TOP

Botanical Garden: Segelschiff im grünen Keller

Die namensgebenden Gewächse im Wiener Botanical Garden sind zwar nur Zierde, in die Shaker kommt dennoch genug Grün. Die „Wohlfühl-Bar“ im Keller des Café Stein hat jedenfalls eingeschlagen. Ein Besuch bei Sammy Walfisch, Mister Oldjudge und tätowierten Wänden.

Der grüne Daumen wird noch trainiert in der Kolingasse. Denn eigentlich sollten die Pflanztröge, die quer durch den 80 Gäste fassenden Raum hängen, die Bartender versorgen. Frisch gezupftes Basilikum, geflämmter Rosmarin directly from the Beet. So weit die Theorie. „Aktuell sind es eher tropische Gewürze, die mediterranen taten sich schwer“, liefert Sammy Walfisch das botanische Bulletin.

Gemeinsam mit dem Bio-Feigenhof aus dem 11. Bezirk pflegen Barchef Sammy und sein Bruder Fabian Kalal die Pflanzen im Botanical Garden, einem Keller, in dem „bis zum bitteren Ende“ (in Österreich vermutlich 2018) geraucht werden darf.

Der Garten überwuchert das alte Diner

Blüten und Kräuter kommen dennoch massiv in die Rührgläser, sei es Hibiskus für den Mezcal-Cocktail „Muerte Mexicana“, einem Manhattan-Twist mit Martini Rubino, oder als Rioja-Rosmarin-Reduktion beim „Hacia en Cielo“. Vor allem die Barbitters werden weitgehend selbst gemacht, bei Schichtbeginn kommt der Kaffee in den Cold Dripper für den Orangen-Enzian-Bitter, was gleichzeitig ein meditatives Schaustück abgibt. Ansonsten lenkt wenig den Blick von den Cocktails ab, der einzige Wandschmuck neben zwei Schwarzweiß-Fotos sind die bunten Seemanns-Motive. Die allerdings hat man sich von Roberto Pulvano verpassen lassen, der als Tätowierer (Ringo Tattoo Art) auch die Kicker von Juventus Turin verziert. Wenn der Italiener mit seinen Buddies wieder im Botanical Garden nach seinem größten Werk schaut, wird es gerne lauter.

Doch das ist der Keller gewöhnt, seit er als Stein’s Diner die Clubszene Wiens versorgte. Als Thirty-Something wird man sich schnell zu Hause fühlen, woran nicht nur die aktuelle Playlist, die John Lee Hooker und MC Solaar, Amy Winehouse und Charles Bradley umfasst, ihren Anteil hat. Der Jugend nachtrauern können Legionen von Studenten, die zwischen 1990 und 2000 in Wien studiert haben. Außer dem Aufgang zum Café erinnert aber wenig an die guten alten Tage, als sich House-Musiker und Robert Smith-Gedächtnisfrisur-Träger aus dem Weg gingen. Immerhin, die Lamellen, die das schädliche Tageslicht von den Studentenaugen fernhielten, „sind noch die originalen“, wie Sammy verrät

Vom Gin bis zum Enzian-Cold Drip

Nun regiert hier aber der Gin, den die Karte auch für Novizen nachvollziehbar erklärt. Der Weiße Spritzer (wie die Weißweinschorle auf österreichisch heißt), gerne auch in der Garden-Version mit Kaffirlimette, gehört aber ebenfalls zu den oft gehörten Bestellungen. Stört das einen Bartender, der seit 1999 in der Branche ist, nicht? „Wir wollten eine Wohlfühlbar, in der die Atmosphäre noch wichtiger ist als die Drinks“, gibt Walfisch den Pragmatiker. Und so stimmen sich ganze Partien (dienstags kommen immer die Anwälte) mit der „Hausmischung“, einem mit 8,90 Euro gepreisten Bombay Dry samt Fever Tree, auf den Abend im Schatten der Votivkirche ein. Bald werden die Gäste auch draußen sitzen; gemeinsam mit dem Stein bespielt man dann auch den Freibereich mit zehn Drinks. Der Garden im Garten, quasi.

Die Kooperation zwischen Bar unten und Café oben läuft jedenfalls gut, die Verpflegung kommt aus der Stein-Küche, „eine ziemlich einzigartige Konstellation“, die auch spätnachts noch für die nötige „Unterlage“ sorgt. Auch bei den zwei Mal im Jahr stattfindenden „Mixology Dinners“ dürfen die Gastköche mit Support vom Café rechnen. Ein komplettes Menü mit Cocktail-Begleitung erwartet alle, die sich via Homepage ihren Wunschplatz erkiesen. Die auffällig vielen Frauen im Botanical Garden verlangen aber auch abseits derlei organisiertem Cocktail-Zaubers immer öfter nach raren Rezepturen, berichtet Walfisch nach einem halben Jahr von positiven Zeichen, was die Barkultur betrifft.

Denn die Klassiker muss man gezielt bestellen, „natürlich machen wir sie alle“, so Walfisch – lediglich Milch und Sahne sind tabu, die gibt’s nicht einmal zum Kaffee. Das Konzept der eigenen Kreationen, hinter denen immerhin eine ganze Küche steht, hat aber Priorität. Von Tagesempfehlungen abgesehen – aktuell etwa ein fruchtiger „Crazy Pineapple“ – sorgen die 21 Cocktails der Stammkarte für Laune. Einiges davon sind Twists, etwa auf den Espresso Martini, der mit Campari-Himbeer-Schaum in der Pralinen-Hohlform serviert wird.

Segel-Romantik für die Landratten

Die Vergangenheit, in seinem Falle die Jahre als Catering-Chef der Barcompany, hat Spuren hinterlassen. „Die Kommunikation rund um einen Drink ist wichtig“, bezeichnet Sammy Walfisch die wesentliche Aufgabe seines fünfköpfigen Teams. So hat man sich beim einzigen Bier Wien-exklusiv für Hacker-Pschorr aus der Bügelflasche entschieden. Wertig eben, kein Allerweltsartikel. Mit einem doppelten Bulleit-Bourbon und Zigarette wird daraus das „Herrengedeck“ (10,90 Euro) für die Garten-Arbeiter. Ziemlich singulär dürfte auch Sammy Walfischs „Madagaskar Infusion“ sein. Der Vodka-Drink mit Vanille und Pfeffersirup verdankt die Würzkraft dem wild gesammelten Gewürz vom tasmanischen Grundstück von Papa Walfisch. Die Segelleidenschaft des Seniors hat Sammy allerdings nicht geerbt: „Ich könnte mich nur von Küste zu Küste hanteln“. Doch die Tätowierungen der alten Matrosen taugen dem Barchef trotzdem sehr.

Mr. Oldjudge, King of the Falernum

Und da wäre noch Mister Oldjudge’s Elixier, das so manche Rezeptur aufpeppt. Was wie Snake Oil aus dem Wilden Westen klingt, ist nichts anderes als das Geheimrezept des Falernum von Markus Altrichter. Der Mann mit der Schiebermütze überlässt das Tonic-Kochen gerne anderen – sein in vielen Jahren erprobtes Ding (das demnächst auch kommerziell gefüllt werden soll!) ist Falernum. Ein „Corn n‘ Oil“ mit geflämmter Orange on top ist somit fast Pflicht – und erklärt, warum Industrieprodukte da nur zweite Wahl sind. Dass mit diesem Händchen für die Gewürzlade auch eine Pretiose wie der Kreuzkümmel-Bitter schmeckt, lag nahe. Mit Gin Sul und Weißwein wird daraus das „Wiener Seemannskracherl“. Haben wir schon erwähnt, dass die Gärtner eigentlich Matrosen mögen?

Credits

Foto: Foto via Philip Lipiarski

Comments (1)

  • Max

    Die Idee des Botanical Garden ist meiner Meinung nach nicht schlecht umgesetzt worden, doch mangelt es an der konstanten Qualität der Drinks, diese ist sehr tages- und vor allem Barkeeper-abhängig.

    Weiters werden in meinen Augen zu viele Spielerein betrieben (gesmoked, geflamed, gewasht, garniert und was weiss ich noch alles), das lenkt zu sehr von der eigentlich mangelnden Qualität des Drinks ab.

    reply

Kommentieren