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SPEAKEASY: IST DAS WIRKLICH NÖTIG?

Kaum ein Begriff ist in den letzten 15 Jahren so sehr in Mode gekommen wie der vom „Speakeasy“. Doch wieso? Unser Autor räumt mit dem Klischee auf. Und fordert eine Trennung von leeren Begriffen und echten Inhalten. Ein Plädoyer gegen ein Wort, das nie ein Gattungsbegriff sein wollte. 

Als der leider in diesem Jahr verstorbene Bar-Impresario Sasha Petraske am Silvesterabend des Jahres 1999 eine kleine Bar namens Milk & Honey in der Lower East Side Manhattans eröffnete, war noch nicht abzusehen, welchen Einfluss diese Bar auf die Entwicklung der Barkultur in vielen Aspekten in den darauffolgenden 15 Jahren nehmen sollte.

VON DER NOT ZUR TUGEND

Der sehr bescheidene und fast schon ein wenig eigenbrötlerische Petraske gab ungern Interviews und sprach auch ansonsten nicht besonders laut über das, was er da tat. Dabei waren seine Ansprüche klar umrissen: klassische Drinks, auf höchstem Niveau zubereitet, serviert in ruhiger Atmosphäre mit einem Hauch der Goldenen Zwanziger – Petraske war bekennender Fan dieser Dekade – über dem allem. Er definierte Hausregeln für seine Gäste und sorgte dafür, dass selbst die Menschen, die in dem Haus über dem Milk & Honey wohnten, zum Teil nach Monaten noch nicht mitbekommen hatten, dass sich in dem Gebäudekomplex in der Eldridge Street eine Bar befand.

Später, als Petraske dann doch ab und an das eine oder andere Interview gab, erzählte er, dass dies einem einfachen Umstand geschuldet war: Der Vermieter fürchtete, die Anwohner könnten sich durch den Lärm, den eine Bar verursachen würde, gestört fühlen. Da die Miete für New Yorker Verhältnisse sehr niedrig und deshalb äußert attraktiv war, setzte Petraske alles daran, dennoch den Mietvertrag zu bekommen. Er versprach dem Vermieter, alles daran zu setzen, den Lärm einzugrenzen. Als Fan der 1920er Jahre erinnerte er sich an ein Bar-Phänomen, welches in dieser Zeit entstand und ihm nun dabei helfen sollte, die Bar trotz strenger Lärmauflagen zu eröffnen: das Speakeasy.

THE NOBLE EXPERIMENT: WENIG LICHT UND VIEL SCHATTEN

Die amerikanische Prohibition trat am 16. Januar 1920 in Kraft und verbat die Herstellung und den Verkauf von Alkohol in den gesamten USA – dies bedeutete freilich nicht, dass kein Alkohol mehr getrunken wurde. Die Regierung hatte längst nicht die Mittel (und vielleicht auch nicht den Willen), die Einhaltung dieses Gesetzes flächendeckend zu überwachen. Ausgeschenkt und konsumiert wurde der illegal gebrannte oder ins Land geschmuggelte Alkohol fortan vor allem in illegalen Bars, den Speakeasies. Der Name leitete sich davon ab, dass dort nur leise gesprochen werden sollte, um draußen vorbeilaufende Passanten nicht auf die gesetzeswidrige Trinkstätte aufmerksam werden zu lassen.

Betrieben wurden die Schwarzgastronomien in der Regel von Mitgliedern organisierter krimineller Banden. Diese Clubs stellten eine sehr lukrative Einnahmequelle dar und trugen stark zum Wachstum der organisierten Kriminalität bei. Vieles lag damals im Argen, so romantisch uns das alles fast ein Jahrhundert später auch erscheinen mag: Trotz ihres wunderbaren Jazz-Soundtracks, trotz der eleganten Mode und trotz all der anderen Gatsby-esken Anmutungen, welche heute für uns vielleicht mitschwingen, wenn wir über die „Roaring Twenties“ reden: Es handelte sich vielerorts um eine ziemlich miese Zeit.

Die organisierte Kriminalität wuchs, zahllose Brauereien mussten aufgrund des Brauverbots für immer schließen, Weinberge wurden gerodet. Wer trank, verstieß gegen das Gesetz und die Spirituosen waren meist minderwertig, wenn nicht gar gesundheitschädlich. Hochprozentiger Alkohol war leichter zu schmuggeln als Wein und Bier. Aufgrund seiner miserablen Qualität wurde der Genuss von Spirituosen auf Eis populär, ebenso wie der gemixte Drink. Vor allem deshalb gewann der Cocktail in dieser Zeit so sehr an Bedeutung. Nicht umsonst stammen so viele Drinks, mit denen wir uns heute wieder auseinandersetzen, aus der Zeit der Prohibition.

GIBT ES HEUTE NOCH SPEAKEASIES?

Seit der Eröffnung des Milk and Honey sind überall auf der Welt Bars eröffnet worden, die gar nicht so leicht zu finden sind, da sie von außen nicht wie eine Bar aussehen. Viele Bars verfügen mittlerweile über eine Klingel, die gedrückt werden will, bevor man eventuell Einlass gewährt bekommt. Häufig sprechen Betreiber, Bartender oder Gäste in solchen Fällen dann von einem Speakeasy. Welch eine Verblendung!

„Dieses Speakeasy-Etikett ist eines, das die Medien in den vergangenen Jahren gerne kleinen Bars angeheftet haben.“ sagt Gonçalo de Sousa Monteiro. Über seine im vergangenen Jahr bei den MIXOLOGY BAR AWARDS als Deutsche Bar des Jahres ausgezeichnete Bar Buck & Breck sagt er kurz und bündig: „Das Buck & Breck ist kein Speakeasy, denn wir leben auch nicht in Zeiten der Prohibition!“ Seine Tür mit Klingel ist für ihn einfach ein Instrument, das es ihm erlaubt, jeden Gast so begrüßen, als komme er bei ihm zu Hause zu Besuch. Eine Tür mit Klingel erlaubt es, den Strom der Gäste und somit auch die Selektion und Begrüßung derselben wesentlich souveräner zu kontrollieren und gestalten zu können. Um den Gast willkommen zu heißen, ihn zu empfangen und ankommen zu lassen, ihm schon den Eintritt, den Auftakt des Barbesuchs so angenehm wie möglich zu gestalten. Dies war auch für Sousa Monteiro das Motiv, warum er sich bei der Konzeptionierung seiner Bar für eine Tür mit Klingel entschied.

Und auch die Tatsache, dass eine Bar von außen nicht als solche zu erkennen ist, kann einen wertvollen Effekt haben: Eine Bar, die erst entdeckt werden muss. Ein Gast, der bereits einmal in der Bar gewesen ist, kommt sicher mindestens ein weiteres Mal mit Freunden oder Kollegen wieder, um sich als Entdecker dieses Insider-Tipps zu präsentieren. Dies bestätigt auch der Buck & Breck-Betreiber. Kleines aber feines Marketing. „Wenn mich jemand darauf anspricht, dass die Bar schwer zu finden ist, antworte ich, dass dies für jeden aber nur beim ersten Mal der Fall sei“ schmunzelt Gonçalo.

Dennoch haben Bars, die sich solcher Elemente bedienen, nichts mit einem Speakeasy im eigentlichen, historischen Sinne zu tun. Bei der Konzeptionierung einer Bar kann es Sinn machen, ein Element aus der Historie aufzugreifen und in ein zeitgenössisches Konzept zu implementieren. So wie es Petraske damals in Manhattan tat. So wie es im Buck & Breck passiert ist. Die Speakeasy-Schublade darf aber dennoch geschlossen bleiben – gerne für immer!

Credits

Foto: Augen hinter Holz via Shutterstock

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