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Fakten über Gerste

Alle sprechen über Hopfen, niemand über Gerste. Und auch bei Spirituosen führt kaum ein Weg an dem robusten Getreide vorbei. Zeit, das zu ändern. Worum handelt es sich bei Gerste eigentlich? Und kann man aus jeder Gerste brennen und brauen? Die wichtigsten flüssigen Fakten über das Heiligtum der deutschen Bierwelt.

Die Gattung Gerste (lat. Hordeum)gehört – wie sämtliche zentralen „Brotpflanzen“ – zur biologischen Familie der Süßgräser und ist eines der ältesten bekannten durch den Menschen kultivierten Getreide. In ihrer Ursprungsform stammt Gerste aus dem östlichen Balkan und Vorderasien, also etwa aus der Gegend um die heutigen Staaten Bulgarien, die Türkei und den Irak. Der Anbau und damit die gezielte Nutzung der Gerste durch den Menschen lässt sich heute in die Steinzeit datieren, früheste Funde belegen eine Kultivierung um ca. 15.000 v. Chr.

Die „Zeile“ macht den Unterschied

Man unterscheidet bei Gerste zwischen „mehrzeiligen“, proteinreichen Sorten („Wintergerste“), die vorwiegend als Tierfutter weiterverarbeitet werden, und zweizeiliger „Sommergerste“, die einen geringeren Eiweißgehalt aufweist und für die Produktion von Lebensmitteln verwendet wird. Ob eine Sorte zwei- oder mehrzeilig ist, lässt sich leicht am Ährenstand erkennen: Sie beschreibt die Anzahl der für das Aussehen der reifen Triebe charakteristischen Haarbündel. Für die Bier- und Spirituosenherstellung ist natürlich ausschließlich zweizeilige Gerste von Belang, was den gängigen Sorten die Bezeichnung „Braugerste“ eingebracht hat.

Gerste: Der „geistige“ Allrounder

Gerste ist rund um den Globus eines der wichtigsten Ausgangsprodukte für alkoholische Getränke. Ob gemälzt oder ungemälzt, an Gerste führt auch für die Bar kein Weg vorbei. Neben Kategorien wie Vodka oder Gin, die in selteneren Fällen auf Gerste beruhen, ist vor allem die Geschichte von Bier und Schottischem Whisky untrennbar mit der Gerste verbunden.

Besonders Gerstenmalz hat eine zentrale Bedeutung. Beim Mälzen wird das Getreide zum Keimen gebracht (hochwertige Sorten weisen daher eine Keimfähigkeit von knapp unter 100% auf), wobei ein guter Teil der enthaltenen Stärke in Mehrfachzucker zerlegt wird – eine Grundlage für die alkoholische Gärung. Der typische Malzgeschmack schlägt sich später durch eine erdige, getreidige, mitunter leicht karamellig Note nieder.

Beim einfacheren „Grain Whisky“, der besonders für das Verschneiden klassischer Blended Scotch Whiskys benötigt wird, kommt aber auch ungemälzte Gerste zum Einsatz. Bedenkt man die enormen Mengen Grain Whisky, die verarbeitet werden, zeigt sich, dass also tatsächlich sogar ein enormer Teil der vorhandenen Gerste ungemälzt in den Kessel wandert.

Übrigens kommt auch in den meisten Amerikanischen Whiskeys Gerste zum Einsatz. Zwar bilden – je nach Sorte – Mais oder Roggen den Hauptbestandteil für Bourbon, Rye oder Corn Whiskey, ein Großteil der US-Brenner gibt jedoch (vollkommen gesetzeskonform) auch einen Teil gemälzter oder ungemälzter Gerste mit in die Maische, um die Aromatik des Grunddestillates abzurunden.

Das Heiligtum des Reinheitsgebotes

Für viele Deutsche, besonders für die meisten Bayern, ist Gerste das wohl größte getreidige Heiligtum überhaupt. Denn nur Gerste ist nach dem sogenannten „Reinheitsgebot“ zum Brauen von Bier zugelassen. Kurioserweise gilt diese Regelung nur für untergärige Biersorten wie Pils, Hell oder Bayerisch Dunkel, während obergärige Sorten, etwa diverse Ales oder natürlich das klassische „Hefeweizen“, auch mit anderen Getreiden angesetzt werden dürfen. Doch woran liegt das? Ist Bier aus Gerste wirklich „besser“? Ist nur Bier aus Gerste „rein“? Natürlich nicht. Dazu muss man Folgendes wissen und bedenken.

Das „Reinheitsgebot“ hatte zum Zeitpunkt seiner Entstehung vor nahezu 500 Jahren keineswegs den klangvollen Namen, den man ihm erst Jahrhunderte später hat angedeihen lassen. Als die Fürsten Wilhelm IV und Ludwig X ihre Vorschrift zur Bierherstellung im April 1516 in Ingolstadt erließen, war – so ist sich die soziologische, medizinische und wirtschaftswissenschaftliche Forschung heute weitestgehend sicher – die Reduktion des Bierbrauens auf Gerste als Stärkelieferant vor allem den beiden folgenden Beweggründen geschuldet.

Zum Einen war Gerste bereits ohnehin das typische Biergetreide der Zeit. Aus diesem Grund hatten die Beteiligten (etwa Bauern, Mälzer, Müller und Brauer) auf Gerste – und nur auf Gerste – eine spezifische Biersteuer zu entrichten, die bei anderen Getreiden, die vorwiegend als feste Nahrungsmittel verarbeitet wurden, nicht zur Anwendung kam – auch nicht, wenn daraus Bier gebraut wurde. Die finale Restriktion auf Gerste als Biergrundlage hatte damit zunächst einen ganz handfesten, haushaltspolitischen Nutzen für den bayerischen Adel.

Gleichzeitig sollte die Vorschrift die Menschen davon abhalten, die klassischen, wesentlich eiweißreicheren Brotgetreide wie Weizen, Hafer oder Roggen zu „verbrauen“. In Zeiten, in denen regelmäßige Missernten sowieso die Einwohnerschaft ganzer Landstriche dezimieren konnten, sollte so der Tatsache vorgebeugt werden, dass viele Menschen einfach alles in Bier verwandelten, was ihnen an Getreide ins Haus kam – anstatt Brot daraus zu backen. Das Gebot darf also ursprünglich eher als Regulativ für die Lebensmittelwirtschaft verstanden werden, mit dem Hungersnöte, Leid und natürlich auch politischer Unfrieden verhindert werden sollte. Die Stilisierung zum „Reinheitsgebot“ erfolgte erst in der zweiten Hälfte des 19, Jahrhunderts, ehe die Vorschrift im 20. Jahrhundert als regelrechtes Marketinginstrument gar zur teilweisen Diffamierung internationaler Bierstile zum Einsatz kam.

Gerste zum Kauen?

Doch Gerste muss nicht zwangsläufig getrunken werden. Bis heute ist sie zwar von eminenter Bedeutung für die Bier- und Spirituosenherstellung, doch ebenfalls ein traditioneller Protagonist in vielen Küchen. Neben der Verarbeitung in Frühstücksflocken wurde und wird Gerste in vielen Fällen zu Graupen weiterverarbeitet. Graupen sind geschälte und polierte Getreidekörner (oder Grütze, also zerstoßene Körner), die durch den Herstellungsprozess einen stark erhöhten Vitamingehalt aufweisen.

Graupen waren früher zwar wesentlich stärker vertreten (in Deutschland beispielsweise wurden sie im Prinzip erst nach dem Zweiten Weltkrieg durch Reis und vor allem Nudeln „abgelöst“), sie sind aber bis heute ein traditioneller Bestandteil beispielsweise der deutschen, französischen und osteuropäischen Küche. Sie werden dabei teilweise als Brei, wie Reis oder als sättigende Einlage für Suppen und Eintöpfe verwendet.

Braugerste heute: Der Weg hinab?

So sehr auch mancher Brautraditionalist in der Craft-Bewegung den Niedergang der traditionellen Bierkultur sieht, kann man den Crafties, die auch andere Getreide verbrauen, die Schuld an folgendem nicht zuschieben: Der Anbau von Gerste ist seit vielen Jahren stark rückläufig.

Wer die Entwicklung von Bier in den meisten Märkten verfolgt, wird sich darüber nicht wundern, denn die Menschen in den Industrienationen trinken Jahr für Jahr weniger davon. Während Wein und hochwertige Spirituosen teilweise „wachsen“, bleibt Bier – von dem in Deutschland lange Zeit mehr getrunken wurde als in Flaschen gefülltes Mineralwasser – mehr und mehr zurück. Immer mehr Menschen verzichten auf das früher alltägliche, selbstverständliche „Feierabendbier“ und geben anderen Drinks oder Alkoholfreiem den Vorzug. Das trifft vor allem den Gersteanbau: Laut Informationszentrum Landwirtschaft ist der Anbau von Gerste in Deutschland seit Anfang des Jahrtausends bis 2013 (dem letzten Jahr mit belastbaren Zahlen) um rund ein Viertel eingebrochen. Waren 2001 noch rund 2,1 Millionen Hektar mit Gerste bepflanzt, sind es derzeit nur noch etwas mehr ein eineinhalb Millionen, die Produktion ging im selben Zeitraum von 13,4 Millionen Tonnen auf etwas mehr als 10 Millionen zurück.

Gleichzeitig verhält sich der globale Markt etwas anders. Zwar gab es auch dort Rückgänge und Schwankungen, nach dem Tiefstand mit einer Produktion in Höhe von 123,2 Millionen Tonnen im Erntezeitraum 2010/2011 hat sich der weltweite Ertrag in den Folgejahren wieder gesteigert, 2015/2016 wird er rund 139 Millionen Tonnen betragen. Den Höchststand seit der Jahrtausendwende hat allerdings das Jahr 2008/2009 mit etwas mehr als 155 Millionen Tonnen markiert.

Ob sich der deutsche Gerstenmarkt wieder erholen wird, mag letztendlich vielleicht doch in jenem Phänomen liegen, das man Craft Beer nennt. Denn während es bei den Bieren großer Konzerne in erster Linie darum geht, aus möglichst viel günstig eingekauftem Standardmalz die denkbar größte Menge Bier zu brauen, schärft die Neue Deutsche Bierszene bei immer mehr Konsumenten auch das Bewusstsein dafür, dass der Geschmack in den Zutaten liegt. Also auch in der Gerste und deren Menge.

Und dann gibt es ja auch noch Scotch. Da der schottische Whisky jedoch in den letzten Jahren schwächelt, muss man abwarten, welche Spirituose hier für die Gerste in die Bresche springt.

Credits

Foto: Gerste & Lupe via Shutterstock. Postproduktion: Tim Klöcker.

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