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Mallorca verändert sich und Cocktails weisen den Weg

Auf Mallorca sind viele Dinge anders sind, als es einige Klischees wollen – das war immer schon so, aktuell aber umso mehr. Die berühmte Balearen-Insel befindet sich in einer Metamorphose, die nicht zuletzt durch die Coronapandemie verstärkt wird. Viele wollen weg vom Ballermann-Image, hin zum Slow Tourismus und Nachhaltigkeit. Und zu guten Drinks jenseits von Bowle, Bier und Bohlen.

Kaum eine Gruppenunterhaltung über Mallorca verläuft ohne diese eine Person, die an einer beliebigen Stelle sagt: „Also, Mallorca hat ja auch ein ganz schönes Hinterland.“ Es ist derselbe Menschenschlag, der auch, wenn einer in der Runde versehentlich ein Insekt verschluckt, verschmitzt „na, immerhin Proteine“ zuzwinkert.

Wie an beinahe allen historischen Entwicklungen, sind auch am Phänomen Mallorca ein wenig die Kriege schuld; in diesem Falle die Entwicklung von Luft und Raumfahrt und der damit einhergehende anrollende Massentourismus via Flugzeug – der maßgeblich ab den 1960ern als Erzeugnis des Wirtschaftswunders über die Insel hereinbrach. In diesen Jahren rechnete man mit rund 360.000 Touristen im Jahr. Und ja, neben etwa Aclúdia an der Nordküste war es tatsächlich Playa de Palma, wo sich die erste Traube Sangría trinkender, aber auch sich nach Ferne sehnender Deutschen und Briten ihre Sandalen über die Socken streiften und mit Landkarte, Brustbeutel und gekochten Eiern im Tuppergeschirr lostigerten.

Ein Hinterland jenseits von Bowle, Bier und Bohlen

Vorbei an den Plattenbauten entlang des größten Hafen der Balearen, kommt man vorbei an dem Idyll eines Landschaftsschutzgebietes namens Es Carnatage, um erst einmal die zehn mal drei Quadratmeter des „Ballermann 6“ zu erreichen. Dreißig Quadratmeter, die es vor Dekaden einmal geschafft haben, Menschen meinen zu lassen, auf ein Hinterland jenseits von Bowle, Bier und Dieter Bohlen verweisen zu müssen.

Andererseits: Mallorca hat sich verändert, und das nicht erst mit der Pandemie. Die oftmals korrupt platzierte und alte Bausubstanz an der Küstenlinie hat für viele Urlauber:innen an Charme verloren und individuelle Reiseplanung steht hoch im Kurs. In einem Gespräch mit der Berliner Morgenpost erzählt die Regierungschefin der Balearen, Francina Armengol, dass sie „diese Art von Tourismus” konkret nicht mehr haben wolle. Sie hat die Zahl der Betten begrenzt, hält weiterhin fest an dem 2015 eingeführten „Antisaufgesetz“, hat die Zahl der Kreuzfahrtschiffe begrenzt und eine Steuer für nachhaltigen Tourismus eingeführt. Das macht so manchen Gastronomen oder Hotelier natürlich wütend, schließlich waren besagte Sauftouristen als Einnahmequelle so sicher wie das Amen in der Kirche. Hier muss nun umgelenkt werden.

„Dass die Insel noch nie ihrem El Arenal-Klischee entsprochen hat, ist ersichtlich an all denn Fincas, den kleinen Refugien und der Luxus der Ruhe, den sich viele Menschen hier gönnen“, meint auch der Hoteldirektor des 5 Sterne-Hotels Castell Son Claret, Björn Spaude. Der Hamburger verwaltet das etwa eine halbe Autostunde von Palma gelegene Luxushotel inklusive mehrerer Gastronomien seit 2014 und hat die Entwicklung der Insel im Blick: „Luxusorte der Insel können nicht weiterhin Luxusorte bleiben, wenn sie kein nachhaltiges Netzwerk gründen.“

Denn die Tatsache, dass die Regierung verschiedene Abfallgesetze wie etwa gegen Einwegplastik verabschiedet hat, soll die Balearischen Inseln jetzt zum ersten Urlaubsziel mit Kreislaufwirtschaft machen. Das bedeutet, dass Hotellerie und Gastronomie nun Pläne aufstellen müssen, wie Wasser- und Energieverbrauch sowie auch Müllmenge reduziert werden können. Für sein eigenes Domizil macht sich Björn Spaude da keine Gedanken, immerhin ist er einer derer, die seit Jahren versuchen, den – wenn man so will – „Slow Travel“ voran zu treiben.

Castell Bar: Öl von den Nachbarn und Saft aus garteneigenen Zitronen

Geräucherte Aleppo-Kiefernzapfen

Wer das noch nicht innerhalb des Anwesens bemerkt, dessen Gemäuer klösterlich anmuten und im UNESCO-geschützten Tramuntana-Gebirge liegt, bekommt es spätestens in der hauseigenen Bar Castell mit. In seiner „From Tramuntana to the World“-Barkarte versteht man den Fakt, dass die Touristenzahlen eingeschränkt werden müssen und ein Gros des Zutaten-Bedarfs von der Insel bedient werden kann. Hat man einmal den Olivenöl-Daiquiri mit Öl von den Nachbarn und Zitronensaft aus garteneigenen Zitronen versucht, stellen sich hier wenig weitere Fragen. In puncto Präsentation der “cóctels” stehen diese jenen eines Arnd Henning Heissen in seiner Zeit im Curtain Club um nichts nach: Mit kleinen Aroma-Landschaften aus einem geräuchertem Aleppo-Kiefernzapfen, Olivengeäst, Gartenfrüchten und mallorquinischer Wasserkresse kredenzt die Bar Drinks, die beinahe zu schade zum Trinken sind. Was in Berlin „Foraging“ heißt, nennt man hier „Tue alles wie immer, aber nimm’ ein Körbchen mit“.

Eine ähnliche Maxime mit Blick auf das regionale Bewusstsein fährt auch das Botànico in Palma. Entgegen so mancher Klischees, besitzt die Insel nämlich nicht nur ein ganz tolles Hinterland, sondern schafft es auch kulinarisch, jenseits von Paella und Sangria unter die Top-Adressen. Adressen, die mit veralteten Ideen der mallorquinischen Küche brechen, ohne dabei die Tradition aus dem Blick zu verlieren. Das Botànico setzt daher beispielsweise auf vornehmlich vegetarische Küche, die außerdem mit arabischen Einflüssen arbeitet – die der Landesküche ja ohnehin zu Grunde liegen. Im Glas setzt man ein Akzent auf Mezcal und Tequila, zumindest sprachlich verwandt, gepaart mit Kräutern der Insel, also Rosmarin, Basilikum, Kaffir-Limette, Oliven, Ingwer, sowie all dies vermengt in verschiedenen Insel-Gins.

Die Gläser sind generell auf Mallorca größer, als man es aus deutschen Bars kennt, die Strohhalme aus Bambus und die Volumenprozente in der Regel auf einem Level, auf dem man den weiteren Tag bestehen kann. Denn möglicherweise möchte man ja noch einen Ca’ del Bosco auf den mit Olivenbäumen bestückten Dächern des „Rialto Living“ einnehmen oder auf einen Palo Soda auf das Dach des „Hostal Cuba“. Hier lässt sich mit Blick auf Kathedrale und Bucht dem Urlikör der Insel, Palo, schlechthin frönen. Palo enthält Enzianwurzel und Chinarinde und erlebt derzeit eine Renaissance, ob mit einem Spritzer Zitrone auf Eis, im Drink, ob als Espuma über dem Pulpo-Risotto oder eben über einem Dessert aller Art; er passt immer, besitzt die notwendige Bittere, um ihn als gesund zu verbuchen, und ist für den Genuss hinreichend süß.

Clandestino Cocktail Club: Holz. Leder und starke Drinks in Coupettes

Cocktails in Mallorca: Es raucht

So gar nichts ist süß im Clandestino Cocktail Club. Hier herrschen Holz und Leder vor, starke Drinks im gewohnten Coupette-Format und Garnituren, die weniger aus Früchten denn aus Kräuterbouquets bestehen. Überhaupt, im Kontrast zu vielen anderen Bars in Palma, verhältnismäßig wenig Eis in Sicht. Auch hier räuchert man gerne Kräuter an, mit Vorliebe Rosmarin, und auch hier sind Agavenerzeugnisse gern gesehen, besonders in Verbindung mit Chili. Besonders zu empfehlen ist der „Negroni Especial“ mit „einer Olive nebenan“. Mehr wird nicht ausgeplaudert, um den Spaß nicht zu verderben. Jazz sollte man mögen, aromatisch findet hier jeder Unterschlupf.

Eine weitere, nicht zu unterschätzende Adresse ist der Coquetier Cocktail Club, zuständig für “Classy Cocktails”. Sagen sie, stimmt aber gar nicht. Natürlich bestehen alle Twists auf Grundlagen von Klassikern, doch wer bei Gaston und seiner Crew vorbei schlendert, hat die originalen Versionen im Nu vergessen. Etwa die BBQ-Variante des Old Fashioned mit Speck, Ahornsirup, Johannisbrot-Salsa und dunkler Schokolade. Dann hätte es auch noch Trüffel-Negroni, Manhattan mit Erdnussbutter oder eben einen „Mexpresso Martini“ mit vanilligem Tequila im Angebot, und, natürlich, Austern. Natürlich wird hier auch jeder Klassiker komplett twistfrei gemixt, außerdem gibt es artisanales Bier und einen Hot Dog, von dem zumindest alle in diesem Moment Anwesenden schwärmen. In diesem kommen alle Zutaten von der Insel, und er scheint schon recht vielen Menschen das Leben gerettet zu haben.

Im Blick auf die elaborierte Cocktail-Szene auf Mallorca ist die große Lust am Räuchern ausgebrochen; ob geräucherte Artischocken mit Humus und Trüffel im Coquetier Cocktail Club, kokelnde Zapfen in der Castell Bar, einen Smoked Rosemary im Botànico oder unter nebligen Glasglocken präsentierte Drinks um Clandestino Cocktail Club.

Metamorphose auf Mallorca: Slow down

Rauch und das Verbrennen von Dingen besitzt nicht ohne Grund in einigen Kulturen einen rituellen Status, er kennzeichnet das Verabschieden von Altem, die Metamorphose, das Empfangen von Neuem. Auf dieser Insel raucht es gewaltig: in der Hotellerie, in der Gastronomie und im umfassenden Betreten eines Bodens, der nun lange genug verkannt oder auf eine missverständliche Weise anerkannt wurde.

Und während wir uns hierzulande gestresst durch Slow Food-Messen schieben und zusehen, dass der Biosenf aus der Uckermark keinen Totalschaden auf dem Rücken des Vordermanns anrichtet, hat man auf Mallorca begriffen, dass es auch „Slow Drink“, „Slow Sleep“ und „Slow Travel“ gibt.

Slow everything, und damit herzlich willkommen auf einer Insel, die zunehmend wird, was sie schon immer war: ein Ort, zu Ostern in der Mandelblüte, im Sommer im Stillen einer klaffenden Dürre, im Herbst die Feigen, Mandeln und Oliven und im Winter der Hierbas.

Credits

Foto: Aufmacher: Coquetier Cocktail Club; Castell Son Claret

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