberge für Erwachsene

Wer nun seit einiger Zeit das Schaffen von Riebel beobachtet, der weiß, dass der Mann zu wissen scheint, was er tut. Warum also nicht eine Bar, die keine ist und so klingt wie eine chinesische Triaden-Opiumhöhle in Hongkong, nicht in Berlin oder London, sondern inmitten von „Dribb de Bach“, wie Frankfurter spöttisch das Gebilde jenseits des Mains mundartlich „veräbbeln“. Na ja, nördlich des Mains sind die Hipster auch nur „Hibb de Bach“ und kommen dann bald nach Alt-Sachsenhausen, weil sie dann auch geschnallt haben, dass hier Coolness weniger wichtig ist als Qualität und Originalität.

Weil Riebel – Gewinner des MIXOLOGY BAR AWARDS 2016 als beste neue Bar mit seinem Seven Swans & The Tiny Cup – nicht nur verpeilte Hipster und pechdenkende Äpplervernichter, sondern auch anzugtragende Börsenmongolen außer Rand und Band am Wochenende fürchtet, sperrt er da erst gar nicht auf. „Ich habe keine Lust darauf, eine Bar mit Security zu betreiben. Das ist ein kleiner überschaubarer Ort, den man unter der Woche besuchen kann, eine Jugendherberge für Erwachsene.“ Wer allerdings in dem Wochenendgetobe eine ruhige Rückzugsoase sucht, der kann das Bonechina dann mieten.

Bar ohne Bar, ein Elefant und die „Frankfurter Fliese“

Wer die Bar betritt, dem fallen gleich drei dominierende Elemente auf. Da es sich eben nicht um eine Triadenconnection handelt, thront hier ein Elefant aus Keramik und kein Drache. Der spuckt auch wie Fraa Rauscher, allerdings selbstgemachtes Tonic. Nicht mit Chinarinde aus dem Kongo, sondern mit erfrischenden Enzian-Noten, nicht zu bitter und mindergesüßt, als kongeniale Ergänzung zur Gin-Auswahl.

Diese Wacholder-Selektion bettet sich ein in das wichtigste Element des Bonechina. Es gibt keine Bar, keinen Bartender als Fixpunkt, Impresario, Barstar, Tresenunwesen. Riebel erklärt: „Das ist eine Barinszenierung hier. Die Gäste kommen, wir begrüßen sie an der Tür und überlassen sie dann gerne sich selbst.“ Der derart in die Partyküche bugsierte Gast kann sich dann überlegen, ob er lieber eine der eisgekühlten Pre-bottled-Kreationen wählt, sich einen Drink selbst mixt oder doch den Gastgeber bittet, ihm bei Auswahl und Zubereitung einer Mischung behilflich zu sein.

Die Auswahl umfasst klassische Cocktails ebenso wie Longdrinks. Durch die hierarchiefreie Atmosphäre kommt es schnell zu flottierenden Begegnungen und Gesprächen. Die Gastgeber sind oft Teil davon. „Wir gehen mal rein in das Gespräch, mal quatschen wir uns fest, manchmal müssen wir aber auch schnell wieder zu den Gästen, wenn es Fragen gibt“, beschreibt Riebel einen typischen Abend.

What goes around comes around

Das Prinzip des Vertrauens ist die Basis für das Funktionieren des Konzepts. „Wir binden den Gast persönlich ein und geben ihm die Freiheit, die er braucht. Bisher hat er das immer zurückgegeben, auch beim Bezahlen mussten wir bisher kaum die durchaus vorhandenen Kontrollinstrumente nutzen“, so Riebel. Er berichtet von etwa 80 Prozent ihm bisher unbekannten Besuchern und nach wenigen Wochen schon von einer kleinen Stammgästeschar. Ein kleiner Club von 20 Gleichgesinnten. Ein besonderer Begleiteffekt liegt darin, dass sich die Bar mit ihren Gästen entwickelt. „Im Gespräch erfahren wir, was der Gast mag oder an was er sich gerne mal heranwagen würde.“

Kleine Herausforderungen werden dem Bargänger etwa durch aromatisierte Eiswürfel – etwa Pfirsich oder Lemongras – bereitgestellt, mit denen er seinen Drink individuell ausbalancieren kann. „Wir verwenden Öle, die Arnd Henning Heißen kreiert hat, und werden die Palette ständig erweitern“, blickt Riebel in die Zukunft.

Auch die Pre-bottled-Drinks werden sukzessive diversifiziert. Bisher hat man vorwiegend mit Zitrone oder Limette als Säureträger gearbeitet, „aber ganz ohne Apfel geht es ja nicht in Alt-Sachsenhausen, also führen wir unsere Gäste demnächst an Verjus heran.“ Das korrespondiert augenfällig mit einem weiteren Designmerkmal des Bonechina. Die Wände zieren die erhabenen und an die typischen Riffelungen des Äpplerglases erinnernden Rauten einer Keramikfliese, die eigens für die Bar vom Studio Aberja entworfen wurden und zukünftig auf dem Markt als „Frankfurter Fliese“ erworben werden können. Ein Highlight, das sich durch die gesamte Bar zieht, das Raumerlebnis puristisch verdichtet und wie durch einen optischen Zoom jagt.

Herz oder Verstand

„Wenn jemand in den Raum ruft: `Ich mache noch einen Gimlet, will noch jemand einen?`, dann weiß ich, dass es ein guter Abend war“, sinniert Riebel. Er und sein Team um Dominik Andes und Björn Gutowski haben die Leute zusammen gebracht und sie verlassen das 1747 erbaute Haus, begleitet vom Claim des Schildes an der Fassade: „ I was at Home last Night.“

Das ist dann auch die Zeit, zu der sich Murat im Morgengrauen auf den Weg macht. Er wohnt im zweiten Stock über der Bar und passt als selbst ernannter Bürgermeister auf Alt-Sachsenhausen auf. In seinem Magazin hat er geschrieben: „Das ist mein ¼. Gibst Du korrekt, kriegst Du korrekt. Wer scheißeparkt, kriegt aufs Dach. Hier regiert Herz oder Faust, such es Dir aus.“ Schließlich ist „Bone China“ das hochwertigste und beste Porzellan der Welt mit weichem Kern und extremer Schlagkantenfestigkeit.

Credits

Foto: Alle Fotos via Steve Hurd

Kommentieren