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Golden Pineapple Bar Berlin

The Golden Pineapple Bar: Tiki trifft Regionalität

Aufhören und verkaufen? Nein. Mit gesunder Selbstreflexion und etwas griechischer Inspiration wurde die My June Bar zu The Golden Pineapple. Carsten Schröder und sein Barchef Jürgen Wiese über alte Einsichten, das neue Tiki-Konzept und viel deutschen Rum.
Während Sie, werte Leser, den Zeilen dieses Textes folgen, befindet sich sein Autor möglicherweise bereits am palmengesäumten Strand einer der rund 7.100 Inseln der Philippinen, in der einen Hand stilecht die Kokosnuss, in der anderen eine Dosis Freiheit, das zu tun, was er will. Vielleicht aber ist er dann auch gerade in Manila, schwitzt, arbeitet und verwünscht die tropisch-heißen Straßenschluchten der Millionenmetropole. Perspektiven.

Tiefe Wolken in der My June Bar

Kalendersprüche sind ja meistens diese elendige Binsenweisheit, plump in Textform und doch voller erdrückender Weisheit. Man möchte sich ihrem Wahrheitsgehalt nicht ergeben, obwohl sich dieser aufdrängt. „Aufgeben widerspricht der Aufgabe“ wäre zum Beispiel ein solcher Aphorismus. Kurz, prägnant, aber eben auch elendig plakativ und pauschal simplifiziert. Und so kann ein solcher Sinnspruch immer nur im Kontext mit einer konkreten Perspektive stehen und Aussagekraft entfalten.
In Carsten Schröders My June Bar hingen die Wolken tief. „ Wir standen kurz davor, die My June-Bar zu schließen und den Laden zu verkaufen. Viel gefehlt hat nicht“, so der Barbesitzer, der mit seiner Bryk Bar, die nur unweit entfernt liegt, solche Schwierigkeiten kennt. „In der Bryk Bar haben wir auch knapp zwei Jahre gebraucht, bis wir uns einen Namen gemacht hatten und die Leute regelmäßig kamen“, so Schröder weiter. Doch scheinbar ging der Trend bei der My June Bar einfach in eine andere Richtung. Nach einem fulminanten Start im Winter 2016 blieb das Publikum 2017 weitestgehend aus.
Der Berliner Schröder erklärt sich das so: „Ich glaube, wir haben uns auch mit dem Namen ein wenig verschätzt. My June ist ja diese nachbarschaftliche Bar, die es auch schon damals gab. Wir haben das Konzept übernommen und wollten weiter Easy-Drinks in sympathischer Atmosphäre anbieten. Der Besucher konnte sich unter unserem wertigeren Konzept nichts vorstellen.“

Den Kompass neu ausgelegt

Im Oktober war dann der Moment gekommen, in dem man sich als Team zusammensetzen musste, um zu entscheiden, ob und wenn ja, wie es denn weitergehen könnte. Es war dann auch Alexandra Bühler, die mit ihrem Projekt Barstalker die Bars dieser Welt bereist, die durch ihre Freundschaft mit den Kollegen aus dem Athener Baba au Rum eine Pop Up-Idee während des BCB in die Bar in Berlin holte. Das kam an und erreichte das Publikum.
Man hatte jetzt zumindest einmal einen neuen Ansatz gefunden. Ob und wie dieser funktionieren könnte, war alles andere als klar. Klar war aber, man wollte sich abgrenzen. „Wir wollten eine Art Gegenkonzept zum seriösen Trinken schaffen. Trinken soll auch Spaß machen und ja ohne Reglementierung als freizügige Parallele zur Entstehungsgeschichte des Rums funktionieren. Sich nicht allzu ernst nehmen war unser Ziel“, so Jürgen Wiese, überzeugt von dem neuen Projekt.

The Golden Pineapple war geboren

Und so hangelt das Konzept sich nicht nur entlang der Entstehungsgeschichte des Rums, es begegnet der Spirituose in der modernen Zeit und wartet ein Angebot von ca. 60 deutschen Rumsorten auf. „Ich habe viele kleine Brenner kontaktiert, viel recherchiert und eine schöne Selektion zusammengestellt“, so Wiese.
Nicht alleine grenzt sich das The Golden Pineapple hier von Mitbewerbern ab, es setzt die Idee auch konsequent in ihrem Menü um. So liegt der Fokus in der Gestaltung der liquiden Highlights vor allem auf der Fusion zwischen Tiki und Regionalität. 20 Tiki-Drinks habe man auf der aktuellen Karte, zusätzlich gibt es auch noch abgewandelte Highball-Varianten. So zum Beispiel eine flüssige Hommage an den bekannten deutschen Traum eines jeden Kaffeekränzchens, die Schwarzwälder Kirschtorte. Als „Schwarzwald Zombie“ betitelt, vereint der Drink 8-jährigen Rum mit einem Kirschbrand, Amaro sowie einer Portion Chocolat Bitters und wird durch ein selbsthergestelltes Malzsirup vollendet.
Auch mit dem „Scorpion Helene“ wird der deutschen Brennerkultur gehuldigt. So vereint die Komposition Rum, Williamsbirne, Birnensaft, Amaro und Weißbrand. Hochprozentig ja, verflucht gut, zweifellos.

Nächster Halt: Berlin – Südsee

Auch optisch hat man die Veränderung stilecht in Szene gesetzt. Es säumen nun Palmpflanzen und Tiki-Masken den Weg, ein Stück karibische Identität prangt von der exotisch-bunt bemalten Tapete. Aber eben auch nur ein Stück. Denn das Golden Pineapple will Brücken bauen zwischen Kulturen und ein Klima schaffen, in dem sich diese ergänzen und befruchten. So lodert zwar elegant und vom Bartender klassisch mit Holz befeuert der Kamin als Symbol unserer Breiten, doch schweift der Blick des Gastes auf die mit einer Inselkarte der Karibik versehene Wand der Bar, auf dem Weg, sich auf eine erwärmende Rumreise zu begeben.
Unterstrichen wird dies durch das unglaubliche Gastgebertum Wieses. Der Münchener Vollprofi versteht es, mit jedem Gast eine unterschiedliche Sprache zu entwickeln, den Kenner an besondere Destillate heranzuführen und den Einsteiger mit einem klassischen Produkt anzufixen. Wohlwissend, wie er die Botschaft seines damaligen Protegé noch heute ein wenig schlitzohrig predigt: „Der erste Drink muss stark sein, der Zweite schwach. Der Dritte dann stärker als der Erste und dann, ja dann nimmt der Gast vielleicht auch einen Vierten. Vorausgesetzt, sie schmecken.“

The Golden Pineapple Bar zeigt Mut zur Veränderung

Und doch ist es am Ende nicht einmal das eigentliche Konzept, das die neue alte Bar im Prenzlauer Berg so originell und sehenswert macht. Es sind viel eher die dort arbeitenden Menschen. Nicht selten lügt sich der Bartender einen in die Tasche, nicht selten werden finanzielle Engpässe in aller Öffentlichkeit nicht thematisiert. Umso löblicher ist es zum einen, dass Schröder und Wiese introspektiv rekapituliert und sich damit notwendigerweise auch Fehler eingestanden haben.
Diese ehrliche Herangehensweise des „Wir machen weiter“ ist unter finanziellen Gesichtspunkten nicht nur äußerst mutig, sie sagt zudem viel über die Barschaffenden aus. Es ist nicht alles Gold, was glänzt. Diese Berliner Ananas allerdings trägt bereits jetzt einen gleichfarbigen Hoffnungsschimmer!

Credits

Foto: Craft Circus

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