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„Wir brauchen Bars wie das PDT noch immer!“

Der Name Jim Meehan gehört zu den klangvollsten, die das internationale Bar-Business zu bieten hat. Wir haben den umtriebigen Amerikaner zum Gespräch getroffen. Im Zentrum der Unterhaltung: Die Frage, ob der Punch wirklich großflächig für Furore sorgen kann, und danach, wie sich etablierte Gedanken und Ideale der heutigen Bar sinnvoll und zeitgemäß weiterentwickeln lassen.

Will man über die weltweite Entwicklung der Bar in den letzten 10 Jahren sprechen, kommt man an Jim Meehan nicht vorbei. Der ehemalige New Yorker, der als federführender Kopf der ehemals als „World’s Best Bar“ prämierten Bar PDT gewaltigen Ruhm erlangte, ist jedoch noch vieles mehr. 2015 dominierten vor allem der Verkauf von Banks Rum an Bacardi und die damit verbundenen öffentlichen Diskussionen um die Integrität der Marke das Leben von Jim Meehan. Wir haben ihn zum ausführlichen Interview getroffen.

MIXOLOGY: Mr Meehan, woran denken Sie eigentlich als erstes, wenn die deutsche Barszene erwähnt wird?

Jim Meehan: (Ohne zu zögern) An die Qualität ihrer Bartender! Ich meine das völlig ernst. Nur japanische Bartender und ihre selbst auferlegte Verpflichtung zu Exzellenz und Professionalität ist vergleichbar. Kurz danach kommt dann schon die Liebe der deutschen Bartender zu Champagner und Gin & Tonic.

Banks genießt unter den Bartendern im deutschsprachigen Raum einen hervorragenden Ruf. Sehen Sie die Gefahr, dass dieser Ruf nun in der Folge der Übernahme durch Bacardi leiden könnte?

Es gibt diesen Irrglauben, dass mit einer hochwertigen, kleinen Marke alles den Bach runter geht, sobald eine große Firma mit einsteigt oder sie kauft. Es gibt dazu ja auch anschauliche Beispiele aus der Vergangenheit. Aber für eine kleine Firma ist es nahezu unmöglich, über ein gewisses Maß hinaus zu wachsen, ohne die Vertriebskanäle und Kapazitäten einer größeren in Anspruch zu nehmen.

Es braucht eine Armee, um eine Marke aufzubauen, und wir waren – um im militärischen Jargon zu bleiben – eigentlich schon besiegt und in der Unterzahl, als wir Banks lanciert haben. Wir haben auch gemerkt, wie wir seitdem einfach an Schwung verloren haben. Unter der Regie von Bacardi haben wir nun Zugriff auf einige der besten Marketing-Köpfe der Industrie, außerdem globale Distributionsstrukturen und wertvolle Kontakte. Für uns aber hat sich nichts verändert, auch nicht meine Bindung und Verpflichtung gegenüber der Marke. Und ich bin natürlich stolz, die erste Rum-Marke überhaupt mit entwickelt zu haben, die jemals von Bacardi übernommen wurde.

Wie ist nach der Übernahme Ihre genaue Funktion bzw. Position im Banks-Universum? Hat sich auch ihre tägliche Arbeit wirklich nicht geändert?

Meine öffentliche Funktion als Brand Ambassador bleibt komplett dieselbe, und auch „hinter den Kulissen“ bleibt alles beim Alten: Da geht es für mich weiter um Strategieentwicklung, Weiterbildung für Bartender, Kommunikation und einzelne, spezielle Projekte – wie z.B. unser neues Punch-Buch, aber auch simple Artikel wie Bartools.

Die eigentliche Veränderung ist, dass sich die Arbeit von einer handvoll Menschen auf ein immens größeres Team verteilt hat. Das erlaubt uns – seit Bacardi uns gekauft hat – wirklich auf einem globalen Marktplatz aktiv sein zu können. Es war für mich von Anfang an ein großartiger Lernprozess, auf der „Markenseite“ unserer Branche zu arbeiten, und seit Bacardi mit an Bord ist, verläuft dieser Lernprozess noch wesentlich steiler. Das ist schon toll!

„Es gibt diesen Irrglauben, dass mit einer hochwertigen, kleinen Marke alles den Bach runter geht, sobald eine große Firma mit einsteigt oder sie kauft.“

Aktuell, Sie haben es schon angesprochen, benutzt Banks vor allem die wiedergeborene bzw. wiederentdeckte Punch-Kategorie, um seine Rums in Szene zu setzen. Seit grob zwei Jahren hört man Brancheninsider – Bartender, Fachmagazine und Industrievertreter – vermehrt über dieses Phänomen sprechen, man redet, wie so oft, von einer Renaissance. Bei einer größeren Schicht von Verbrauchern scheint diese Wiedergeburt allerdings noch auf sich warten zu lassen. Ist denn der von vielen Menschen geteilte Punch aus einer Bowl Ihrer Meinung nach überhaupt eine Gattung, die in einer Zeit, in der es von Tag zu Tag mehr um Individualität geht, einen festen Platz in der Bar- und Genusskultur einnehmen kann?

Es hat ja auch einige Jahre gedauert, bis „richtige“ Cocktails aus der Nische heraus wieder zu einer breiteren Popularität gelangt sind. Ich glaube, das lag auch daran, dass es ganz simpel an so grundlegenden Dingen wie vernünftigen Werkzeugen, Gläsern, vor allem aber an Fachliteratur und anderem Material zur wirklichen Weiterbildung gefehlt hat, als dass man eine vielseitige, dynamische Cocktailkultur daraus hätte aufbauen können. Heute – 10 Jahre, nachdem Nick Strangeway  sein erstes Punch-Konzept in London startete und sechs Jahre nach David Wondrichs Buch „Punch: The Delight And Dangers Of The Flowing Bowl“ – kann man eindeutig bemerken, dass der Punch wirklich wieder populär wird. Und dafür gibt es zahlreiche Gründe.

Erstens: Bars bedienen mehr Gäste als je zuvor. Um Anstürmen und Rush Hours Herr zu werden, haben viele mit gezapften Cocktails oder Bottled Cocktails experimentiert. Punches scheinen mir da eine weit bessere Option.

Zweitens: Das lange dominante Interesse an Drinks aus der „Goldenen Zeit“ lässt nach; Wir können also entweder anfangen, wieder Long Island Iced Teas, Highballs oder Amaretto Sours zu machen, oder aber stattdessen lieber noch weiter in der Zeit zurückreisen – zum Vorläufer des Cocktails, zum Punch.

Drittens: Historische, vergessene Produkte – etwa Pot-Still-Rum, Genever und bestimmte Cognacs – sind international viel besser erhältlich als früher, hinzu kommt ein extrem gesteigertes Interesse an gutem Tee und Gewürzen. All das begünstigt die ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Punch. Und es gibt noch mehr Gründe: Alkoholärmere Cocktails werden immer mehr nachgefragt. Dem Punch, der ursprünglich dieselbe Trinkbarkeit wie Wein bringen sollte, kommt da eine wichtige Aufgabe zu. Zudem werden, wie zuvor klassische Bartools, hochwertige Ausstattungsgegenstände für die Punch-Herstellung wieder besser verfügbar. Und zu guter Letzt: Punches sind wahnsinnig unterhaltsam und herausragend für zuhause geeignet. Immer mehr Connaiseure wollen auch zuhause gute Drinks für ihre Freunde servieren.

Und auf die Frage nach der Individualität: Manche Bars, u.a. das Dead Rabbit, servieren einen kleinen Becher Punch wie ein Amuse Bouche, und die Cure Bar in New Orleans verkauft ihre Punches glasweise.

Dann erübrigt sich ja im Prinzip auch die Frage, warum Sie Ihr neues Buch dem Punch gewidmet haben.

Nun ja, ich habe dieses Buch eigentlich nur zusammengestellt und editiert. Die Idee war, Lesern einen Einstieg in die Geschichte der Gattung Rum-Punch zu erlauben und gleichzeitig konkrete Anweisungen zur Zubereitung und in wichtige Rezepturen zu geben, die mich wirklich inspiriert haben. Denn wenn ich ehrlich bin, waren nahezu alle „Punches“, die ich in den letzten 10 Jahren serviert habe, eigentlich mengenmäßig hochgerechnete „Cocktails“ in einer Punch Bowl. Hauptanspruch des Buches war daher wirklich die eindeutige Distinktion des Punches von anderen Kategorien. Und natürlich zu zeigen, warum man mit Banks den besten Punch hinbekommt.

Sprechen wir noch über ein anderes Thema. Beim Namen Jim Meehan drängt sich folgende Frage auf: Das PDT war eine jener Bars, die dem weltweiten Trend zu versteckten Speakeasy Bars und Craft Cocktails den zentralen Schub gegeben haben. Diese Dominanz scheint vorbei zu sein. Neue Bars trauen sich wieder vermehrt, andere Stilistiken – sogar „kritische“ Stile – neu zu interpretieren, auch die Drinks werden teils wieder, wie Sie eben anmerkten,verspielter. Ihr Kollege Jeff Morgenthaler postulierte unlängst, 2016 sei endgültig das Jahr, in dem keine neue Bar mehr so tun sollte, als sei es 1922. Wie sehen Sie das?

Viele Leute vergessen, dass das PDT nie versucht hat, das typische Speakeasy zu imitieren. Bei uns gab es vom ersten Tag an Hot Dogs, wir trugen Metzgerschürzen, es standen ausgestopfte Tiere mit Sonnenbrillen und Hüten im Raum herum. Und vor allem: Wir waren gefühlt die erste Bar, in der nicht die ganze Nacht lang dieselbe Lounge-Music lief. All das haben wir ja bewusst gemacht, um der Thematik etwas von Ihrer Ernsthaftigkeit zu nehmen.

Was uns wohl in diesen oben beschriebenen Zusammenhang transportiert hat, waren andere Aspekte: Eine bestimmte Reservierungspolitik oder die strikte No-Standing-Regelung – einfach, damit niemand den Nachteil hat, stundenlang an der Tür oder auf seinen Drink warten zu müssen. Hinzu kam vor allem eine Orientierung an Regeln und Etikette wie in Sasha Petraskes Milk & Honey, bestimmte klare Formalitäten und Standards, anstatt Zugeständnisse an Gäste oder auch das Team machen zu müssen. Wir haben 2007 viel von der alten „Kruste“ der Barwelt aufgebrochen und haben nun, im neunten Jahr, mehr zu tun denn je. Was wir dort machen, ist also eindeutig – und immer noch! – ziemlich richtig.

Betrifft denn die Äußerung von Morgenthaler nicht eher die Drinks, die angeboten werden?

Wir haben im PDT immer einige der kreativsten Cocktails der Welt serviert, aber jeder einzelne von ihnen basiert bis heute auf einem klassischen Drink. Ich bin vollkommen einig mit Jeff, dass niemand versuchen sollte, kritiklos so zu tun, als sei wirklich 1922. Aber das heißt im Umkehrschluss nicht, dass man nicht umfassend darüber bescheid wissen muss, was 1922 auf den Tresen kam. Denn Rezepte wie etwa ein French 75 kommen aus dieser Zeit, und jeder Bartender sollte all jene Drinks sicher beherrschen, bevor er sich an eigene Rezepte traut. Die Cocktail-Renaissance der letzten Dekade ist aufgebaut auf ebenjener Historie. Wenn wir dieses Fundament abgraben, stürzt alles darüber ebenfalls wieder ein.

Jeff und ich sind enge Freunde, wir leben in derselben „kleinen“ Stadt und sehen viele Dinge gleich oder zumindest ähnlich. Allerdings tendieren wir auch ganz offen dazu, bestimme Aspekte des Handwerks sehr unterschiedlich zu betrachten. Jeff war und ist ein ausdrücklicher Befürworter von etwas, das ich als „Demokratisierung“ der Bar bezeichnen würde.

Sie meinen Bars, die formal und kommunikativ „lockerer“ sind, und die sich weniger nur an Kenner richten? Oder besser gesagt: zu richten scheinen?

Ja. Und ich habe im Gegenzug vermehrt die Relevanz von Konzepten wie eben dem PDT betont, die mittlerweile im Vergleich mit vielem anderen formal geradezu streng wirken, obwohl sie es eigentlich nicht sind. Aber ich habe meinen Drink eben lieber nach meinem Geschmack, maßgeschneidert wie einen Anzug und nachdem ich mit dem Bartender darüber gesprochen habe. Das ist mir wesentlich lieber, als in einer Menge aus der dritten Reihe raus einen Cocktail von der Stange zu trinken, ganz ohne Dialog. Zum Glück kann ich sowas ja aber auch bei Jeff in seinem Pepe Le Moko haben.

„Jeff Morgenthaler und ich sind enge Freunde, wir leben in derselben ‚kleinen‘ Stadt und sehen viele Dinge gleich oder zumindest ähnlich. Allerdings tendieren wir auch ganz offen dazu, bestimme Aspekte des Handwerks sehr unterschiedlich zu betrachten.“

Was für hochwertige Barkonzepte sehen Sie denn derzeit auf dem Aufschwung?

Bars mit einem gewissen Unterhaltungsfaktor, wie das Oriole in London, sehe ich da ganz eindeutig an Popularität gewinnen. Außerdem neue Lösungen für Restaurant-Bar-Konzepte wie etwa das Eleven Madison Park in New York. Und dann noch hochspezifizierte, thematisch fokussierte Bars wie z.B. die Japanese Bar Goto von Kenta Goto oder Naren Youngs Café Dante. Generell ist es aber ganz gleich, in welche Richtung man geht: Es genügt nicht mehr, einfach gute Drinks zu machen (das ist natürlich selbstverständlich), sondern Fokus, Herangehensweise und Perspektiven müssen klar definiert sein.

Trifft das auch auf Portland zu? Sie sind vor einiger Zeit aus New York dorthin gezogen, beide Städte gelten als Zentren der US-Barszene. Was sind die Unterschiede für Bars und Barbetreiber? Ist eine der beiden Städte progressiver?

Es wäre unfair, Portland und New York miteinander zu vergleichen. In New York leben zehnmal so viele Menschen. Es ist das mediale und finanzielle Zentrum des Landes. Millionen von Touristen und vor allem auch Millionen von Dollars an Business-Entertainment-Budgets kommen jedes Jahr dort hin und machen die Stadt zu einem der attraktivsten Orte der Welt, wenn es um Bars geht. Die Stadt schläft wirklich nie, und das reflektiert sich auch in ihren Bars, die die ganze Nacht voll sind.

Ich bin nach Portland gezogen, weil es einerseits die New Yorker Annehmlichkeit einer hochentwickelten Genusskultur hat: Großartiges Essen und eine dynamische Trinkkultur aus Craft Beer, Wein und Kaffee, Cocktails und Spirituosen nur knapp dahinter. Andererseits leben dort mit Jeff, Daniel Shoemaker (Teardrop Lounge) und meinem ehemaligen PDT-Headbartender Sean Hoard einige sehr gute Freunde, die mich mit offenen Armen an der Westküste empfangen haben. Gleichzeitig habe ich dort nur wenige Gelegenheiten gefunden, mein Handwerk zu verfeinern oder weiterzuentwickeln, da die Einheimischen einfach ihr Geld nicht für Spitzengastronomie ausgeben. Und wir haben weder viele Touristen noch viele gut ausgestattete Geschäftsgäste mit Spesenbudgets.

Aber man liest und hört in Europa derzeit ständig von der grandiosen, florierenden Food- und Gastro-Szene und der allgemeinen Vitalität dort?

Ja, im letzten Jahr sind tatsächlich mehr Menschen nach Oregon gezogen als in irgendeinen anderen Bundesstaat der USA. Daher denke ich, dass vieles sich entwickelt, vieles entsteht, sich festigt und sich die Umstände, die ich eben erläutert habe, ändern werden. Mit diesen Ressourcen, die wir brauchen, um die Cocktailkultur in Portland auszubauen, wird man sehen, dass Portland und New York sich vom Wesen her eigentlich sehr ähnlich sind. Mit Portlands Vorteil, dass wir hier mildere Jahreszeiten und außerdem im Hinterland das mitunter beste Obst und Gemüse der Welt haben. Und bis das alles soweit ist, freue ich mich einfach darüber, in einer der schönsten Städte überhaupt zu leben.

Dürfen wir denn in naher Zukunft auch neue Bars von Ihnen oder unter Ihrer Regie erwarten?

Ich hätte eigentlich bereits im Vorjahr zwei neue Bars mit eröffnen sollen und wollen, musste aber aussteigen, da sich die jeweiligen Deals irgendwann geändert hatten. 2015 war ein toughes Jahr für mich aus beruflicher Sicht, hoffen wir, dass 2016 es besser mit mir meint.

Eine Frage zum Schluss: Wer oder was ist Jim Meehan im Jahre 2016 vorrangig? Bartender? Barbetreiber? Autor? Markenbotschafter? Oder doch alles davon?

Ich arbeite hart an meinem zweiten Buch und verbringe viel Zeit mit und für Banks. Aber gleichzeitig werde ich mich wohl auch immer als Bartender bezeichnen, weil ich mich wie einer verhalte. Diesen Sommer werde ich gemeinsam mit Jörg Meyer, Alex Kratena, Monica Berg, Simone Caporale, Ryan Chetiyawardana und Xavier Padovani zeitgleich mit der Cocktails & Spirits in Paris die P(our)-Konferenz veranstalten, in der es genau um die obige Frage geht: Wie kann man selbst die Rolle des Bartenders auch abseits der Bar weiter evolutionieren und sinnvoll entwickeln?

Ich habe seit mehr als 10 Jahren durchgehend und sehr bewusst an meiner Rolle jenseits des Tresens gearbeitet, aber das heißt ja nicht, dass ich auf die Arbeit als Bartender nicht stolz bin oder die anderen Tätigkeiten höher wertschätze. Diese verschiedenen Rollen von Jim Meehan bedingen und bereichern sich gegenseitig, denke ich.

Mr Meehan, wir bedanken uns herzlich für dieses Gespräch!

 

Credits

Foto: Foto via Birte Filmer.

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