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theresa bar münchen

Die Theresa Bar in München oder im Bauch des Wals

In der Theresa Bar trifft das Italien der 1970er auf die kalifornische Westküste – und das mitten in München.Dort, in einem Schwabinger Hinterhof, entpuppt sich das Warten als gemeinschaftliche Müßigkeit. Zu Besuch an einem Ort, der auf Zeitlosigkeit setzt.
„There you are, in the dark, cushioned space that exactly fits you, with yards of blubber between yourself and reality“. — George Orwell, „Inside the Whale”
Dass zum Mythos der Mondänität immer auch ein gerüttelt Maß an Zeitlosigkeit gehört, weiß, wer je Balthus, Proust oder auch Capote zu seinen Schätzen gezählt hat. Doch nicht nur in der Kunst, auch in der Konsumwelt greift man gern auf eine gewisse „Timelessness“ zurück, um seinen Produkten einen entsprechend mondänen Anstrich zu geben. So wirbt ein Schweizer Uhrenhersteller seit vielen Jahren damit, dass man seine Zeitmesser nie wirklich besitze, sondern nur für die nächste Generation aufbewahre.
Nun gehört die Zeitlosigkeit, sofern sie als schiere Warterei daherkommt, nicht unbedingt zu den Lieblingsbeschäftigungen von Erben, und auch in der Gastronomie kann eine längere Geschehnislosigkeit bisweilen extrem unangenehm werden. Umso erstaunlicher ist es, wenn man auf Läden trifft, in denen sich das Warten per se als gemeinschaftliche Müßigkeit entpuppt, die – gepaart mit entsprechendem Feinsinn – zur eigentlichen Essenz des Ortes gerät.

Theresa Bar: Italien der 1970er trifft auf West Coast

Die Münchner Theresa Bar, in einem Schwabinger Hinterhof neben dem gleichnamigen Grillrestaurant gelegen, gehört zu diesen seltenen Phänomenen. 2015 unter nicht unerheblichem wirtschaftlichem und baulichem Aufwand vom umtriebigen gastronomischen Quartett Markus, Stephanie, Florian und Jasmin Thatenhorst aus der Taufe gehoben, eröffnet sich dem Besucher hinter einem schweren Vorhang ein Zutritt zu einem großzügigen, luxuriös-dämmrigen Separee, das den Eindruck macht, als wäre Marcello Mastroianni sanft an einem kalifornischen Baccaratisch entschlummert.
Hier trifft das Italien der 1970er auf die West Coast: Hölzerne Lamellen an den Wänden halten das Licht auch tagsüber angenehm zurück, während tiefweicher Teppichflor schon nach den ersten Schritten jede innere und äußere Hektik vertreibt. Graues Rauchglas und Details aus Messing garnieren die üppigen, jedoch stets feminin wirkenden Polstermöbel, die sich um das Herzstück der Bar, einen lang geschwungenen, kupfernen Tresen ziehen. Erstes Fazit: Hier lässt es sich recht nobel versacken. Was also trinken?

Theresa Bar vereint Haupt- und Nebendarsteller

Der Blick auf die Rückwand der Bar verheißt prinzipiell Gutes. Es ist nicht nur die solide, mit Überschaubarkeit und Finesse bedachte Auswahl an Grundspirituosen (manche Bars machen es sich ja zum Sport, meterlange Regale mit möglichst vielen Spritflaschen vollzupacken), es sind vor allem die erstklassig besetzten Nebendarsteller wie die ausgesuchten Frucht- und Kräuterliköre (z.B. Hierbas Ibicencas), heimische Wermutmixturen wie Burschik’s Classic und andere Geschmacksgeber wie der gefeierte Szeneneuling Italicus, die eine Vorahnung auf die hochwertige Ausrichtung des Cocktailkonzepts geben.
Dazu gehört auch das Credo des ambitionierten wie angenehm freundlichen Barchefs Florian Geschka (Stationen vorher u.a. Bar Lux und Monaco Schwabing), wo es nur geht mit frischen Früchten zu arbeiten, und auf zugekaufte Sirupe zu verzichten. Die Handschrift der Cocktailkarte selbst ist wohl am besten mit „klassisch-edel mit schwungvoll kalligraphierter Signatur“ zu bezeichnen, gern auch mal mit einem begrüßenswerten Mut zu Kontrast und Üppigkeit (z.B. Aquavit mit Ovomaltine-Infusion, Sake mit Rote Bete und Kräuterlikör), aber nie pappig, nie fancy, stets balanciert und mit stimmiger Konterkarierung des edlen Interieurs.
Apropos Interieur: Wer nicht blind durch den Windfang der Bar gerauscht ist, dem wird der begehbare Weinschrank neben dem Eingang aufgefallen sein, der neben interessanten Winzersekten und anderen hochklassigen Schaumweinen mit einer ebenso belastbaren Auswahl internationaler Gewächse aufwarten kann. Man darf es also auch langsam angehen, z.B. mit einem biodynamisch ausgebauten Rieslingsekt von Frank John oder einem schmeichelnden Malbec aus den Anden.

München und das Warten auf Merlot

Dazu gibt es bis spät in die Nacht leicht aufgejazzte Bar- und Brasserieklassiker aus der eigenen Küche (z.B. Moules Frites, Rinderfilet mit Beurre Café de Paris und Endiviensalat), die durchweg solide zubereitet und serviert werden (hier an dieser Stelle auch ein dickes Lob für den reibungslos eingespielten Service, der sich als ebenso aufmerksam wie fachkundig erweist). Wer nur einen kleinen Appetithappen möchte, kann auch die angebotenen Jahrgangssardinen gut mit dem Nachbartisch teilen. Womit wir beim Publikum wären. Wen erhofft man sich hier zu treffen, oder besser, wen erhofft man sich lieber nicht?
Bleiben wir mit einem saloppen Vergleich innerhalb der Stadt: Im Schumann’s wartet man auf Florian Langenscheidt, in der Theresa Bar auf Benedikt Taschen. Wo anderswo in quietschbunten Chinos demonstriert werden muss, dass man Kellner und Prominenz unbedingt beim Namen kennt, treffen sich hier die entspannten Vettern und Basen des California Modern, vergnügen sich zumeist mit Benimm und genießen ansonsten das Warten auf Merlot. Kein Rat Pack, keine Bella Figura, kein Tanzen auf den Tischen, dafür aber eine Nacht vor Augen, die nach den ersten zwei, drei Drinks angenehm lang werden darf.

Eine der besten Musikauswahlen in München gibt es auch

Nach weiteren Bestellungen, übrigens unterlegt von einer der besten Musikauswahlen Münchens (entspannte Motown- und Hiphop-Classics, unterbrochen von elektronischem Geschmeide) erschließt sich dem Besucher dann auch subsequent das Geheimnis dieses Ortes, und die eigentliche Transformation beginnt. Hat da nicht gerade Marvin Gaye nach seiner Mutter gerufen? Und warum ist dieser Teppich so verdammt weich? Wer je ein Opiumpfeifchen sein eigen nennen durfte, weiß, dass sich der Himmel nicht nur über-, sondern auch unterhalb seiner selbst eröffnen kann. Oder, um es am Ende der Nacht frei mit Camus zu sagen: Wir müssen uns Jonas im Bauch des Wals als einen glücklichen Menschen vorstellen.
Ganze drei Tage am Stück wie damals im biblischen Gleichnis hat die Bar natürlich nicht geöffnet, aber bei interessierten Tresengesprächen, für die sich vor allem der Sommer anbietet, wenn es nicht so überlaufen ist, kann es auch schon mal länger dauern. Ansonsten gilt: besser reservieren, vor allem am Wochenende. Denn man will ja in der Bar das Warten erlernen, direkt im warmen Bauch des Leviathans. Und nicht schon draußen vor der Tür.

Credits

Foto: Theresa Bar

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