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Dry Martini bar

Dry Martini Bar in Barcelona: Der Tresen und das Mehr

Die Dry Martini Bar in Barcelona heißt nach einem geschichtlich als ur-amerikanisch festgemachten Cocktail. Und das hat einen guten Grund, dem die Bar ihre Geschichte verdankt.
 
Anmerkung: Der folgende Text erschien erstmals in der Ausgabe 5/2017 von MIXOLOGY, dem Magazin für Barkultur. Er bezieht sich auf einen politischen Sachverhalt, der sich seither weiter entwickelt hat und noch immer entwickelt. Die damalige katalanische Regierung wurde mittlerweile von der spanischen Zentralregierung abgesetzt. Der Text wurde allerdings nicht verändert und gibt daher den Sachstand seines ursprünglichen Redaktionsschluss wieder.
Wenn eine Bar nach einem berühmten Getränk heißt, noch dazu nach einem Klassiker der Cocktailkultur, dann kann man davon ausgehen, dass diese Bar nichts taugt. Man darf annehmen, dass ihr Besitzer den Namen aus rein plakativen und spekulativen Gründen ausgewählt hat. Und das ist lächerlich, beschämend und Grund genug, diese Bar zu boykottieren.
Bei der Dry Martini Bar in Barcelona ist es genau so. Ihr damaliger Besitzer Pedro Carbonell hat die Bar in Barcelona eben aus rein plakativen und spekulativen Gründen nach dem Dry Martini genannt. Aber er hatte seinen Grund. Und wir haben allen Grund, diese Bar zu besuchen. Denn sie schrieb Geschichte. Weil sie in Barcelona steht, das im Jahr der Gründung der Bar, 1978, zu Spanien gehörte. Moment mal? Zu Spanien gehörte? Gehört Barcelona nicht auch heute zu Spanien?

Der Aufbruch nach Europa

Doch, gehört es. Noch. Denn während Sie die Zeilen hier lesen, ist die Volksabstimmung zum Austritt Kataloniens aus der spanischen Föderation schon im Gange oder bereits abgeschlossen. Vielleicht haben sich zwischen dem Schreiben dieses Artikels und dem Zeitpunkt, an dem Sie diesen Artikel lesen, bürgerkriegsähnliche Unruhen entwickelt. Und vielleicht ist es gar nicht so lustig gerade. In Barcelona und Umgebung. Unmöglich ist das nicht. Denn der spanische Verfassungsgerichtshof in Madrid hat die Volksabstimmung verboten. Genauso war es in Jugoslawien 1991. Ob Europa dazugelernt hat? Das kann man nur hoffen.
Manchmal haben ganz kleine Initiativen ganz große Bedeutung. 1978 und 1979 wurden in Katalonien (zu dem auch Ibiza gehört) zwei Bars gegründet, die Weltberühmtheit erlangten. Neben der Dry Martini Bar, über die ich heute schreibe, war das auch das Café del Mar auf Ibiza, über das ich vor einem Jahr hier schrieb. Spanien befand sich damals in der Übergangsphase zur Demokratie. Francisco Franco, der faschistische Militärdiktator, der das Land seit 1936 mit eiserner Hand regiert hatte, starb 1975 und der spanische König setzte nach seinem Tod eine Übergangsregierung aus Technokraten ein, die in einer sechsjährigen Transformation das Land in die Demokratie führten. 1978 war Spanien also noch keine richtige Demokratie. Auch das war ein Grund, warum die Dry Martini Bar gegründet wurde. Und warum Pedro Carbonell sie so nannte. Denn es ging um Aufbruch. Den Aufbruch in den Westen. In einen neuen Lifestyle.

Barcelona: Zeit für das Teufelsleben

Die Zeit der Transformation war immer auch von Rückschlägen des alten Spanien begleitet, z.B von einem Putschversuch der Militärpolizei und von Anschlägen rechtsgerichteter Milizen, die sich keineswegs mit dem Wegfall der alten Ordnung abfinden wollten. Für diese Leute – und auch für eine große Anzahl der Spanier – war das alte, züchtige, erzkatholische Spanien ein Bollwerk gegen „die Wilden“ – ein Begriff, der damals für Linke, Liberale, Homosexuelle und Lesben sowie für Popkünstler und Avantgardefilmer galt. Diese Leute waren „des Teufels“ und diese Verteuflung war durchaus ernstgemeint.
Zu den unerwünschten Nebenerscheinungen der neuen Ordnung zählte auch die Ausgehkultur, die von Null auf Hundert eine neue Blüte erlebte. Man kann es sich kaum vorstellen, doch Spanien unter Franco ließ die Bürgersteige um Mitternacht hochklappen. Und das überall im Lande. Zwar duldete das Regime das späte Abendessen seiner Bevölkerung, zum Zeitpunkt des Datumswechsels aber sollte jeder in seiner Wohnung sein. Wer sich danach noch draußen befand, machte sich automatisch als Nichtsnutz verdächtig, der keiner geregelten Arbeit nachging. Einzig am Wochenende drückten die Behörden ein Auge zu.
Die neue Ausgehkultur war für die spanische Ultrarechte und für die spanischen Katholiken das Gleiche wie die alte Ausgehkultur, nämlich der Natur zuwider und ein Werk des und der Liberalen, das vor allem für eines stand: für Amerika, für die Vereinigten Staaten und ihr liederliches, sexualgeprägtes Leben. Soll heißen: Die Dry Martini Bar in Barcelona stand von Beginn an für dieses liederliche, amerikanische Leben. Für „Um-Mitternacht-Aufschlagen“. Für gepflegtes Trinken bis zum Rande der Besinnungslosigkeit. Für Ausschweifungen und Abschleppen. Für Sex und Randale. Und letztlich auch für ein freies Katalonien, denn hier, in Katalonien, stand man Westeuropa, vor allem Frankreich, immer näher als Madrid. Und dafür war die Dry Martini Bar die Verdeutlichung.

Dry Martini Bar: Seiten ändern sich…

So kam es eben, dass die Bar in den 1980- und 90er Jahren der Treffpunkt der kulturellen Elite wurde. Regisseure wie Pedro Almodovar und Sänger wie Miguel Ferrer waren es, die den Ruhm der Bar festigten. Und das, obwohl es in Barcelona mit dem Nick Havanna schon seit 1988 einen Club und eine Bar gab, die der New-Wave-Avantgarde entsprach. Die Dry Martini wirkte dagegen schon zehn Jahre nach ihrer Gründung altbacken wie ein Bar eines großen, feudalen Hotels: holzgetäfelt und allzu klassisch, um in der damals neuen Neon-Lässigkeit einen berechtigten Platz zu finden. Dieses Altmodische aber ist es, das die Dry Martini heute wieder in die Gegenwart hievt.
Die Gegenwart: Das ist für die Dry Martini Bar seit einigen Jahren schon das Faktum, bloß Bestandteil des Imperiums von Javier de las Muelas zu sein, der einer der bekanntesten spanischen Barpersönlichkeiten ist und die Dry Martini Bar in die Welt warf. Seine Bars gibt es nun auch in London, auf Bali und in Mexiko. Muelas hat das getan, zu dem der Name der ersten Bar eigentlich verpflichtet: die Vereinnahmung des Getränks. Stand die Dry Martini Bar in ihren Anfangsjahren noch für die Widerständigkeit gegen ein altes, spaßbefreites System, und war der amerikanische Cocktail nur Werkzeug, diese Geisteshaltung mitzuteilen, ist die Dry Martini heute ein Hohlkörper eines inzwischen auch nicht mehr neuen Hedonismus und als solche nun erst richtig Botschafter des legendären Cocktails, den man hier in sehr guter, anderswo in der Welt aber in weit besserer Qualität bekommt.
Warum man trotzdem hingehen sollte? Ganz einfach: Weil die Dry Martini Bar ein Klassiker ist. Wie etwa Harry’s Bar in Venedig. Weil die Bar Geschichte hat. Weil ihr Tresen immer noch egalistisch ist und keinen Stammplatz Prominenter kennt, die ihre Nichtanwesenheit mit einem Messingschild verewigen. Weil man hier einen exzellenten Gimlet bekommt, so schlicht, klar und gleichgewichtig wie sonst nur in Los Angeles. Und weil man in der Dry Martini um vier Uhr früh jene Geborgenheit findet, die anderorts in Barcelona nach und nach verloren geht. Katalonien mag im Aufbruch zur Nationalstaatlichkeit sein. Die Dry Martini Bar mag diesen Aufbruch in ihren Anfangsjahren verkörpert haben. Aber sie verkörperte immer auch das Atlantische, das Internationale, das dem nationalen Aufbruch der Katalanen eigentlich entgegensteht. Deswegen wird die Dry Martini Bar in einem eigenstaatlichen Katalonien für das alte Regime stehen. Zeit also, noch einmal hinzugehen. Bevor der Tresen auf der falschen Seite steht.

Credits

Foto: Foto via: Jordi Poch

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