TOP

Die Beschwörung der Nacht in der Madam Bar

Sazerac statt Strip Club. Mit Oliver v. Carnap hat ein Münchener Urgestein den Räumlichkeiten des alten Madam Club eine neue Bestimmung gegeben. Zumindest für 18 Monate.  Und er hat damit einen urbanen Raum für unterschiedlichstes Publikum erschaffen. Mit wahrhaft unmünchnerischen Öffnungszeiten.

Aufreizend soll sie gewesen sein, verführerisch und fesch – die sagenumwobene Tänzerin Lola Montez, die Mitte des vorletzten Jahrhunderts der bayerischen Majestät König Ludwig I. den Kopf verdrehte und sich, mitunter Zigarre rauchend und mit einer Dogge namens „Turk“, gleich von einem ganzen Privatcorps untertänigster Verbindungsstudenten durch die Münchner Innenstadt eskortieren ließ. Als der König ihr über die Jahre gar zu viele Zugeständnisse machte (Adelstitel, Immobilien, goldene Füllfederhalter mit Namensgravur – Pofalla lässt grüßen), zwang das aufgebrachte Volk Ludwig zur Abdankung – und die Montez musste ganz schnell wieder verschwinden.

Profis im Plüsch-Ambiente

Seitdem ist München nicht gerade als Hauptstadt der Sünde bekannt geworden, und auch wenn die Spider Murphy Gang ein bisschen Trallafitti in Rosis Revier besang, so stand die Metropole immer im Schatten ihrer großen Schwester Hamburg, und für den, der es wirklich arg wollte, ihren entfernten Nichten an der tschechischen Grenze. Oft vergessen wird dabei, dass mit Table Dance, quasi der züchtigeren und gentrifizierten Variante des Sexgeschäfts, auch heute in München Millionenumsätze verdient werden. Natürlich geschieht das nicht so launig und verrucht wie auf der Reeperbahn, und nicht so schick wie im Tivoli, sondern eher, naja, in kleinen, schäbigen Etablissements rund um den Bahnhof und das Hofbräuhaus, in denen sich verschwitzte Vertriebler mittleren Alters nach Vertragsabschluss noch ein bisschen besser fühlen wollen als sie sind. Wer in der Gegend mal im Due Passi Thunfischsalat gekauft hat oder im Cortiina oder dem Gesellschaftsraum Hof hielt, kam dabei zwangsläufig an einem dieser Läden vorbei. M-A-D-A-M stand da am Ende der Ledererstraße in angeschrägten, würfelförmigen Lettern über dem Trottoir, so dass man auch im Vorübergehen ahnen konnte, wer einen unten im Souterrain erwartete.

Umso größer die Überraschung, dass ausgerechnet Oliver v. Carnap, seines Zeichens hochdekorierter Barveteran aus der Goldenen Bar, der Trinkhalle, dem Lux und der Theresa Bar, vor einiger Zeit die Chance bekam, ebendiese in die Jahre gekommene Madam Bar für 18 Monate zu übernehmen und mit einem eigenen Konzept zu „bespielen“, wie man heute sagt. Einem schmalen Geldbeutel – oder göttlicher Eingebung! – zur Folge wurde das rot-plüschige Etablissement dafür weitgehend naturbelassen, nur dass sich die dort tanzenden Damen eine neue Arbeitsstätte suchen mussten, und der notorische Prosecco durch erstklassigen Champagne Ruinart und ein professionelles Barteam ersetzt wurde.

Madam Bar: Die Manège der langen Nacht

Während des Soft-Openings noch überschaubarer After-Hour-Spot für nachtaktive Gastronomen und andere ausgewählte Eingeweihte, wurde schon kurz nach der offiziellen Eröffnung im September klar, dass hier wohl was Größeres im Gange ist, genauer: dass hier im Untergeschoss ein neuer It-Place entsteht, der den Zuflüchtigen der Münchner Subkultur, die sich ja gerade fragt, ob es sie überhaupt gibt, ein neues Zuhause geben könnte. Punkt 21:00 Uhr macht die Madam Bar auf – einige Stunden später sind sie alle da: die Szenegänger, die Nachteulen, die Kulturati und andere Connaisseure, die Schicken, die Schwätzer, ein paar neugierige studentische Gesichter, ein paar Touristen, dazu nicht wenige Feierbiester – und natürlich die hartgesottenen und keineswegs partymüden Betreiber anderer Restaurants und Bars. Kurzum: es ist genau die Manège, die es braucht, um eine lange Nacht zu beschwören, die so süß und eigenwillig ausgehen darf, wie es das Interieur und die Gestalten versprechen. Wer sich noch an die legendäre Schwabinger Koralle erinnert, weiß, was gemeint ist, nur dass es in der Madam die deutlich besseren Drinks gibt. Ob klassischer Gin Fizz, eleganter Pisco Sour oder herber Sazerac – alles ist freundlich und ebenso präzise wie en passant gemixt. Noch spannender wird es bei den Eigenkreationen des Barteams, die wenn Zeit ist, auch gerne Auskunft über Zutaten und Hintergründe des Drinks geben. Dazu tönt Live-Musik von der Bühne oder zumindest vom DJ-Pult, eine eingängige, aber zu keinem Zeitpunkt pappige Mischung aus Funk- und Rap-Classics, Disco und Rare Groove, die Gott sei Dank nie so akademisch wird, dass es wie in manch anderen Lokalen zu „arty“ wirkt. Wir erinnern uns: It’s a party, not a lecture!

Dass die Betreiber Oliver v. Carnap, Aleks Vulic und Chris Dengler dieses Motto durchaus mit eigenen Ambitionen verbinden, zeigt nicht zuletzt ihre Idee, die weiterhin geltende Strip-Konzession des Ladens zukünftig für speziell-anspruchsvolle Burlesque-Shows zu nutzen. Dann wären sie also wieder da, die alten Zeiten, diesmal freilich vertreten durch souveräne Herrinnen ihrer selbst, mit Amerikana-Tätowierung auf dem Arm und abgeschlossenem Kunststudium im Nacken. Ludwig dem I. und den Verbindungsstudenten von damals hätte es sicher gefallen, und wer hielte auch heute Immobilien und goldene Füller nicht für geeignete Geschenke, die Kontaktaufnahme mit den Lolas und Rosis dieser Welt zu erleichtern? Und, man munkelt es zumindest, zu ganz, wirklich ganz später Stunde,  sollen in der Madam Bar auch schon wahrhaft königliche Titel verliehen worden sein.

Credits

Foto: Madam Bar

Kommentieren