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Eine alkoholfreie Reise durch Italien

Si, Senza: Eine alkoholfreie Reise durch das Aperitifland Italien

Pressereisen für ein Bar-Magazin sind häufig eine alkohollastige Angelegenheit. Diese jedoch nicht. Unsere Autorin Juliane Reichert reist alkoholfrei durch Mailand, Florenz, Bologna und Turin und stellt Beobachtungen an. Über sich und andere. Über Gucci-Anzüge und schwarze Kater. Und über interessante Drinks. 

„Allora …“ So fängt in Italien ungefähr jeder dritte Satz an. Quasi, um einzuschenken für den darauffolgenden Satz. „Allora“, das ist der Aperitivo der Sprache, der Beginn von einem Abend, einem Gespräch. Fraglich, wie lange dieses dauert.

Denn Alkohol macht müde und dumm. Aber eben auch den Abend schön. In punkto Hedonismus sollte man sich die Dosis im Blick auf die Zeit überlegen; die Abwägung zwischen dem Gefallen am Jetzt und dem an der Zukunft sind bisweilen Antagonisten. Wenn es um die Frage nach Alternativen geht, ist es zunächst ratsam, sich zu überlegen, wofür. Exemplarisch dafür ist der Verzehr von Fleisch. Soll die pflanzliche Alternative ident schmecken? In der Zubereitung gleich sein, so dass alle Rezepte auch mit dem Ersatzprodukt funktionieren? Soll es nur so aussehen, oder genügt es schon, den Namen Cevapcici zu verwenden? Möglicherweise kann man es sogar komplett lassen und Kässpätzle kochen. Gleich voll ist man hinterher zweifelsohne.

Zumindest auf letzteren Effekt sollte man beim alkoholfreien Trinken nicht setzen. Ähnlichkeiten in Geschmack und Rezeptur, Optik wie Namensgebung indes, können besorgt werden. Die Ähnlichkeit der Gelegenheit ebenso. Das Äquivalent zu den veganen Cevapcici beim BBQ ist vermutlich der sommerliche Aperitivo auf einer italienischen Piazza – ohne Alkohol.

„The Black Cat“ aus der Atrium Bar im Four Seasons in Florenz
„The Black Cat“ aus der Atrium Bar im Four Seasons in Florenz
„Den schweren Geschmack der Leichtigkeit des Lebens schmecken und mit hedonistischer Vernunft in die andere Seite des Ozonlochs blicken. Die Italiener können das herzlich gut.“
„Den schweren Geschmack der Leichtigkeit des Lebens schmecken und mit hedonistischer Vernunft in die andere Seite des Ozonlochs blicken. Die Italiener können das herzlich gut.“

Bittersweet Symphony

Nach zig Jahren Reisen mit Fokus auf Bars, Tresen und Volumenprozenten, darf sich einem schon einmal die Frage stellen, wie es eigentlich ohne wäre – also, den Prozenten. Und ob. Und mit wem. Wie lange. Ob nur Überstehen oder gar gut Bestehen.

Die personellen Vektoren für eine versierte Bartour durch Mailand, Florenz, Turin und Bologna sind gegeben, mit auf die Reise etwa begeben sich Sake-Expert:innen aus Tokio und Madrid, Autor:innen aus Südafrika und den USA, und andere Akteure der Alkoholwelt aus Frankreich, Großbritannien und Indien. Und Komplize Martin Stein – zumindest in Profession und Freundschaft, nicht aber im Anliegen. Ein wahrlich harter Brocken.

Dass der Anteil derer, die keinen Alkohol trinken, immer größer sowie die Notwendigkeit würdiger Alternativen immer mehr wird, darüber ist man sich einig. Mit einem „Scilla e Cariddi“ in dem Mailänder Bistrot Bella Milano stoße ich auf eine Woche alkoholfrei durchs atmosphärische Herz der Aperitivo-Kultur an, dieser besteht aus Marsala, Tosazu – einer japanischen Würzsauce gemischt aus Dashi, Sojasauce und Mirin – Kapern infusioniertem Tanqueray Ten und Zitronenblättern, die alkoholfreie Version indes aus dem Saft karamellisierter Trauben und Tanqueray 0,0 %.

Es ist Sommer, von lauen Temperaturen kann in Mailand nicht die Rede sein; die Hitze ist sengend, der Schweiß rinnt die Kniekehlen entlang, bevor er auf den gleißenden Asphalt tropft und verdunstet. Salz liegt in der Luft und Salz schmiegt sich um den Rand der Gläser im Bar und Restaurant Moebius, wo ein 700-jähriger Olivenbaum aus Spanien waltet und wacht, außerdem Lorenzo Querci, der Vater von Baum und Bar. Hier serviert sein Bar-Manager Giovanni Allario, ehedem im Pariser Le Syndicat tätig, alkoholfreien Negroni. Hergestellt mit einer Gin- sowie Bitter-Alternative der französischen Crew von JNPR, die sich, in Zusammenarbeit mit dem Starmixer der 1930er Jahre, Flavio Angiolillo, dem reuelosen Rausch verschrieben hat. Die zentrale Frage nach den (Un-)Möglichkeiten alkoholfreier Spirituosen bringt sie auf den Punkt, nämlich mit dem Ziel, den „Erwachsenengeschmack“ der traditionell in klassischen Spirituosen verwendeten Aromen zu finden.

Und darum geht’s: Den schweren Geschmack der Leichtigkeit des Lebens schmecken und mit hedonistischer Vernunft in die andere Seite des Ozonlochs blicken. Die Italiener können das herzlich gut, denn das meiste hier schmeckt bittersüß, zwischen Cynar und den die Leber schonenden eingelegten Artischocken liegen schließlich nur ein paar Volumenprozente; die den Abend durchaus aufzuhellen scheinen. Zwar macht ihr Fehlen ihn nicht zwingend schlechter, bloß werden die Unterschiede schärfer zwischen denen, die trotz Trinken noch Beiträge zur allgemeinen Bereicherung liefern, denen, die es gerade deswegen können und denen, die eben gar nicht mehr. Als wäre der Alkohol ein Gucci-Anzug; da gibt es die, denen er eben wie auf den Leibe geschneidert ist und die ihn daher immer tragen können. Da gibt es solche, die sich nur manchmal trauen, ihn zu tragen, wobei er dann durchaus passt; und die, die darin entweder Oberwasser kriegen oder verloren wirken.

Mailand und Florenz: die Sinne und das Sein sind nah beieinander

Im modemäßig schillernden Mailand ist’s einfach; die italienischen Kleidergrößen verlocken zum Verzicht über-flüssiger Kalorien und die Dichte an hochkarätigen Bars lässt Extrawünsche zu, die inzwischen keine mehr sind. In der Speakeasy Bar 1930 etwa arbeitet man auf der regulären Karte mit Drinks, die an Gerichte angelehnt sind, etwa der „Scottish Haggis“; das geht wohlgemerkt nicht alkoholfrei, denn ansonsten wäre es eine Kraftbrühe. Ohne Alkohol fußt es hier vor allem auf Cordials und Fermentation – bis unter 0,5 % Vol. reden wir auch genau genommen auch regeltechnisch noch von „alkoholfrei“. Auffallend an Mailand ist, dass es selten eine alkoholfreie Karte gibt, aber immer ein gutes Gespräch mit dem Bartender darüber. Niemals Rückfragen, ob schwanger, Autofahrerin oder trocken – bloß interessiert an den geschmacklichen Wünschen oder, falls gegeben, den ABV. Und dann kommt Florenz.

Kleidergrößentechnisch wird es in der Gucci-Kapitale nicht besser, ganz im Gegenteil. „Wir meiden das Wort ‘Mocktail’, denn im Cocktail muss es nicht per se alkoholisch zugehen; hier geht es um die Kunst des Mixens.“ Die Bar-Managerin des Gucci Giardino 25, Martina Bonci, hat ein komplett alkoholfreies Pairing zum Essen parat, übrigens unangekündigt. Das sind vier Drinks, die nicht nur aussehen wie die Cocktails der anderen, sondern auch so schmecken. Gearbeitet wird hier mit Martini Floreale („Pitch Perfect“), Jnpr1 und Seedlip 42 („A Weekend in L’ Avana“), Seedlip 94 („Abbronzatissima“) und Sabatini 0.0 sowie Martini Vibrante („It must go on“). Das ist es eben – it must go on. Wer wirklich in Florenz sein will, also auch nachts, wer wissen will, wo Bonci und all die Barmenschen sich am Ende der Nacht versammeln, der suche das Restaurant und Bar Locale auf. Hier befindet sich das andere Ende von „Allora“, ein Ort des ästhetischen Verendens. Wer hingeht, dem sei ans Herz gelegt: Der Melonendrink schmeckt mit gleichwohl ohne Alkohol exakt identisch, bloß kann man nach dem alkoholfreien besser reden, stehen und gehen. Und bei Matteo di Iennos CBD-Drink geht es ja sowieso nicht ums Betrunkensein, sondern um den sakral angelegten Rausch. Denn die Sinne und das Sein, die sind nah beieinander; im Radius der Florenzer Kathedrale ohnehin ein bisschen näher. Und mit Alkohol hat das weniger zu tun denn mit Aporitivologie: Das Allora-Gefühl ist hier zuhause, auf Abba-Remixe kann jeder Mensch tanzen, und Anfänge sind immer schöner, wenn das Ende noch nicht in Sicht ist.

Bologna sehen und einkehren

Unendlich fühlt es sich außerdem am Tresen der Atrium Bar im Four Seasons an, wo eine neue Barkarte vorgelegt wird, bestehend aus Originalen, die eine Bar generell so betreten. Der Papst etwa („The Pope“, in Form von Alessandro di Medici im Jahr 1510) oder auch die schwarze Katze Poppy („The Black Cat“), verflüssigt mit Tanqueray 0,0 % Vol., Apfel, Ahorn, Pekannuss und Zimt. Liest sich spätjährlich, passt aber auch spätabendlich. Barchef Tommaso Ondeggia baut seine Karte in No-, Low-, Medium-und High-ABV auf, und das ist die Zukunft. Die Angabe vom Glas eines Drinks im Menü war gestern, die Einordnung der Stärke das Morgen – mit diesem Drink sogar klar wie der Glockenklang über den vier Hektar satten Grün um das Luxushotel.

Überhaupt wirkt Italien frischer und blühender als sonst, das mag überwiegend an der beschwingten Leichtigkeit des Lebens liegen, die mit der Abwesenheit von Katern einhergeht – wenn sie denn nicht gerade in Form eines Poppy serviert werden. Des eleganten schwarzen Tieres Besitzer:in konnte trotz ihres Halsbandes bis heute noch nicht ermittelt werden. Aber seit spätestens vergangenem Jahr schleicht es heimlich und auf Zehenspitzen durch den Gherardesca-Garten, Gerüchten zufolge gar schon um die Tische der Atrium Bar.

Wer in Bologna Flanieren geht und dabei nicht Wandas Tante Ceccarelli im Ohr hat, werfe den ersten Stein. Oder wer nicht wadenlang bekleidet ist für einen Besuch in der Kathedrale, das nehmen sie genau hier. Einkehren muss man im Flor für den Aperitif, Essen danach bei Nu mit Tiki-Pairing zur Bolognese. Zugegeben werden muss: Alkoholfreier Aperitif klappt besser als alkoholfreier Digestif. Bitterkeit kann ersetzt werden, Verdaulichkeit weniger, weil Enzian einfach selten alkoholfrei funktioniert, Artischocke hingegen schon.

Die hinterlässt auch beim Gedanken an ein sengend heißes Turin einen angenehm bitteren Nachgeschmack, nämlich in einer Bar mit dem ebenfalls bitteren Namen D.One. Eine maßgeblich mit Artischocken und Balsamico angesetzte Reduktion punktet ihr dermaßen, dass selbst Betrunkene zu ertragen sind. Der „Sfida accettata“ kann mit oder ohne Alkohol zubereitet werden und wird daher seiner Forderung gerecht: Herausforderung angenommen. Im Laufe der Tage sogar immer lieber.

Alkoholfrei kann man besser riechen

Natürlich werden die Witze nicht lustiger, weder die der Betrunkenen für die Nüchternen, noch umgekehrt. Es ist eben anders – qualitativ sowieso, aber auch quantitativ auf die Dauer des Abends bezogen. Als ich endlich glaub’, mein Stein pfeift, zwinge ich ihn ins Taxi, die indische Fraktion gleich mit. Das Taxi riecht, wie für gewöhnlich, wenn Menschen um diese Uhrzeit nach Hause fahren – mein Problem. Bis ich in meinem Zimmer aufwachen darf; das riecht nun auch nicht nach Rosenblüten, aber anders als dass der drei Minuten vor Abfahrt aus dem Tiefschlaf Geweckten.

Zwar weiß man nicht genau, was Nietzsche in der Turiner Bar Cavour zu sich nahm, dass diese allerdings eine seiner und auch Verdis liebste war, ist gewiss. Zumindest steht er auf der Stammgastliste dieses Ortes, der, neben einer Außenterrasse als Schauplatz, an dem Nietzsche das berühmte Pferd umarmte, auch auftrumpft mit einer Bar in Blau, die der Alkoholfrei-Reise den Hut aufsetzt: schnapsfreier Martini. Er glitzert nicht nur rot silbern, schmeckt nicht nur genauso bitter-herb-bitter wie ein solcher, sondern fühlt sich auch exakt so an. Bloß eben ohne die schummrige Wohligkeit danach. Er ist gemixt aus der Vibrante-Version und dem Rest der alkoholfreien Martini-Fraktion, er hat vor allem das, was man „Erwachsenengeschmack“ nennt. Artischocke, die bittere Wahrheit. Man will eben direkt ein Pferd umarmen.

Die persönliche Rittrichtung muss dann jeder selbst wählen.

Transparenzhinweis: Die Reise fand auf Einladung von BlueBlazer statt.

Credits

Foto: Aufmacher: annanahabed - stock.adobe.com

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