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Enfant Terrible Landsberg

Michael Ehrenwirth und sein Enfant Terrible: Verboten gute Drinks für Landsberg am Lech

Vom Circle ins Enfant Terrible, von geschlossenen Kreisen aufs freie Feld – Michael Ehrenwirth und sein Enfant Terrible in Landsberg am Lech. Der junge Barchef ist in sein Heimatstädtchen zurück gekehrt, um den Durst der Landsberger mit frischen Cocktail-Kreationen zu wecken und zu stillen.

„Wenn mich die Leute hier sehen, wie ich im Ort bei unserem kleinen Obst- oder dem lokalen Weinhändler für das Enfant Terrible einkaufe, kommt das schon gut an. Alleine, wenn man frische Säfte und selbstgemachte Sirups verwendet, hat man in Landsberg als Bar ein Alleinstellungsmerkmal“, erklärt der Neo-Barbesitzer.

Und nicht nur sein inspiriertes Faible für regionale, saisonale und frische Zutaten kommt Ehrenwirth und seiner recht ungewöhnlichen Bar zu Gute.

Liquider Nachwuchs für Landsberg am Lech, oder: Vom Circle in die Kreisstadt

Auch der Fakt, dass das Enfant Terrible eine Lücke zwischen den mittelalterlichen Häuschen und kopfsteingepflasterten Gässchen schließt, ist eine nicht zu verachtende, positive Rahmenbedingung für Ehrenwirths ungezogene Bargöre. Denn die kleine Kreisstadt mit ihrem liebevoll restaurierten Altstadtkern verfügt zwar über eine anständige Gastronomie-Szene – oder besser gesagt Landschaft – in Form von Restaurants und Cafés. Auch einen soliden Gin & Tonic oder den berühmt-berüchtigten Spritz kann man hier auf den Karten der Lokale und in den Kehlen der Einheimischen finden.

Eine g’scheide Mixologie-Bar mit geheimnisvollen Getränken und absonderlichen Mixturen suchte man im bayrischen Städtchen bislang allerdings vergeblich, und so kann man wohl behaupten, dass Ehrenwirths Enfant Terrible das mehr tröpfelnde als pulsierende Nachtleben Landsbergs bereichert und ein wenig durcheinander gebracht hat!

Doch so sind sie eben, die ungezogenen Kinder dieser Welt, und auch Ehrenwirths Enfant Terrible stellt an diesem ungestümen Punkt keine Ausnahme dar. „Manche Leute in Landsberg wissen noch immer nicht, was bei uns genau passiert, da wir im vergangenen Winter oft den Vorhang vor den Fenstern zugezogen hatten. Und auch mit unserem Namen können viele unserer bayrischen Gäste nichts anfangen. Von Elefanten Café bis hin zum englischen Elefant terrible habe ich schon alles gehört.“

Eine Bar mit Eisdielen-Flair

Dass das Enfant Terrible für ein wenig Unruhe im Ort sorgt und (un)gehörig Gesprächsstoff verursacht, schadet der kleinen Bar natürlich keineswegs, denn gerade die Mund-zu-Mund-Propaganda funktioniert im beschaulichen Landsberg mindestens ebenso gut wie im Tratsch-verliebten München.

Auch die sommerliche Öffnung der bis zum Boden reichenden Fensterfront und Ehrenwirths liebevoll begrünte Gassen-Terrasse verleihen der Bar ein gewisses Eisdielen-Flair, so dass die Passanten auf charmanteste Art und Weise dazu verführt werden, neugierig näher zu treten und auf ein High Five im Fensterrahmen sowie einen Drink im Außenbereich vorbei zu schauen.

Dabei sei bemerkt, dass das Publikum im ländlich-grünen Landsberg keinesfalls völlig grün um die Ohren in Sachen Cocktailbars ist, denn das Gros der hiesigen Bevölkerung arbeitet in München oder Augsburg und wählte die idyllische Kleinstadt am Lech als trautes Familiendomizil – fernab vom Lärm der Großstadt und ganz in der Nähe vom Plätschern der Seen sowie dem Rauschen der Wälder. Da dieses beruhigende, naturnahe Rauschen allerdings auch den ein oder anderen ebenfalls nicht zu verachtenden Rausch in ebenfalls idyllischen Münchner Bars schwierig macht – einer muss ja noch fahren –,  ist es eine famose Sache, dass man dank Ehrenwirths Heimatliebe nun direkt vor Ort hochkarätige Cocktails schlürfen kann.

Naturnahes Bartenden: Rauschende Bäume und Nächte

„Die Landsberger sind im Durchschnitt schon etwas weniger baraffin als es in München der Fall ist, aber dafür kann man die Gäste hier toll beraten. Mittlerweile werden auch gewagtere, ungewöhnlichere Kreationen wie ein Paprika Daiquiri gerne bestellt, was anfangs eher selten vorkam“, erklärt Ehrenwirth.

Um seinen Besuchern die Drinks der jahreszeitlich wechselnden Karte ans Herz und in die Hand zu legen, ist für Ehrenwirth und seine kleines Team die persönliche Beratung besonders wichtig. Insbesondere auch, weil das Menu bei so manchem, weniger erfahrenen Trinker durch kryptisch wirkende Cocktail-Beschreibungen das ein oder andere Fragezeichen in die Gehirnwindungen zaubern könnte.

So werden bei Drinks wie dem Monsieur Kato der aktuellen, asiatisch inspirierten Karte vermutlich viele Gäste bei der Erläuterung Wacholder / Matcha / Yuzu / Limette gerade mal eine von vier Zutaten einordnen können, und auch das eigentlich so vertraute Radieschen erscheint beim Red Radish – Getreide / Radieschen / Zitrone – plötzlich rätselhaft und fremdartig.

Um seine Gäste auch an ungewohntere, weniger attraktiv wirkende Zutaten wie beispielsweise Eiweiß oder Essig heranzuführen, wartet das Enfant Terrible zudem mit einem ganz besonders mystischen Trank auf, dem Small Blind. Dieser stets wechselnde, in einer braunen Papiertüte versteckte und servierte Drink ist quasi die Sneak Preview im Bar-Programm, so dass der Gast liebevoll dazu gezwungen wird, völlig unvoreingenommen an die ihm vorgesetzte Kreation heranzutreten und so den eigenen Gaumen sowie Geist gehaltvoll weiterzubilden.

„Die meisten Leute flippen beim Small Blind total aus und bestellen danach garantiert noch einen ungewöhnlichen, fancy Drink“, freut sich der Chef des Enfant Terrible.

Reformierte Radieschen, Land-Eier und mystische Papiertüten.

Wer nach allzu viel liquiden Radieschen und diversen braunen Tüten ein wenig Hunger verspürt, muss bei dem vorausschauenden Gastgeber Ehrenwirth trotz einer gewissen Platznot in Küche und Keller keinesfalls darben, sondern bekommt eine charmante und durchaus sättigende Auswahl an Barfood wie ein Allgäuer Käsebrot oder ein Beef Tatar kredenzt.

Warme Mahlzeiten, mit Ausnahme der nur aufzuwärmenden Saucisse au Curry a.k.a. Currywurst, fallen allerdings aufgrund einer fehlenden Dunstabzugshauben-Genehmigung – wir sind schließlich im ordentlich geregelten Bayern – in den Bereich des nebulösen Illegalen. Gerade aufgrund dieser bayerischen Genauigkeit und (Ver-)Ordungsliebe ist es schon fast erstaunlich, dass der eigentlich denkmalgeschützte Barraum mit seiner kleinen Galerie, einem Durchbruch zur Küche und der deckenhohen Fensterfront überhaupt so lässig und ungewöhnlich aussieht.

Dieser individuelle Style ist — neben Ehrenwirths Händchen für Design sowie einigen handwerklich begabten Händchen seiner Freunde – auch einer so gerissenen wie einreißenden Straftat zu verdanken, welche ein unbekannter Vorgänger Ehrenwirths beging. Denn einige bauliche Maßnahmen wie der einschlägige Durchbruch wurden ­ anscheinend ohne Passierschein A38 oder andere Freibriefe von Seiten der Obrigkeit einzuholen ­– kaltblütig und hitzköpfig vollzogen.

Das Enfant Terrible als Komfortzone für Landsberg

Neben dieser ganz besonders eigenwilligen Raumgestaltung war es Ehrenwirth besonders wichtig, die Bar durch ungewöhnliche und exzentrische Details zu einer Komfortzone für die verschiedensten Geschmäcker und Gäste zu machen. So können sich Schreiberlinge und Schmierfinken ganz im Stil der Bodeguita del Medio an den tafelschwarzen Wänden des Enfant Terrible mit weißem Stift verewigen, Nachwuchsbotaniker erfreuen sich an urwaldigen Gewächsen, welche in einem alten Vogelkäfig über dem Tresen wuchern, und der kleine Iltis in der oberen Etage blinzelt sich ausgestopft frech in das Herz eines manchen Besuchers.

Nicht zuletzt die kleine Galerie, welche den Blick auf eine schwarz-weiße Comic-Lady im adretten Kostüm als Deckengemälde freigibt, erzeugt eine subtile, architektonische Dramaturgie. Trotz dieses sitzbedingten Gefälles zwischen Galerie und dem erdverbundenen Barraum legt Ehrenwirt im Enfant Terrible größten Wert auf die Gleichbehandlung seiner Gäste – unabhängig von deren Trink- und Geldfluss. Diese Gleichheit im Nebel der Nacht ist zum einen das Resultat Ehrenwirths gastgeberischer Qualitäten und seiner persönlichen Überzeugungen. Zum anderen könnte man diese Égalité auch als prädestinierte Vorschrift im Enfant Terrible betrachten.

„Eigentlich gleichen sich alle Persönlichkeiten, die jemals als Enfant terrible bezeichnet wurden, gerade weil sie sich gegen die Gleichheit der Masse und deren Konventionen wendeten. Durch ihre Liebe zum Ausbrechen, ihre Exzentrik und Zügellosigkeit bilden diese Enfant terribles, nicht zuletzt beim Feiern und Trinken, eine homogene Gruppe.“ Und da nachts also alle Katzen – nein, nicht grau – sondern einheitlich schillernd sind, kann man auch in Ehrenwirths Bar genauso gut ein kühles Helles kippen wie an einem sophisticated Old Fashioned nippen.

Ehrenwirths illegale Holunderbeeren und die Anarchie der Nacht

Ebenso wenig profitfixiert wie bei der Gästebehandlung ist der junge Barchef auch bei seinem auf Nachhaltigkeit und Regionalität bedachten Konzept. So kauft er seine Zutaten für Shrubbs, Sirups und Säfte nicht beim Großhändler, sondern bei einem kleinen Obsthändler in Landsberg, geht nachts heimlich wilde Holunderbeeren auf fremden Grundstücken „sammeln“ und verwendet lieber teure Stroh-Strohhalme als auf das modèle en plastic zurückzugreifen. „Da bin ich definitiv anarchisch – oder einfach dumm und nicht wirtschaftlich denkend.“

Doch so sind sie eben, diese Enfants terribles. Bei ihnen kann es nicht immer in geraden Bahnen verlaufen oder sich innerhalb überschaubarer Zirkel abspielen. Enfants terribles graben auch mal das Kopfsteinpflaster kleiner Städte um, verwandeln geraubte Beeren in illustre Cocktails oder pflanzen Basilikum-Plantagen vor der eigenen Bartüre.

Und da unsere Welt und die Bretter derselben durchaus ein paar mehr solcher traumtänzerischer Individualisten und brettstarker Idealisten braucht, kann man nur hoffen, dass dieses ganz besonders charmante Enfant Terrible auch weiterhin mit seinem (nicht ganz erlaubten) Durchbruch begeistert und das beschauliche Landsberg mit so phantasievollen wie ambitionierten Drinks erfreut und durstig macht.

Credits

Foto: Alle Fotos via Verena Borell.

Comments (1)

  • Michael Ehrenwirth

    Vielen, lieben Dank für den großartigen Bericht!

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