FÜNF! Klischees über Bar-Journalismus

Der böse Cocktail-Schreiberling! Schon wieder hat er zugeschlagen! Was erlaubt sich dieser abgehobene, versoffene Schnösel eigentlich? Der darf das doch gar nicht. Verreißt einfach meine Bar! Irrtümer über den Bar-Journalisten gibt es in Hülle und Fülle. Schauen wir uns FÜNF! der wichtigsten heute einmal genauer an. Vielleicht gibt es ja ein wenig Aufklärung.

Der Kritiker als Unsympath, ein altes Bild. Was erlaubt sich dieser inkompetente Schnösel eigentlich? Als ob der eine Ahnung von meinem Beruf hat! Das Schreiben über Bars, Cocktails und Bartender ist – ganz im Gegensatz zu den großformatigen Kugeln und Würfeln im Cocktailglas – mitunter sehr, sehr dünnes Eis. Ein großes Problem ist die Zweischneidigkeit aus Netzwerk und Glaubwürdigkeit: Ohne gute und viele Kontakte zu Bartendern und anderen Gestaltern der Szene kann ein Journalist nur schwerlich gut und fundiert über die Barszene schreiben. Gleichzeitig wird es dadurch schwierig, kritische Töne auszupacken. Doch schließlich möchte der Journalist doch ehrlich sein und auch Negatives nicht verschweigen.

Überhaupt, und damit haben wir des flüssigen Pudels Kern erreicht: das kritische Wort. Der Umgang damit scheint nach wie vor ein heikles Pflaster zu sein. Was die Restaurants dieser Welt schon lange kennen, die Schriftsteller und Musiker sowieso, ist für die Bar noch immer vergleichsweise jung. Das schürt Wut und Antipathien. Gegen den Autor manch skeptischen oder kritischen Textes. Oder gegen ganze Magazine. Wir nutzen den Sonntag, um ein wenig aufzuräumen. Mit FÜNF! Klischees, die einem bisweilen entgegen schwappen, wenn man sich herausnimmt, über Bars zu schreiben.

1) Umsonst saufen

Es ist erstaunlich, aber viele Bartender denken, dass Journalisten oder andere Vertreter der Fachpresse (wenn sie denn am entsprechenden Tresen bekannt sind) für ihre Drinks nicht zahlen wollen oder müssen. Als hätten gerade Fachautoren kein Verständnis dafür, dass ein guter Drink auch Geld kosten muss. So geht die Mär um vom Freidrinks suchenden Schreiberling, der sich für wenig Geld einen ansäuft, nur um im Nachhinein auch noch unflätig über die Bar herzuziehen.

Es ist natürlich Blödsinn, zu meinen, das Konstrukt „Bar-Journalismus“ könne auf solch einem gedanklichen Konzept aufbauen. Für Drinks wird gezahlt, in unserem Fall sind sie sogar betriebliche Ausgaben. Also selbstverständlich. Ein Autor, der sich überall nur einladen lässt, gefährdet vor allem seine Integrität. Das heißt mitnichten, dass ein Glas aufs Haus ausgeschlagen wird – auch das wäre unhöflich. Aber seien wir ehrlich: Darüber freut sich ein jeder Bartender ebenso.

2) Der Journalist als verhinderter Bartender

Besonders aus der Musik- und Literaturkritik kennt man das Klischee: Wenn’s schon für die Karriere als Gitarrist nicht gereicht hat, kann man wenigstens noch andere Bands verreißen. Wenn die Verlage die eigenen Romane abgelehnt haben, darf man wenigstens noch auf jenen Schriftstellern herummäkeln, die es mit ihren Texten bis zur Buchform geschafft haben. Ist das nicht bei Bars genauso? Sind nicht Cocktailjournalisten und Blogger nur verhinderte Bartender, die ihr mittelmäßiges Talent nun in der schreibenden Zunft ummünzen?

Dass viele der anerkanntesten Fachautoren ehemalige oder noch aktive Bartender sind, lässt sich nicht leugnen. Ihnen in Konsequenz dessen vorzuwerfen, sie würden „nur“ schreiben, weil es an der Bar nicht für den großen Wurf gereicht hat, ist dagegen furchtbar falsch. Das Problem liegt vor allem beim Wörtchen „wenigstens“, das im Absatz zuvor gefallen ist: Ist das Schreiben über Bars weniger Wert als das Wirken hinter selbigen? Nein. Es ist nicht vergleichbar. Es ist etwas völlig anderes. Und eine Szene braucht Menschen, die aus neutraler Position Themen und Vorgänge beleuchten, die sich die Freiheit herausnehmen, Dinge zu bewerten. Subjektiv bleibt es ohnehin in jedem Falle, zumindest in einem gewissen Maße.

Hinzu kommen freilich viele Journalisten, die niemals oder nur sporadisch selbst hinter einer Bar gearbeitet haben. Aber macht sie das zu schlechteren Autoren? Waren nicht die oft wegweisenden Kritiker oft Menschen, die in ihrem Milieu niemals selbst aktiv waren? Würde jemand einem Wolfram Siebeck seine Kompetenz absprechen? Ist mit Argumenten oder Beispielen untermauerte Kritik an einem Old Fashioned weniger Wert, wenn der Schreibende nie selbst einen verkauft hat? Die Antwort sollte auf der Hand liegen.

3) Berufsalkoholismus

Man soll ehrlich sein: Das Prä-Feierabend-Bier am späten Nachmittag gehört auch in den Räumen der MIXOLOGY-Redaktion fast jeden Tag dazu. Ebenso wie natürlich das Verkosten in rauer Mengen eintreffender Produktproben und Neuheiten. Und natürlich regelmäßige Besuche in Bars. Falls im Sommer zum Lunch der Redaktionsgrill angefeuert wird, gibt es eben auch schon mal Mittags ein kaltes Tegernseer. Und sollte einem eine Pressereise die Gelegenheit geben, mit anderen Fachleuten und Freunden mal ein Gläschen mehr als unbedingt erforderlich zu nehmen, kommt auch das vor.

Trotzdem ist das Bild vom den ganzen Tag saufenden Cocktail-Journalisten leider, leider falsch und ziemlich weit hergeholt. Wer jeden Tag früh am Morgen (nach Bartender-Maßstäben mitten in der Nacht) das Bett verlässt, um ins Büro zu fahren (und möglicherweise gar vorher noch die Kinder in den Kindergarten), der kann sich das auch gar nicht erlauben. Hier zeigt sich eine der wenigen unverkennbaren Gemeinsamkeiten mit dem Beruf hinter dem Tresen: Alkohol gehört irgendwie dazu. Aber wie auch an der Theke muss man damit umgehen können.

4) Es geht nur ums Geld

Ein irgendwie infamer Vorwurf, oder? Dazu muss man vor allem zuallererst eines Wissen: Ab und zu auf eine Pressereise und damit zur Übernachtung in einem teuren Hotel in einer Cocktailmetropole eingeladen zu werden, macht einen ebenso wenig reich wie das Schreiben über 20-Pfund-Cocktails aus dem Artesian. Denn wie in allen Medienberufen liegt auch im Bar-Journalismus das Geld nicht eben locker herum. Bar-Journalisten sind also in den aller seltensten Fällen Großverdiener.

Ein erschlagender Großteil aller Fachautoren ist vor allem eins: Überzeugungstäter, die die Liebe zum Thema professionalisiert und damit zum Beruf gemacht haben. Sie wissen, dass der Besuch einer Bar noch lange keinen fertigen Artikel macht, sondern Schreibarbeit erfordert, so wie der nervige Schlussdienst nach einer coolen Schicht. Dass die Deadline drückt, so wie beim Bartender die Inventur zum Monatsanfang. Dass der Redakteur nervt, weil nachgearbeitet werden muss, so wie der F&B-Manager will, dass man einen viel besseren Rum durch einen anderen ersetzt, weil es dafür Rückvergütung gibt. Der Vorwurf, man mache das alles nur des Geldes wegen, ist ebenso hohl wie widersprüchlich. Oder gibt es einen Bartender, der wirklich nur wegen der Liebe zum Beruf am Tresen steht, und nicht, weil er davon auch leben will?

5) Die machtgeile Arroganz

Schwarze Schafe gibt es überall. Sicher auch an der Schreibmaschine bzw. dem Laptop. Jene Menschen, die sich zur schreibenden Zunft aufgeschwungen haben, weil sie dadurch ihre sadistische Ader ausleben und andere schlechtmachen können. Allein, damit kommt man nicht weit. Womit wir wieder beim Anfang wären:

Das kritische Wort gehört dazu, aber es ist kein Selbstzweck. Es ist Teil eines journalistischen Prozesses und kann auf ebenso viele Weisen zustande kommen, wie es sich schlussendlich äußert. Es kann auf einer persönlichen Perspektive, auf empirischen Erfahrungen oder auf der klassischen Recherche basieren. Es kann sich sachlich äußern, humoristisch oder in manchen Fällen auch satirisch. Damit umgehen zu können, ist für die Besprochenen nicht immer leicht, so wie es immer mit Kritik ist. Aber das ständige Vorwurfsgemenge aus „Hochnäsigkeit“, „Arroganz“, „Mangelnder Neutralität“, „Eindimensionalität“ oder schlichtweg „Inkompetenz“ wird mit der Zeit gleichermaßen nervig, öde und substanzlos. Ernste, kritische Äußerungen gehören dazu. Sie mögen dem Betreffenden nicht gefallen, aber sie werden ihn nicht umbringen.

Das betrifft Bars oder Personen ebenso wie Marken. Den Barbetreiber, der den Vorabbericht über seine Bar bejubelt, aber drei Monate später böse wettert, weil man sich skeptische Worte über die dort gereichten Drinks gestattet hat. Oder den Importeur, der die gute Platzierung seines Tequila in einer Verkostung unter großem Bohei verbreitet und hochjazzt, nur um der selben Runde von Testern einige Monate später vorzuwerfen, sie sei inkompetent und nicht neutral, weil sein Wermut nicht so gut abgeschnitten hat wie erhofft. Aber so etwas – klare Worte – braucht man. Wie jeder andere Bereich auch. Auch, wenn sie einem punktuell nicht passen. Das hat nichts mit Arroganz oder einem machtgeilen Journalisten zu tun, der andere abkanzeln will. Sondern mit Wertschätzung. Auch das kritische Wort trägt diese in sich. Alles andere ist Kinderkram und gehört auf Facebook.


Comments

3 responses to “FÜNF! Klischees über Bar-Journalismus”

  1. Jörg Kalinke Avatar
    Jörg Kalinke

    Danke, Nils, schön geschrieben und aus Sicht beider Seiten!

  2. Gerhard Mohr Avatar
    Gerhard Mohr

    Schöne, mit einer zum Thema gegensätzlichen Leichtigkeit geschriebene, Lektüre. Flüssig zu lesen.

  3. schlimmerdurst Avatar
    schlimmerdurst

    Wenn das so ist, werde ich doch lieber Feuerwehrmann.

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