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Frau Dietrich in Linz: Der Herr Dietrich versteckt sich ganz hinten

Man muss wissen, wo man in der Linzer Altstadt hin will. Zum einen, um die Frau Dietrich Bar, das lokale Speakeasy, zu finden. Zum anderen aber auch, um ins Allerheiligste vorzustoßen, wo man über rare Rums und einen zur Klassik bekehrten Flair-Bartender staunt. 

„Die meisten wählen 69.“ So ist das eben im Speakeasy-Leben, wenn man den Leuten schon ein Telefon als getarnten Eingangstür-Summer vorsetzt. Das Haus am Linzer Marktplatz hat aber schon Schrägeres gesehen. Techno wummerte hier noch aus den Boxen, als die Liebesparaden längst weitergezogen waren. Davor war die heutige Frau Dietrich Bar auch schon ein französisches Restaurant. Schnecken und Knoblauchbutter waren kurz der Renner in Österreich, ehe die Nouvelle Cuisine kam. Das ist lange her. Und das Linzer Image als Stahlstadt, durch einen Song bundesweit breit getreten, an den sich heute nur noch graumelierte Gäste erinnern, hatte damals noch was Hartes an sich. Ruhrpott en miniature, sozusagen.

„Stahlstadtkinder“ hieß dieses Lied von „Willi Warma“. Denn die Voest-Alpine, einst verstaatlichtes Sorgenkind, jetzt ein Global Player, prägte die Stadt. Heute würde man die Linzer wohl „no nonsense-people“ nennen; nur vom Schmäh wie anderswo in der Alpenrepublik will man hier nicht leben. Das Leistungsprinzip sitzt in den Arbeiter-Genen, der Oberösterreicher trennt fleißiges Schaffen gerne vom Exzess (den er natürlich umso mehr ersehnt). Entsprechend gut passt Teresa Müller in das Frau Dietrich, auch im vollsten Haus steckt sie die Grenzen zwischen beiden Welten ab. „Hinter die Theke geht keiner!”

Marlene ist nicht die einzige Patin

Denn Speakeasy und Größe schließen sich nicht aus; bis zu sieben Personen (inkl. Abwäscher) sorgen hier am Wochenende für reibungslosen Ablauf. Die Raumaufteilung der Vorgänger-Lokale wurde beibehalten, und so folgt man einem langen S, bis man auch den „Herrn Dietrich“ trifft. Der heißt eigentlich Tom Hausknecht und kann über diesen Spitznamen nur lachen. Denn der Besitzer der besten Bar von Linz heißt Michael Kreuzer. Schließlich liegt die namensgebende Frau Dietrich – Vorname: Marlene – längst in der Berliner Erde. Die Linzer Frau Dietrich lernte „Michi“ Kreuzer nämlich erst kennen, als die Namensgebung schon stand. „Da stand dann plötzlich eine Anwohnerin im Lokal, die seit 50 Jahren hier wohnt – und die hieß tatsächlich Frau Dietrich.“ Merkwürdiger Zufall, doch mittlerweile hat uns bereits „Herr Dietrich“ in Beschlag genommen.

40 Whiskys, 80 Rums und 70 Gins, um ein paar Zahlen zu nennen, verzeichnet die Retro-Tafel mit der gedruckten Kreideschrift in Toms Reich. Raritäten und die Neuanschaffungen erfragt man aber besser direkt bei ihm. Speziell in Sachen Gin dürfte keiner fitter sein. Denn mit der Weltrekord-Bar Stollen 1930 und ihren zuletzt 870 Gins poppte Hausknecht in Österreichs Barszene auf. Erlernt hat er – halb Deutscher, halb Tscheche – das Handwerk in der legendären Tretter’s Bar in Prag. Über Brandenburg und eine Zeit als Flair-Fan landete der stets gut gelaunte Mann mit dem “The Bartender”-Tattoo am Rühr-Arm dann in Tirol.

Glühwein für meinen Old Fashioned

„Das extrem entspannte Publikum von Linz“ wird im hintersten der fünf Räume von ihm vornehmlich mit Klassikern versorgt. Wenn es experimenteller wird, geht es um Cold Dripping (etwa mit Tequila und der süßen “Manner-Schnitte“, der legendären Austro-Nascherei), Sirups oder Infusionen, die dann wieder bekannte Rezepturen befeuern. „Mandarinen-Mojito, Ananas-Rum oder Gurken-Vodka“, zählt Hausknecht das aktuelle Arsenal auf. Sein mit Glühwein-Rum servierter Old Fashioned verschwindet aber gerade von der Karte, die im Zeitungshalter im Stil der 1930er gereicht wird. „War im Winter der Renner“, doch demnächst steht eine neues Cocktail-Menü an.

„Wir wechseln nicht zu oft“, gibt sich auch Eigentümer Michi Kreuzer pragmatisch. Mit 70 Drinks, davon neun Eigenkreationen, komme man gut durch. Doch Signatures wie der Dietrich Swizzle (von Flo Saxinger, heute Herzog/München, kreiert), Lady in Red (von Mike Schmitt, heute bei Pernod Ricard) oder Hausknechts spektakulär, blutroter From Hell mit Gin und Erdbeeren werden bleiben. Das Preis-Niveau mit rund 10,50 Euro für die meisten Cocktails entspricht der drittgrößten Stadt Österreichs. Das dreijährige Jubiläum feierte man vor wenigen Monaten, für den Cocktail-Nachwuchs hat Kreuzer den Steinwurf einer ausgezehrten Großmutter entfernt seine Tiki-Bar eingerichtet.

Da kann sich selbst Wien etwas abschauen vom liebevollen Dekor. Der Dietrichsche Kosmos wird in diesem Jahr aber noch erweitert: „Mitte April sperrt als dritte Location am Platz unsere neapolitanische Pizzeria auf“, so Michi Kreuzer. Damit die Barfliegen zu Zombie und Rum Old Fashioned auch eine entsprechende Unterlage haben, wie man in Österreich sagt.

Frau Dietrich Bar: In der Stahlstadt darf’s was kosten

Bei Frau Dietrich hingegen agiert man ernsthafter, zumindest dort, wo Hausknecht residiert. Denn der hat sich mittlerweile schon eine echte Sazerac-Fangemeinde herangezogen unter den Poker-Spielern, die tageweise für echtes Speakeasy-Flair sorgen. Dazu trägt auch bei, dass der alte Charme der Einrichtung (wer die TV-Serie kennt, sie hat was von „Robin’s Nest“) beibehalten wurde. Dennoch ist man nicht einfach ins Techno-Bistro außer Dienst eingezogen. Wer genau schaut, sieht an manchen Details den Schalk von Besitzer Michael Kreuzer durchblitzen. „Steter Tropfen nässt das Bein“, nimmt man als Klo-Weisheit von einer der wenigen neuen Fliesen mit. Da muss man ja fast den nächsten Drink bestellen – nach dem Händewaschen, versteht sich!

Und das kann durchaus auch ein Old Fashioned mit dem rarem Unión von Havana Club sein. Denn cool war man in Linz „eh scho imma“, nun kann man es fallweise sogar dekadent. Herrn Dietrich freut’s offensichtlich. Die Frau Dietrich ebenso.

Credits

Foto: Foto via Frau Dietrich.

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