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Kussmaul, ein Heu-Martini und Selbstgemachtes

Hubert Peter ist der Heimwerker unter Wiens Bartendern. In seinem Rückbuffet im neuen Restaurant Kussmaul am Spittelberg stehen momentan fast ein Dutzend selbst angesetzter Liköre und Sirups. Tonic, Ginger Beer und Limonaden köchelt er ebenfalls in Eigenregie – und zwar unfiltriert.
Das Biedermeier hat keinen guten Ruf. Cocooning würde man heute nennen, was zwischen Napoleons Sturz und der Revolution von 1848 in Wien abging. Oder besser: nicht abging, denn die politische Angepasstheit ließ schmucke Häuser und edle Interieurs wuchern, aber keine Ideen. Dennoch verdankt der in jedem Reiseführer angeführte Spittelberg seine Gestalt dieser Zeit. Also wählte Mario Bernatovic den Arzt Dr. Adolf Kußmaul als Namensgeber seines eigenen Restaurants.
Die Latte hoch legen
Der erfand schließlich die Figur Gottlieb Biedermeier, die als typischer Vertreter des Bürgertums dem frühen 19. Jahrhundert ihren Namen gab. „Das Thema Biedermeier zieht sich bei uns durch“, schildert Bernatovic (zuvor Küchenchef im Motto am Fluss) sein lange vorbereitetes Konzept. Und es passt es ja auch, denn in den neuen vier Wänden wächst nicht nur der Kräutergarten, sondern rührt auch Hubert Peter in Gläsern: „Täglich muss mindestens eine Limonade und ein Likör bei uns köcheln“, legt er sich selbst die Latte hoch.
Frucht-Vorräte anlegen
So entstehen sein Kurkumalikör, ein Auszug des Smoked Porter der Bevog-Brauerei, oder Apfel-Fenchel-Likör. Zumindest im Moment, denn die Zutaten wechseln. „Jetzt haben wir Hochsaison, wir bereiten schon die Früchte für den Winter vor“. Aktuell sind es 15 Drinks, die Peter in der „offiziellen“ Karte führt, „doch das Thema Aperitif werden wir ausbauen müssen“, schildert er die Erfahrungen der Eröffnungsmonate. Limonaden, natürlich ebenfalls selbstgemacht, gehen scheinbar im Minutentakt hinaus. „50 Liter brauchen wir pro Woche von jeder unserer fünf Sorten“, bestätigt der gebürtige Vorarlberger.
Das Kussmaul ist zwar keine „GSA-only-Bar, aber wo es geht, greift Peter auf kleine Hersteller zurück. Und zwar nicht nur bei der Craft-Beer-Auswahl, die neben den Austro-Stars Gusswerk und Forstner auch das Sauerbier Gose von „Bierzauberer“ Günter Thömmes, führt. Gibt es passende Produkte, werden sie eingesetzt. Der würzige Pre-Dinner-Drink Gottlieb Biedermeier stellt ein gutes Beispiel dar. Mit Estragon infusionierter Reisetbauer Blue Gin, Burschik’s Wermut, Stangensellerie und Kapern ergeben einen appetitanregenden Austro-Martini.
Selbst die Schweiz, generell unterrepräsentiert in Bars, steuert mit Rudi Käsers Spirituosen – „den mit Kirschblüten aromatisierten Gin gibt’s momentan überhaupt nur bei uns“ – etwas zu der weitgehend von Konzernspirituosen freien Selektion bei. Die Kreationen damit heißen Ajaxerle, Amorosa oder Titus Feuerfux. Letzterer ist eine Variante des bei der heurigen GSA-Challenge ausgezeichneten Cocktails Peters, alle Namen stammt aus dem Figurenrepertoire des Komödienautors Johann Nestroy. Er war der subversive Dichter des Biedermeiers und schüttelte seine später zum Ösi-Zitatenschatz gewordenen Kalauer – stets im Sparring mit der staatlichen Zensur – nur so aus dem Ärmel („Der Mensch ist gut, aber die Leut‘ san a G’sindel“).

Braunes Tonic mit Chinarinde
Selbst beim Tonic kocht Hubert Peter sein eigenes Süppchen. „Mit zwei Esslöffeln Chinarinde komme ich auf zehn Liter“, aromatisiert wird mit Rosen und Gurke. Wobei letztere nur kurz eingetaucht wird, „sonst schmeckt’s nach Essiggurken“, hat er aus Versuchen gelernt. „Ich mag es trüb“, bleibt bei ihm das Tonic braun und auch die meisten anderen Flüssigkeiten seiht er nur grob ab. Beim Ginger Beer belässt er es bei der einfacheren Version ohne Flaschengärung; „das braucht anderthalb Wochen und mitunter explodiert dabei auch etwas“, lacht Peter, der auch schon die nächsten Getränkeexperimente plant.
Das Heu aus dem Bregenzer Wald, „damit wird der Martini aromatisiert“, ist bereits bestellt. Ebenfalls im heimatlichen Vorarlberg wurden Aprikosenbäume gesetzt, vielleicht lässt sich dort ja auch Marillenschnaps erzeugen. Das Brennrecht hat er, seit die Berechtigung seines Großvaters zu verfallen drohte. Damals kaufte der junge Hubert sie auf. Parallel wird das Rezept des eigenen Wermuts verfeinert, für den er Kräuter in Grünem Veltliner mazeriert.
Walter White der Bar
Die ruhigere Vormittagszeit nützt Peter für seine Küchen-Aktivitäten, als flüsterte ein innerer Jesse Pinkman „let’s cook“. Zu Dienstbeginn stehen auch nur drei und zwar die einzigen klassischen Drinks auf der Karte des Kussmaul. Für Hangover-geplagte Gäste werden beim Katerfrühstück Bloody Mary, Margarita und Mimosa mit passenden Speisen serviert. Es scheint, als hat Peter, der von der Bar Die Au in den 7. Bezirk gewechselt ist, sein Biotop gefunden. Immerhin „ist es der sechste Laden, den ich mit-eröffne“.
Hier allerdings hat er im 30-köpfigen Team Bernatovic eine Brigade erfahrener Köche im Hintergrund. „Wenn ich wissen will, bei welcher Temperatur der Kräuterauszug am besten schmeckt, frage ich sie.“ Das Geschmacksurteil der Küchenmeister bedeutetet schon für manches Experiment das Aus. Abgesehen davon zeigen Peters Cocktails aber eines klar: Die Konzentration auf die eigene Region mag eine Beschränkung sein, eine geschmackliche Einschränkung bedeutet sie keineswegs.
 

Credits

Foto: Kussmaul via Thomas Schauer

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