TOP

Es schlägt Gin o’ clock im Berliner House of Gin

Noch eine Gin-Bar? Was manchen Bartender nervt, kommt bei den Gästen gerade erst so richtig an. Seit Kurzem erstrahlt daher im Palace Hotel das neue House of Gin. Was zunächst nur nach einer weiteren Gin-Bar klingt, ist in Wirklichkeit etwas anderes: der nächst Schritt in der Entwicklung der Hotelbar.

Hotelbars in Berlin. Lange ein Stiefkind der hauptstädtischen Barkultur. Seit einiger Zeit kommt endlich Schwung in die Hotellerie. Neueröffnungen widmen ihrer Bar eine selbstverständliche intensive Aufmerksamkeit bei der Planung. Endlich erkennen auch bewährte Häuser das Potenzial ihrer lange vernachlässigten, oftmals faden Tresen. Aktuelles Beispiel ist das Palace Hotel, welches das Kapitel der alten Sam’s Bar schloss und mit der House of Gin Bar ein neues Kapitel schreibt. Nein, kein Kapitel. Ein ganzes Buch!

Von Avantgarde und Tradition

Wer als Barfly London erlebt, lernt sofort die besondere Beziehung der Einheimischen zu ihren Hotelbars kennen. Ehrwürdige Tradition trifft auf die Avantgarde der Mixologie der englischen Hauptstadt. Duke, Connaught, Savoy oder Artesian: hier wurde und wird Cocktailgeschichte geschrieben. Spektakuläre Neueröffnungen gesellen sich ständig hinzu.

In Deutschland ist wohl Hamburg die Stadt, welche die bewährteste Tradition und Qualität in den Hotelbars pflegt. Beispielsweise im Vier Jahreszeiten oder im The George. In Frankfurt am Main begannen dann erste zeitgemäß-moderne Barkonzepte, in die Hotellerie Einzug zu halten, und Bars wie jene im Roomers oder das Gekkos erlangten im ganzen Land bald einen hohen Bekanntheitsgrad. München, Köln oder Berlin entwickelten sich beständig weiter zu Barstädten allererster Güte, aber selten waren es zuvorderst die Hotelbars, die bei der Frage nach den Top-Adressen der Cocktailkunst genannt wurden. Es waren — und sind — die unabhängigen Bars, die für Furore sorgten.

Vorhang auf für Hotelbars

Und allmählich startete die Hauptstadt dann doch durch. Der famose Curtain Club im Ritz-Carlton Hotel beweist, auf welch großartige Weise die eher konservative Hotellerie belohnt wird, wenn man einem kompetenten Barmanager vertraut und neue, kreative und experimentelle Wege geht, ohne dabei den grundlegenden Stil des Hauses außer Acht zu lassen. Internationale Aufmerksamkeit und vielfache Auszeichnungen aus kulinarischen Fachkreisen für Arnd Henning Heissen und sein großartiges Team sind wohlverdient und werden täglich aufs neue unter Beweis gestellt.

Mit der Amano Bar gesellte sich eine moderne Variante von Bar hinzu. Eine Hotelbar, die eigentlich eine Bar ist, die sich nur zufällig in einem Hotel befindet. Heute repräsentieren Cocktailorte wie die Monkey Bar, Bijou Bar oder die Bar am Steinplatz eine neue Generation von hauptstädtischer Hotelbar.

Andere Orte ringen um eine Positionierung und man ahnt das Dilemma der vielen Köche, die den Brei verderben: Hoteldirektoren, Designer, Food & Beverage Manager — bei den großen Ketten oftmals nur geringfügig mit den Eigenarten und Bedürfnissen der Gästestruktur vor Ort vertraut. So wirken zuweilen Orte wie die Envy Bar, Lang Bar oder Grace Bar noch unstet und auf der Suche nach dem richtigen Konzept, dem idealen Team und der schmackhaften Rezeptur.

Verschlafene Beständigkeit als Tugend?

Die oben genannten sind zum Großteil eher Neueröffnungen. Was machen die altbewährten Hoteladressen? Manchmal nix. Da wird Lobby-Bar nach Schema-F gefahren, Drinks der 90er Jahre in vergilbten Barkarten annonciert und uninspiriert auf mittelmäßigem Eis in angestaubtem Ambiente an hilflose Gäste ausgeschenkt, die rasch begreifen, dass sie besser einfach nur ein Bier bestellt hätten.

Aber: immer mehr der klassischen Hotels der Spreemetropole begreifen, dass Bar nicht nur selbstverständliches und unreflektiertes Beiwerk sein muss, sondern dem Ruf eines Hauses zu stärken und aufzufrischen vermag.

Das Palace Hotel liegt in dem Epizentrum Westberliner Hotelkonzentration zwischen Lützowplatz und Kurfürstendamm. Etliche Dutzend Hotels sind hier auf engstem Raum konzentriert. Das Palace ist eines der raren unabhängigen und familiengeführten Hotels, Mitglied im Verband der Leading Hotels of the World, und verfügt mit dem „First Floor“ über ein Michelin-besterntes Restaurant mit herausragender Küche und exzellenter Weinberatung. Der Gang in die erste Etage war der einzig wahre Pfad, den Gourmets erwägen konnten, einzuschlagen. Endlich lohnt es sich, auch den Ground Floor kulinarisch wahrzunehmen, wo in der umgestalteten Bar, dem neu eröffneten „House of Gin“, nun die Drinks gereicht werden.

Alles neu macht Gin & Tonic noch immer!

Wenn eine Bar sich derzeit ein thematisches Konzept ausdenkt, so ist Gin & Tonic dabei sicherlich weder besonders überraschend, noch extrem originell. Aber wo der Bartender womöglich bereits eine Überdosis feststellt, starten die Gäste in ihrer Wacholder-Chinin-Begeisterung erst so richtig durch. Diesem Bedürfnis entspricht die Bar. Und wer den Barchef Marcus Wolff in seinen letzten Engagements erlebte, der weiß, dass hier jemand nicht auf einen fahrenden Zug aufspringt, sondern Leidenschaft und Erfahrung für den trendigen Longdrink überzeugend mit an seine neue Wirkungsstätte trägt. Wolff bekennt: “Es führt der Weg meiner Karriere allein über den Alkohol. Kollegen waren schuld!“ Seine große Liebe ist der Champagner, aber als Mätresse kokettiert Lady Tonic doch gerne und sehr leidenschaftlich mit Sir Gin.

Für jemanden, der noch vor Kurzem in der Bar Marques, Wolffs letzter Wirkungsstätte, keine schriftliche Barkarte anbot, mutet das dicke Buch im Haus of Gin sehr überraschend an. Jedem der etwa 150 Gins ist eine Seite gewidmet. Mit Bild und sorgsam handgeschriebenem Informationstext handelt es sich bei dem gewichtigen Kompendium beinahe um ein Lehrbuch, das zudem ständig aktualisiert wird. Die Tonic-Empfehlungen des Barteams sind auch gleich mit auf jeder Seite vermerkt. 13 Tonics umfasst die aktuelle Kollektion.

Keine Malariagefahr

Tropenkrankheiten wie Malaria galt es, in den britischen Kolonien wirksame Medizin entgegenzusetzen. Das bittere Chinin wurde mit Zucker und Soda schmackhafter gemacht, aber mit Gin mundete es natürlich besonders gut. Die dunkle Holztäfelung, passende Lampen und Übersee-Truhen erinnern als Accessoires an jene Kolonialepoche. Old School Atmosphäre dominiert die Bar mit Teppichboden in Rot und Gold. Die Wände zieren moderne Kunstfotografien von Menschen, ihren Gesten und Gesichtern. Ein angenehmer und moderner Bruch.

Man würde in dieser höhlenartigen Schatzkammer so gerne eine Zigarre zücken, muss dafür aber in andere Räumlichkeiten im Hause ausweichen. Die Bar selbst bleibt rauchfrei. Selbstverständlich bietet das engagierte Barteam ebenso reguläre Cocktails an, auch mit anderen Spirituosen. Originelle Eigenkreationen mit lokalen Zutaten wie Berliner Brandstifter, oder holzgereifte Cocktails machen neugierig.

Frischer Wind an bewährter Stätte. Das Palace Hotel bleibt nicht nur ein Ort für speisentechnische Höhenflüge und traumhafte Rebensäfte, es entwickelt sich auch in Angelegenheit der gemischten Drinks wunderbar weiter. Und wer diese eindrucksvolle Gin-Karte zur Hand nimmt, wird bestätigen: Es handelt sich nicht nur um ein neues Kapitel, sondern gleich um ein neues Buch!

Credits

Foto: Stefan Schäfer/ Hotel Palace Berlin

Kommentieren