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Bartour Berlin-Tiergarten: zwischen Erinnerung, Entsetzen und Erstaunen

Mitte? Kreuzberg? Neukölln? Schöneberg? Nein. Die eigentliche Keimzelle der Berliner Cocktail-Renaissance liegt in Tiergarten. Das wissen nur nicht so viele, und schon gar nicht ist das heute immer zu sehen. In seinen Berlin-Journalen besucht Peter Eichhorn geschlossene Legenden, lebendige Sterne oder Harry’s New York Bar, die heute The Unique Bar heißt.
Für Berliner Barflys muss der U-Bahnhof Nollendorfplatz eine der bewährtesten Haltestellen des ÖPNV sein. Gilt es doch, von dieser Anlaufstelle aus einige herausragende Bars der Berliner Cocktaileria anzusteuern. Insbesondere in südlicher Richtung in Richtung Schöneberg erwartet die Trinkergemeinde beste Baratmosphäre und herausragende Drinks, beispielsweise im Stagger Lee, Green Door oder Voima. Wählt man hingegen die Richtung nordwärts Richtung Tiergarten, so mischen sich heutzutage Erinnerung, Entsetzen und Erstaunen.

Tiergarten und seine Geistertresen…

Nur wenige Schritte sind es bis zum Lützowplatz, wo bewährte Bargänger womöglich mit einer Träne im Knopfloch innehalten und durch die Fenster der „Bar am Lützowplatz“ blicken – ein Klassiker der Berliner Barhistorie und Keimzelle einer fulminanten Entwicklung Berlins zur Barmetropole durch Barmänner wie Stefan Weber oder Thomas Pflanz, die eine ganze Generation von Hauptstadttendern prägten.
Traurig fällt der Blick durch die verschlossene Türe in den abgedunkelten Raum, in dem dennoch ein Lichtstrahl ein Bild des Tiergartentunnels illuminiert und auch einige Facetten der Bar erkennbar machen. Der Neustart 2013 war leider nur von kurzer Dauer, nun ruht der lange, lange Tresen im tiefen Dornröschenschlaf. Die Barhocker stehen bereit, im Rückbuffet immer noch zahlreiche Destillate. Her mit dem Schlüssel und einem Sack voll Eis und wir legen sofort los! So könnte man jedenfalls meinen.

Tiergarten-Bars, Blues und blaue Noten

So eine schöne Bar. Geschlossen, zu, dicht. So schade. Der Buschfunk munkelt, dass einige Gastronomieprofis aus der näheren Umgebung die Fühler dezent ausgestreckt haben, weil auch sie den Leerstand nicht begreifen. Wir beobachten gespannt, ob die Bar wieder wach geküsst wird. Wie herrlich wäre es, wenn der Klassiker der 1990er Jahre wieder neu belebt würde, so, wie sich auch das Viertel mit neuem Leben und Bauprojekten entwickelt.
Wenn der Gang schon die Nostalgie wach kitzelt, so mag sich manch bewährter Hauptstadttrinker womöglich noch an das Blue Note erinnern, das ebenfalls die 1990er Jahre prägte. Gleich ums Eck, in der Corbusierstraße, war die Mischung aus Club, Musikbühne und Cocktailbar ein magischer Ort. Live-Auftritte zu prachtvollen Cocktails, die ihrer Zeit manchmal voraus waren. Es gab den Hausdrink „Blue Note“, gemixt mit Mezcal, der damals nicht an jedem Tresen zu einer Selbstverständlichkeit zählte wie heute. Selbstverständlich war hingegen Blue Curaçao, der dem Drink die namensgebende Farbe verlieh. Dazu noch ein Schuss frischer Zitronensaft – es muss etwa im Verhältnis 5/2/1 gewesen sein – eine Cocktailkirsche, und fertig war der jazzige Klassiker.

The Unique Bar als Erbe eines großen Namens

Eine weitere Barlegende des alten Berlin findet sich wiederum ein paar Schritte weiter. Ein wenig Gewöhnung bedarf es auch nach mehr als einem Jahr noch, dass die frühere „Harry’s New York Bar“ im Grand Hotel Esplanade zur „The Unique Bar“ im Sheraton Berlin Grand Hotel Esplanade wurde. Die neuen Betreiber trennten sich von dem großen Namen der Bargeschichte und dem damit verbunden Franchise-Konzept.
Das Pariser Ursprungshaus ist Legende, spätestens seit Harry MacElhone die 1911 gegründete „American Bar“ übernahm und seinen Vornahmen im Titel ergänzte. Neben der langen Tradition mit Exilamerikanern, Hot Dogs, Wahlpartys und natürlich berühmten Gästen wie Coco Chanel, Humphrey Bogart, Ernest Hemingway oder Jean-Paul Sartre, steht die Bar zudem als Entstehungsort einiger weltbekannter Cocktails wie Bloody Mary, French 75, White Lady oder Sidecar.
Berühmt auch jener Hinweis zur französischen Aussprache der Adresse, der den internationalen Gästen angeraten wird: „Sank Roo Doe Noo“. Harry’s New York Bars existieren weltweit mit dem berühmten Barfly-Logo der beiden Fliegen mit Zylinder und den berühmten Drinks von Harry MacElhone. 1988 eröffnete auch in Berlin eine Dependance, die sich rasch als Hotspot etablierte, was insbesondere den charismatischen Barchefs zu verdanken war, wie Andreas Lanninger, Thomas Altenberger oder Onur Köksal. Eine bewährte Bar, die es heute nicht mehr gibt – und irgendwie doch.

The Unique Bar: Freiheitsstatue und Klavier

Optisch hat sich in der The Unique Bar nicht viel verändert. Am Eingang steht immer noch die mannshohe Freiheitsstatue und an den lila illuminierten Wänden prangen die Bilder sämtlicher US-Präsidenten der Vergangenheit. In der Raummitte wartet auf dem Podest auch immer noch der Flügel auf regelmäßige Bespielung durch den Pianisten. Es ist Freitag kurz vor acht Uhr abends, und die vier Gäste verlieren sich in dem großen Raum. Optimistisch stehen an allen Plätzen bereits großzügige Schalen mit Knabberzeug. Das Barteam wirkt sehr engagiert und sympathisch. Auf die Bemerkung, dass die Barkarte mit ca. 100 Positionen die Auswahl ein wenig verzögert, zieht der Bartender überrascht die Augenbrauen in die Höhe und erwidert erstaunt: „Aber wir haben die Karte doch bereits extrem verkleinert.“
Tatsächlich muss die damalige Harry’s-Karte den doppelten Umfang gehabt haben. Der East India Cocktail wird in der Unique Bar als West India präsentiert und mundet solide. 10 bis 14 Euro kosten die Drinks, Champagner Cocktails schlagen mit 17 Euro zu Buche. Die Bar strahlt noch immer eine altertümliche Generation von Hotelbars aus, die ausstirbt. Endlich erkennen viele Hotelbetreiber, wie sinnvoll eine zeitgemäße Hotelbar zum Ruf eines Hauses beitragen kann. Im Sheraton in Tiergarten müssen wir darauf anscheinend noch ein wenig warten, auch wenn die Homepage der Bar verrät, es handele sich um „die unangefochtene Königin der Bars und Lounges im Zentrum Berlins“.
The Unique Bar 
Im Sheraton Berlin Grand Hotel Esplanade
Lützowufer 15, 10785 Berlin-Tiergarten

Stetig im Wandel: Bar Lebensstern

Nur wenige Schritte weiter führen zu einer Bar, die durch zahlreiche Preise und Ehrungen half, den Ruf Berlins als Barstadt in die Welt zu tragen. Die Bar Lebensstern im Café Einstein Stammhaus bezaubert atmosphärisch noch heute. Gut, womöglich nicht in dem kalt beleuchteten Raucherzimmer hinter Glas, in dem früher eine attraktive Verkaufsschau mit feinem Zubehör und begehrenswerten Spirituosenraritäten etabliert war. Aber durch die anderen Räume und Salons weht beständig die Aura von Schutzpatronin Henny Porten, der Stummfilmdiva, sowie der Hauch der 1920er und 1930er Jahre.
Das Rückbuffet und die Wandschränke offenbaren die unglaubliche Spirituosenvielfalt einer wahren „Liquid Library“ mit 600 Sorten Rum, 150 Varianten von Gin und 750 weiteren, edlen Destillaten. Die Wände bieten noch immer jenes laszive Rot, die Ledersessel wirken ein wenig verschlissen und das Barteam ist wieder einmal frisch. Wehmütig erinnern sich die verbliebenen Stammgäste an großartige Teams und vorzügliche Barchefs und Gastgeber. Manche sagen bestimmt: Der Lebensstern erfindet sich ständig neu. Andere wundern sich wehmütig, wenn ein weiteres Barteam verschwindet.
Die frühere, zigarrenfreundliche Bar sattelte vor einiger Zeit um und entfernte die Aschenbecher und den Humidor zugunsten von Dosenfisch und Kreativbier. Anscheinend resümiert der Betreiber die Gästereaktion und den Erfolg des Konzepts und denkt wieder um. Seit Januar ist der Humidor wieder gefüllt und Zigarrenfreunde in der Bar in Tiergarten wieder willkommen. Zudem wurde leider die Spirituosenkarte überarbeitet und von sämtlichen Schnäppchen befreit. Eine Zeit lang gab es so manchen Van Winkle zum Freundschaftspreis. Aber die Zeiten ändern sich, und das gilt leider auch für den Mai Tai, lange ein Signature Drink des Hauses. Man erinnere sich nur, als der großartige Renegade Jamaica das Rückgrat des Mai Tai war.
Heute dient ein vorbereitetes Rum-Cuvée als Grundlage für den Klassiker. Dass man bei 600 Rumsorten nun ausgerechnet auf Myer’s Rum als Basisrum setzt, ist ein interessante Wahl. Immerhin werden Reklamationen angemessen behandelt. Ansonsten mixt ein freundliches Team unterhaltsame Cocktails, wie den „Bratapfel“ mit Brandy, Bratapfelsirup, Zitrone und Eiweiß, oder einen Aquavit Manhattan. Mit 10 bis 12 Euro sind die Drinks fair bepreist. Rauch, Nicht-Rauch, Mai oder Tai und Dosenfisch. Eine wunderschöne Bar im steten Wandel. Was wird uns hier als nächstes wieder erwarten?
Bar Lebensstern
Kurfürstenstraße 58, 10785 Berlin-Tiergarten

Das Stue Bar: Design-Cocktail-Stube in Tiergarten

Eine weitere, bewährte Adresse verströmt ebenfalls neue Schwingungen, beziehungsweise Drinks. Die AccorHotels-Gruppe war zuletzt sehr aktiv auf dem Berliner Markt. Der französische Hotelgigant stieg bei den 25hours Hotels mit ein, führte einen Neustart im Pullman Schweizerhof durch und managt nun auch das diskrete Design-Hotel Das Stue, dessen Eigentümer aber nach wie vor der Immobilienentwickler Christian Elleke ist.
Das Haus an der Grenze zum Zoo mit der geheimnisvoll-düsteren Fassade beherbergte bis zum Zweiten Weltkrieg die dänische Gesandtschaft. Aus dem Dänischen leitet sich auch der Name ab. Stue bedeutet somit „Stube“. In der Cocktail-Stube im Inneren waltet nun ein neues Team um Konrad Friedemann, den viele Berliner an seinen letzten Wirkungsstätten rivabar und Bijou Bar schätzen lernten. Ihm ist es zu verdanken, dass wieder einmal eine Hotelbar aus der getränketechnischen Herbergs-Beliebigkeit geholt wird und das Potenzial hat, sich zu einer zurückgezogenen Top-Adresse für einen eleganten Barbesuch zu entwickeln.

Das Stue hat Drinks und Gnu

Edle Materialien und ein schönes Beleuchtungskonzept schaffen den stimmungsvollen Rahmen für kulinarische Hochgenüsse, für die insbesondere die sternebekrönte Kücheninspiration von Paco Pérez im Restaurant Cinco sorgt. Danach geht es an den kupfernen Tresen mit Blick auf alte schwarz-weiß Filmklassiker, die abends dort flackern, wo sich tagsüber ein Blick auf die Gehege des benachbarten Zoos bietet.
Das Team mixt Barklassiker souverän, verleiht aber ihr Hauptaugenmerk der Aromenvielfalt von Wermut. Zahlreiche Varianten stehen bereit und werden abwechslungsreich in Drinks verarbeitet, vom flaschengereiften Negroni bis zu Eigenkreationen mit spannenden, kulinarischen Zutaten, wie Kombucha, Öl, Sesam und Bitters. Ungewöhnlich und sehr spannend war der „Sergeant Pepper“ mit Wermut, gelber Paprika und Eiweiß und einer aufregenden Textur. 14 bis 17 Euro kosten die Drinks einer Basis-Karte, die um saisonale Kreationen ergänzt wird. Oft schwingt ein Hauch von Paco Pérez’ katalonischer Heimat mit, beispielsweise durch einen Wermut, der mit Oliven hergestellt wird. Freitags wechseln sich DJs und Live-Musiker ab. Gerne geht es in die Richtung Jazz und Gypsy.
Das Stue Bar
Im Das Stue Hotel
Drakestraße 1, 10787 Berlin-Tiergarten

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