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The Boilerman Bar, Hamburg. Der Löwe heizt ein!

Es brodelte unter der Oberfläche und dann platzte es vor wenigen Wochen hervor: Herr Jörg Meyer hat in Hamburg eine neue Bar. The Boilerman Bar. Das Konzept ist ausgefeilt und greift weit. Unser frisch nach Hamburg gezogener Autor Steffen Hubert machte sich daran, die ganze Bandbreite des Meyer‘schen Denkens nachzuvollziehen.

Dass Herr Jörg Meyer, der Löwe von Hamburg, einer der umtriebigsten deutschen Gastronomen in der gehobenen Bar-Szene ist, muss man den meisten MIXOLOGY-Lesern nicht mehr vorsingen. Trotzdem hätten wohl nur wenige damit gerechnet, dass er 2012 mit einem neuen Bar-Konzept aufwartet. Nicht einmal er selbst. Denn als er im Mai darauf angesprochen wurde, ob er Interesse daran hätte, ein Objekt in Hamburg-Eppendorf zu übernehmen, überraschte es ihn selbst. Die bis dato dort ansässige Eberhardt‘s Bar schien unerwartet nach knapp einem Jahr Betriebszeit das Zeitliche zu segnen.

Noch eine Classic Bar, wie sein Le Lion im Herzen Hamburgs, wollten weder er noch sein Partner Rainer Wendt in Hamburg verwirklichen. Warum? Herr Meyer steht Rede und Antwort: „Zum Ersten, weil ich Le Lion nicht kopieren möchte, zum Zweiten, weil ich glaube, dass der Markt für so eine High End Bar in Hamburg sehr klein ist und zum Dritten, weil ich es liebe, mir neue Konzepte auszudenken und diese gegen die Erwartungen der Gäste durchzusetzen.“ Die Idee wurde innerhalb weniger Wochen konkret. Herr Meyer nennt es nun „Nachbarschaftsbar“ oder „Dive Bar“.

Der falsche und der echte Highball

Eine Bar, in die man „eintaucht, entspannt und unkomplizierte, aber perfekte Drinks auf Kenner-Level genießen kann“. Die Messlatte war Anreize zu schaffen, „einfach zu genießen und auch Neues zu probieren“. Dies in einer angenehmen, lockeren Atmosphäre, in der auch mal die Musik aufgedreht werden darf“. Der Getränke-Schwerpunkt liegt auf Highballs. Für Meyer ein „hochgradig interessantes Thema“ und unterm Strich „deutlich komplexer, als diese eindimensionale Sichtweise des ,heutigen‘ Highballs mit Spirituose und Filler im Longdrinkglas“.

Selbstredend nutze ich die Chance und lasse mich von Herrn Meyer über diese mir relativ unbekannte Komplexität der Highball-Geschichte aufklären. Um 1900 gerieten New Yorker und Bostoner Bars in einen Highball Rausch. Der „Ur-Highball“ Whisk(e)y-Soda mutierte „zu einer eigenen Gattung, vielmehr zu einer Art des Services“. Zum einen dreht es sich dabei um die Glasgröße, zum anderen um das Verhältnis der alkoholischen Ingredienzien zu den Fillern. Herr Meyer ist sich sicher: „Sämtliche aktuellen Bar-Bücher sind, was das Thema Highballs anbelangt, unvollständig, bzw. falsch.“ Ein echtes Highball-Glas fasst „20-25 cl und das Mischungsverhältnis sollte darin derart sein, dass der Filler nie dominiert, also 1:1 oder höchstens 1:2“.

Der Meyer‘sche Highball kann auch ein Mix aus verschiedenen Spirituosen und Fillern sein, so lange erwähnte Regularien eingehalten werden und fertig im Glas serviert wird. Alles andere ist für Herrn Meyer ein Longdrink. Highballs sind also Shortdrinks, die schnell zuzubereiten sind, leicht zugänglich und daher ebenfalls schnell getrunken sind. Der Schritt zur neuen Bar war offensichtlich nicht mehr fern. Aber was bedeutet nun eigentlich der Name Boilerman?

Vom Boilerman und Boilermaker

Mit dem Namen geht es erneut in die Geschichte der Highballs. Spezieller, in die Herleitung des Wortes. Herr Meyer: „Highball(en) ist im Amerikanischen ein Begriff für sich beeilen, schnell sein, Gas geben. Das geht auf das alte ,Highball‘ Signal der amerikanischen Zugfahrt zurück. Ein hoher Ball war ein Zeichen, das die Station dem durchfahrenden Zug gab. War der Ball oben, hieß das: Ihr seid nicht im Plan, ihr seid zu langsam, ihr müsst euch beeilen.“ Wer musste nun Gas geben? Erraten, der Boilerman, ein Kohle nachlegender Heizer der Dampflok.

Genug Geschichte, es wird Zeit abzutauchen und den Boilerman Drinks servieren zu lassen. Die Bar ist sehr schlicht gestaltet. Lichtkegel zielen von einer abgehängten Decke durch Rauchschwaden und treffen auf unauffälliges Mobiliar. Es gibt keine Wandverzierungen. Nur ein großer Spiegel hängt der Bar gegenüber. In regelmäßigen Abständen tänzelt ein Boilerman in Schürze und Krawatte durch die Eingangstüre und die in zweiter und dritter Reihe anstehenden Personen. In der Hand ein Tablett voller leerer Highball-Gläser, höher und schmaler als ein Tumbler, aber deutlich kleiner als ein Longdrinkglas. Woher diese kommen, bleibt dem unbedarften Beobachter unklar. Es muss wohl eine externe Lagerstätte geben. Die Gläser sind gefroren und in jedem sind exakt zwei Eiskugeln, die schnell der Marke Hoshizaki-Eismaschine zugeschrieben werden können.

Hinter der Theke werden die Gläser untergebracht, bis sie vom einheizenden Boilerman, in meinem Fall Herr Meyer persönlich, fix gefüllt werden. Die Barkarte ist überschaubar. Diverse Highball-Kategorien, ein bisschen Schampus und ein paar Biere. Sogar einige Softdrinks finden Platz. Weniger ist mehr. Aber die Gäste scheinen nahezu alle den Highballs zu frönen, die zum Spottpreis von 5,- bis 7,- Euro über den Tresen gehen. Ich habe mich ebenfalls schnell durch ein paar durchprobiert und bleibe nach einem Gin Basil Smash Highball bei der New York Sour Highball Variante hängen. Vorzüglich. Schon nach kurzer Zeit fällt es mir schwer, meine versuchten und getrunken Drinks an einer Hand zu zählen.

Finde das Häufchen

Nahezu alles wird im Glas gebaut. Von Shakern fehlt weit und breit jede Spur. Nur ein Hamilton steht noch hinterm Tresen und wird rege benutzt. Herr Meyer nutzt diesen für seinen „Dry Blend“. Eine von ihm entwickelte Arbeitstechnik: „Alle Zutaten, inklusive des kohlensäurehaltigen Fillers, werden in einen Hamilton Becher gegeben und am Stabmixer ein bis zwei Sekunden schnell vermixt und dann schäumend ins Gästeglas gegeben.“ Ich gönne mir einen Boilermaker für zwischendurch. Das ist der Hausdrink im Boilerman: Ein Ratsherrn Pale Ale und ein kräftiger Bourbon Shot. Amerikanische Whiskeys sind sowieso die Zukunft am Meyer‘schen Dampfkessel. Mindestens 100 Bourbons und Rye Whiskys sollen zusammenkommen.

Wo der Haken ist? Selbst bei kritischster Betrachtung sehe ich keinen. Okay, bei einem der vier Besuche im Boilerman war mir das Publikum etwas zu extrovertiert snobistisch. Aber das liegt wohl an Hamburg. Für mich ist der Boilerman in nur wenigen Tagen zum externen Wohnzimmer geworden. Darüber hinaus bin ich mir sicher, dass das Konzept noch viele Nachahmer finden wird. Zum Glück. Denn der Boilerman schließt eine Lücke zwischen gehobener Barkultur und den durstigen Massen, die bisher nicht gewillt waren, 10 Euro und mehr für Drinks auszugeben. Nach einem Besuch im Boilerman oder einem Äquivalent werden sie dies überdenken. Herr Meyer, Chapeau!

Comments (4)

  • Hoppenheit

    “Dry Blend” eine von Herrn Meyer entwickelte Arbeitsmethode …. Meine Herren ist das lustig!
    Bitte besuchen sie mich in der Saphire Bar ich lade Sie auf einen Drink des Hauses ein der sehr gut zu ihnen passt. Der “Triumph der Selbstdarsteller” ein Klassiker für “Dry Blender”
    Bis bald recht freundlich
    Roland Hoppenheit

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    • Mattes

      Sehr amüsanter Kommentar!

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  • Pingback: Kurz vor der großen Barwoche. Informationen rund um MIXOLOGY.

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