TOP
L 27

L 27 im The Westin Nashville: Können wir das bitte lassen?

Es gibt viele schlechte, teure Bars auf dieser Welt. Über eine sprechen wir heute mal. Einfach so. Weil man sich mal aufregen dürfen muss. Das L 27 Nashville im dortigen The Westin Hotel. Zwischen stiernackigen Aufpassern, herabgewürdigten Kellnerinnen und Vodka – alles Plastik.

Es ist nicht alles Cocktailgold, was glänzt. Klar, das weiß man nach einigen Jahren im Business. Und doch gibt es immer wieder Orte und Erlebnisse, die einen unvermittelt treffen. Vor allem dann, wenn diese einen nach einem bekannten Muster ereilen: Das grässliche Bar-Erlebnis in einem „Fünfsterner“. Man muss dazu sagen, dass es landauf, landab zahlreiche grässliche Hotelbars gibt. Schlimm hingegen wird es dann, wenn ein Hotel sich große Welt auf die Fahnen schreibt, aber das Gegenteil liefert. Von solch einer Bar wollen wir heute sprechen. Es ist ein wenig gemein, zugegeben, stellvertretend auf ein Individuum zu schießen. Aber heute muss das sein, weil das Erlebnis noch frisch ist. Sprechen wir über die Bar L 27 Nashville, gelegen im dortigen The Westin Hotel.

Smashville und Stiernacken

Das The Westin Nashville ist ein noch junges Hotel mit für diese Preisklasse üblich gesundem Selbstbewusstsein. Das kann man sich auch erlauben in „Nashvegas“ oder „Music City“, wie die Stadt auch genannt wird. Denn „Smashville“ (noch ein Kosename) boomt extrem: Die Innenstadt rund um den Broadway, wo man sich über eine Meile entlang durchgehend hemmungslos zu Live-Musik betrinken kann, ist im Prinzip eine halbe Baustelle. Hier wird investiert, das Herz von Tennessee ist gefragt und angesagt.

Mittendrin also der Turm des Westin, auf dessen Dach das L 27 Nashville als Rooftop-Bar thront. Glaubt man der Broschüre auf dem Zimmer, handelt es sich dabei um das neue barkulturelle Eldorado der Südstaaten: „hand selected“, „regional“, „Craft Cocktails“, „vibrant“ verspricht man – und einen Pool gibt es auch noch. Jetzt kann man sich entweder freuen. Oder man erkennt von vornherein an, dass es sich dabei einfach um aktuelle Standardvokalexkremente handelt, die passieren, wenn Agenturen lahme Gastronomien betexten.

Schon der Einstand des L 27 Nashville ist gelungen, denn noch vor dem Entrée der Bar steht ein Herr, den man gern als „Nacken“ bezeichnen möchte. Er ist aus Gründen der Autoritätserweckung in einen Anzug aus Kunstfaser geschoben worden und bittet dort – wie in den USA so oft unnötig Sitte – auch ergraute Gäste direkt am Fahrstuhl um einen Altersnachweis, da man natürlich erst ab 21 Jahren hier oben Hof halten darf.

Das Getränk der Stunde: Vodka-Soda

Die Bar des L 27 Nashville selbst wiederum sieht so aus, wie man sich wahrscheinlich in der rumänischen oder turkmenischen Einöde immer noch die Zukunft vorstellt: Ein bisschen Raumschiff Orion, ein bisschen Resopal, drinnen ziemlich viel Gold, retrofuturistische Fake-Gaslights, draußen in der Mitte fancy Stehtische, darum kunstverglaste Sitzbuchten mit kunstbelederten Sofas zum Draufrumlümmeln. Doch nicht nur zum Lümmeln, auch zum Süffeln – vornehmlich von Vodka-Soda, der hier das Getränk der Stunde zu sein scheint. Wenn es doch wenigstens Moscow Mule wäre! Und Wein, kalifornischer natürlich, aus Gläsern ohne Stiel. Und ohne Stil. Im Innenraum verdingt sich eine Coverband an „Ring Of Fire“. Rauchen darf man auch draußen nirgendwo, obschon es genügend Flächen gibt, an denen sich wirklich niemand aufhält. Aber das sei der Hotelleitung zugestanden.

Unter den ständig wachsam patrouillierenden Augen eines weiteren, sogar noch etwas bulligeren Nackens lässt die Karte nichts Gutes erahnen. Der „Master Mixologist“, so lesen wir, hat eine Auswahl an saisonalen, regional inspirierten – wir hatten das schon – Craft Cocktails zusammengestellt. In vielen davon ist Bourbon (was natürlich schön ist) oder Vodka (nicht ganz so schön), zumeist der bei selbst ernannten Connaisseuren in den Staaten immer noch als handwerkliches Produkt betrachtete Tito’s Vodka.

Und da Nashville, genauso wie New York, über einen Broadway verfügt, gibt es hier auch einen Manhattan. Freilich mit Kirschattrappe als Warnsignal. Als passendes Foodpairing reicht man auch im L 27 Nashville filigrane Fingerhuteiswürfel aus gechlortem Leitungswasser. Nur werden an anderer Stelle dafür keine Mondpreise aufgerufen, wenn zwei Unzen Tito’s und drei Stöße aus der Soda-Gun miteinander vermengt werden, und zwar in einem Plastikbecher.

Ja, in einem Plastikbecher, in dem auch das eigentlich schöne Yazoo IPA an den Tisch gebracht wird. Wenn es kommt. Übrigens erst, nachdem man eine Kreditkarte mitgegeben und die Zimmernummer genannt hat. Leider gebe es für das Bier wirklich kein Glas aus Glas im L 27 Nashville, erklärt die Kellnerin auf Nachfrage. Man hat sie und ihre Kolleginnen nicht unbedingt zu ihrem Vorteil in eine schwarze Uniform gesteckt, die nicht in allen US-Bundesstaaten gesellschaftsfähig sein dürfte, dazu tragen sie ein Make-Up, das an Lil’ Kim im Video zu „Lady Marmalade“ erinnert*. Die Coverband spielt allerdings stattdessen lieber „Radioactive“ von Imagine Dragons.

L 27 Nashville: Bedient, ganz ohne Bedienung

Der Nacken bemerkt, dass wir die Kellnerin offenbar mit dieser sehr eigentümlichen Frage nach einem Glas aufhalten, was uns eine hochgezogene Augenbraue einbringt. Aber die hätte er auch gar nicht mehr auspacken müssen. Bedient ist man hier, im L 27 Nashville, auch ganz ohne Bedienungen.

Was noch fehlt: Ist der Pool mit dem gleichen Wasser befüllt, aus dem auch die Eiwürfel sind? Hat die Coverband auch „Escape (The Piña Colada Song)“ drauf? Ist der Master Mixologist tagsüber gleichzeitig Bademeister für den Abends geschlossenen Pool? Warum gibt es zum Cocktail ein paar Stücke Salzgebäck, aber nicht zum Bier? Was, wenn Queen Elizabeth II vorbeischauen sollte, die ja bekanntermaßen keinen Personalausweis besitzt? Lässt der Nacken sie dann nicht auf einen Dubonnet-Martini im Plastikglas hinein? Und, am allerwichtigsten: Sind auch die Wein-„Becher“ aus Plastik? Um uns mit dieser Frage vorbei an den Nacken und zu anderen Gästen zu trauen, war der Pegel zu niedrig.

Was nach einem Besuch im L 27 Nashville bleibt, ist ein Gefühl der Tragik. Tragik deswegen, weil man gerade an einem solchen Ort, an dem viel internationale und gastronomisch bewanderte Klientel zusammenkommt, mit einem ganz anderen Konzept – mit einer echten Idee von „Bar“! – punkten könnte. Tragik deswegen, dass offenbar eine spezifische Schicht von Nashville-Locals die Bar frequentiert, weil sie unter ihnen gerade als „Place-to-be“ gilt, wodurch wiederum die Hotelleitung denkt, man habe hier alles richtig gemacht. Aus wirtschaftlicher Sicht mag das funktionieren. Aber inhaltlich ist das L 27 Nashville ein Totalausfall, dem alles abgeht, was qualitätsbewusste „Bar“ im Jahre 2017 ausmachen sollte – sowohl bei den Drinks, aber auch, und das ist eigentlich noch wichtiger, bei der Stimmung. Wenn man also in Nashville ist und sich nach einem guten Drink sehnt (das vielfach gelobte Silver Dollar hat leider kürzlich dichtgemacht), dann sollte man lieber die paar hundert Meter zum Broadway laufen, sich ins Merchant’s setzen und ein Herrengedeck ordern. Denn dort ist das Bier besser, kälter und die Auswahl größer. Für den Bourbon gilt das gleiche, obendrein bekommt er dort ein Glas. Ein echtes Glas.

A Place beyond the Ryes

Vielleicht ist es gemein, ganz ausdrücklich auf einer der vielen schlechten teuren Bars dieser Welt rumzuhacken. Aber da muss das L 27 Nashville nun einmal durch. Wer einen dicken Strahl pinkelt, der muss auch einstecken können. Das Westin Nashville hat übrigens auch ein Restaurant, genauer gesagt die „Social Gathering Lounge and Eatery“ namens „Decker & Dyer“. Du großer Gott! Auch dort gibt es „Craft Cocktails“. Oh je. Aber dort waren wir nicht. Uns fehlte dort der bullige Türsteher.

* Anmerkung: Um einem Fehlverständnis und zeternden Kommentaren, die dem Autor Sexismus vorwerfen wollen, hier gleich vorzubeugen: Niemand will die Kellnerinnen im L 27 Nashville für ihre Figur angehen. Aber den Arbeitgeber, der sie in Arbeitskleidung steckt, die – bestenfalls – nach „Coyote Ugly“ aussieht.

Credits

Foto: Nashvilleguru

Comments (1)

  • Gerhard Mohr

    Schön gehässig geschrieben, es macht Spaß diesen Verriss zu lesen und man freut sich, nicht dabei gewesen zu sein.

    reply

Kommentieren