TOP
Provocateur Berlin

Provocateur Berlin: Schön obszön

Es ist ein Jahr später geworden als geplant, aber das Warten hat sich gelohnt: Das Provocateur Berlin ist eröffnet. Das Berliner Projekt der Gekko Group spielt mit der Goldenen Vergangenheit des Kurfürstendamms und erweitert diese durch einen lasziven Brückenschlag in die Moderne. Ebenfalls in dieser Geschichte zu lesen: Warum Albert Einstein “der relative Ehemann” genannt wurde.

Der U-Bahnhof Konstanzer Straße ist womöglich die hässlichste und trostloseste Untergrundstation der Hauptstadt. Kulinarisch interessierte Menschen stiegen hier bislang höchstens aus, um die großartigen Erzeugnisse der Hamann Schokoladen Manufaktur zu erwerben.

Nun glitzern nahe des nördlichen Ausgangs einladende Lampen (noch dezent verdeckt von letzten Schuttcontainern). Ein rotes Teppichlein weist den Weg in die opulent gestalteten Hallen mit den räkeligen Sitzgruppen, den flackernden Lichtern und den koketten Details. Wir sind nicht weit vom legendären Kurfürstendamm entfernt, an dem sich die wilden – nicht immer so goldenen – 1920er Jahre abspielten und an deren Aura zwischen Glamour, Boheme und Tanz auf dem Vulkan das Provocateur Berlin anzuknüpfen scheint. Beinahe wähnt man die Klänge des Grammophons in der Berliner Luft.

Veronika, der Lenz ist da

Es beginnt der Frühling in Berlin, und so singen die Mädchen tralala und der Spargel wächst. Manchmal wächst er in der Hauptstadt etwas langsamer und die Einheimischen warten etwas länger, beispielsweise auf einen Flughafen. Auch das Provocateur Berlin sollte eigentlich bereits vor einem Jahr seine Pforten öffnen. Doch gut Ding will Weile haben und man merkt dem Hotel samt Bar und Restaurant an, dass nichts dem Zufall überlassen werden, jedes Detail auch perfekt abgestimmt sein sollte.

Design und Stil – das spürt man sofort – wurde von den Machern Micky Rosen und Alex Urseanu sorgfältig bedacht. Die beiden Köpfe hinter der Gekko Group verantworten bereits die teilweise spektakulären Unterkünfte mitsamt ihren viel beachteten Hotelbars der Marke Roomers (in Frankfurt am Main, Baden-Baden und München) und Gekkos. Und nun auch das Provocateur Berlin in der City-West der Hauptstadt. Wer die Bars der beiden kennt, weiß von deren anspruchsvoller Trinkkultur, dem ausgefeilten Design, hoch qualifiziertem Personal und gehobenen Preisen.

Die Nacht ist nicht allein zum schlafen da

Seit einigen Jahren erlebt die City-West ein Comeback. In den Jahren nach dem Mauerfall galt die Hauptaufmerksamkeit von Touristen, Investoren, Kreativen und Veranstaltern in erster Linie den innerstädtischen Ostbezirken rings um Mitte und Prenzlauer Berg. Heute ist zuweilen wieder mehr die Rede von Tiergarten mit seiner Potsdamer Straße, Kreuzkölln und ebenjener City-West, die mit Zoo Palast, Apple-Store, Bikini Haus und etlichen weiteren geplanten Vorhaben in den Fokus rückt. Nur einen Steinwurf vom Provocateur Berlin entfernt, erstreckt sich Deutschlands berühmteste Straße, deren Schwingungen aus Vergangenheit und Gegenwart das Haus aufzugreifen scheint.

Gerne besinnen sich die Fans des Kurfürstendamms aber auf jene Tage zwischen Kaiserzeit und Nazigrauen, als Freiheit, Kreativität und Lebenslust das Boulevard erfüllten. Zahllose Tafeln an den Gebäuden erinnern noch an prominente Orte und Anwohner. Erich Kästner verkehrte im Café Leon, Joseph Roth schrieb in “Mampes Gute Stube des Westens” seinen Roman „Radetzkymarsch“, Albert Einstein erhielt im legendären “Romanisches Café” den Spitznamen „der relative Ehemann“ und dort, wo heute Tommy Hilfiger seine Ankleidewaren feilbietet, veranstaltete Rudolf Nelson seine legendären und gewagten Revuen und ließ Josephine Baker mit ihrem berühmten Bananenröckchen auftreten. Danach war „Sex Appeal“ ein geflügeltes Wort in der Spreemetropole. An diese Epoche möchte das Provocateur Berlin anknüpfen, wenngleich mit einem Hauch von Paris und – wie die Betreiber erklären – „einem Brückenschlag zwischen Oscar Wilde und Edith Piaf“.

Provocateur Berlin: Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt

„Oha, das sieht hier ja aus wie im Edelpuff“, entfuhr es spontan einem der Bargäste an dem markanten Tresenblock in der Mitte des Raumes. Tatsächlich sorgen schwere, rote Vorhänge und lasziv geschwungene Sitzgruppen mit roten Bezügen für subtil-sündige Atmosphäre. Dort lässt sich wollüstig rekeln und große Getränkekühler mit Champagner oder Vodka werden trefflich auf den schwarzglänzenden Tischen ausgeleuchtet. Teilweise durch historisierende und sehr schöne Lampen, oder durch die kerzenartig flackernden Gebilde, die von der Decke hängen.

Aber die Bar steht im Mittelpunkt des Raumes, und gute 20 Barhocker sorgen für eine vergnügliche Begegnung mit den Bartendern mit Blick auf die geschickten Handgriffe bei der Getränkezubereitung. Schön angestrahlt ragt ein opulentes Backboard um alle Seiten des Tresens herum und zeigt, dass die Bar sich bedenkenlos jeder Spirituose annimmt, von Cognac bis Mezcal.

Die Drinks erweisen sich allesamt als spannende Eigenkreationen. Auch die Karte entpuppt sich als Augenschmaus – zumindest für gesetzte Herren, die dort verführerische Illustrationen mit knapp bekleideten Damen begutachten dürfen. Hier rote Lippen, dort lange Beine, dazu eine Peitsche und eine lustvolle Maid im Bondage-Akt. Die Überschriften der Kapitel der Karte folgen dem Motto der Begierde durch „Foreplay“ und „Intercourse“. Schade, für die Damen gibt es nichts gleichberechtigtes, woran sie sich in der Karte ergötzen können.

Schöner Gigolo, armer Gigolo

Dann müssen die Damen sich halt an die Herren der Barbrigade halten. Wie stets bei den Bar-Projekten der Gekko Group, verantwortet und konzipiert von Steffen Goubeaud, wurden herausragende Bartender engagiert. Mit Niko Krznar heuerten die Frankfurter Investoren als Barchef klug einen gestandenen Berlin-Barmann an, der über Können und Street-Credibility in der Hauptstadt verfügt. An seiner Seite ein großartiges Team, zu dem beispielsweise auch Christof Reichert zählt, weit gereist, angenehm zurückhaltend, kreativ und sehr talentiert.

Kreativität zeichnet aber auch das gesamte Barteam aus. Die Drinks sind allesamt gelungene Eigenkreationen. Eine Besonderheit, auf die das Team gerne und eindrücklich verweist, sind die kleinen Food-Pairings, die nicht von der Küchencrew, sondern von ihnen selbst zubereitet werden. Zu jedem Drink gibt es ein überraschendes kleines Häppchen, welches auf die Aromen im Getränk eingeht und dazu passt. Eine herrliche Mischung aus Frische und Tiefgang verströmte der Dragon Breath aus Bacardi 8y, Rote Bete, violettem Mais und Ananas. Das gereichte Foodpairing war nett gemeint, erwies sich in diesem Fall aber als Plombengefahr. Um die 15 Euro gilt es für die Drinks zu investieren. Der offene Basis-Champagner ist Cattier Blanc de Blancs und schlägt mit 14 Euro zu Buche. Für Bierfreunde gibt es Tsingtao oder Berliner Berg.

Ein Freund, ein guter Freund

War das tatsächlich ein security-mäßig anmutender Doorman am roten Teppich vor dem Haus? Innen wird es netter. Die Rezeption fällt kaum auf, dafür wird der Gast sofort von einer Empfangsdame umsorgt, die sich auch um die Garderobe kümmert. Dann geht es in die Bar, auch für die Restaurantgäste, welche selbige durchqueren müssen, um in den Speisesaal zu gelangen, der im Dekor der Bar angepasst ist. Hier gilt es, acht zu geben, da eine Stolperfalle droht. Zwischen Tresen und Sitzgruppe ragt eine Stufe unsichtbar empor, die gewiss noch für manches Malheur im Provocateur Berlin sorgen könnte.

Im Restaurant setzt sich die provozierende Fleischeslust quasi fort, nun umweht ein Hauch von Chinoise die offene Küche. Chefkoch Duc Ngo verantwortet die Geschicke im „Golden Phoenix“, wo China auf Paris trifft und Gänge von sehr unterschiedlichem Charakter die Gäste betören. Großartig der rohe Wolfsbarsch mit Raju Sauce oder die honigglasierten Schweinerippchen. Eher mittelmäßig inspiriert schien das Lamm mit Safran zu 28 Euro. Auch im Restaurant ist der Service sehr engagiert und freundlich. Es ist schön zu spüren, wie jeder Mitarbeiter hinter dem Konzept und dem Team steht.

Ich brech’ die Herzen der stolzesten Frauen

Allabendlich kommt ein DJ ins Haus und sorgt für den Übergang aus kultiviertem Speisen und Trinken, hin zu Ausgelassenheit und Party. Ob am Ende Zügellosigkeit und Rausch folgen, konnte der Autor nicht mehr miterleben. Sehr angenehm war immerhin die Sommèliere, der auffiel, das die Musik rasch viel zu laut wurde, um sich im Restaurant noch angenehm zu unterhalten.

Aber der Übergang vom Abend in die Nacht gelingt gut. Der neue Hotspot seitlich des Kurfürstendammes erfährt reichlich Beachtung und wird schon wenige Tage nach dem Startschuss gut angenommen. Hotelgäste, Kreativschaffende, neugierige Gastronomiekollegen und jene „Charlottengrad“-Klientel, die unter anderem an aufgespritzten Lippen und unechten Nasen zu erkennen ist, versammeln sich in dem glamourösen Etablissement reichlich. Jedenfalls entführt die Provocateur-Bar aus dem grauen Alltag und sorgt für ein exklusives, laszives Erlebnis. Sinnlichkeit und Begierde walten als Schirmherrinnen.

Schließlich gilt: In der Nacht ist der Mensch nicht gern alleine.

Credits

Foto: Foto via Provocateur Berlin.

Kommentieren