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Das Verfahren Sous Vide erklärt

Zwischen Oxidation und Digeration: Notizen zu Sous Vide

Wir steigen mit Alexander Mayer wieder in die Aromaküche. Heute am Programm: Sous Vide. Das Verfahren ist mittlerweile allgemein bekannt und anerkannt. Aber wie funktioniert es wirklich und was lässt sich daraus gewinnen? Und wieviel Geld muss man dafür in die Hand nehmen?

Gleich dem Godfather Jerry Thomas, der selbst gekochte oder infusionierte Sirups, Tinkturen und Infusionen schätzte und nutzte, rührt unsere Bartendergeneration wieder mit voller Inbrunst im Kochtopf. Wir mögen die Kontrolle über die Zutaten, das einzigartige Aroma, den Reiz des mit den eigenen Händen hergestellten Produkts.

Im Gegensatz zu unseren Urvätern haben wir aber die Möglichkeit, moderne Geräte und Stoffe einzusetzen. So auch inzwischen hinter der Bar etabliert: das Sous Vide-Verfahren. Dessen Vorteile sind offensichtlich: optimaler Nutzen der vorhandenen Rohstoffe und ideale Aromenextraktion. Es kann also einerseits aus einer kleinen Menge von Aromagebern viel herausgeholt werden, andererseits ist es möglich, empfindliche Aromen aus Kräutern oder Blüten sicher zu extrahieren, da die Gefahr der Überhitzung nicht gegeben ist. Das ist mit herkömmlichen Garmethoden fast nicht zu erreichen, weil sich eine Temperaturschwankung von wenigen Grad Celsius oft schon bemerkbar macht. Kräuter oder Obst müssen nicht mehr gemuddelt und wieder aus dem Shaker gespült werden, weil die Aromen schon in der Infusion stecken, somit ist ein schnellerer und sauberer Service möglich.

Sous Vide kommt ursprünglich aber aus der Küche. Somit ist jedes verflixte Buch, jeder Artikel und jedes Youtube-Video darauf aus, irgend ein Nahrungsmittel perfekt zu garen; nicht aber, dessen Aromastoffe ideal zu extrahieren. Der geneigte Barmann muss sich also das nötige Fachwissen aus allerlei Medien zusammenklauben und selbst durch Experimentieren aneignen.

Mach mich heiß! Aber nur ein bisschen …

Wir haben ein Ziel: das gewünschte Aroma. Also eine oder mehrere chemische Verbindungen sollen aus dessen Träger gelöst werden und in einen neuen – in unserem Fall eine Flüssigkeit – übergehen. Alkohol eignet sich angenehmerweise hervorragend dazu, weil viele Aromen alkohollöslich sind. Wie bei einer Mazeration (Kaltinfusion) wird ein Gut in Alkohol eingelegt, die Alkoholmoleküle dringen in die Zellwände ein, zerstören diese und “befreien” so die Aromen. Unterstützt man diesen Vorgang mit Hitze, spricht man von einer Digeration. Aufgrund schnellerer Molekülbewegung wird der ganze Prozess extrem beschleunigt.

Aber Vorsicht! Manche Aromen werden bei zu hohen Temperaturen zerstört, zum Beispiel Linalool, verantwortlich für die zitrusige Frische in Basilikum. Andere lösen sich aber erst bei größerer Hitze. Deswegen ist ein Garverfahren, das eine bestimmte Temperatur präzise konstant hält, auch so interessant. Gart man zum Beispiel rote Pfefferkörner bei 60° Celsius, erhält man eine milde, floral-fruchtige Infusion, bei Temperaturen von 100° Celsius und höher tritt eine deutliche Schärfe in den Vordergrund und die blumigen Aromen gehen weitestgehend verloren. Diese Temperaturen zu ermitteln ist der größte Aufwand, wobei viele Bücher Anhaltspunkte wie Gardiagramme oder Tabellen liefern. Oft reicht dann ein Feinschliff von wenigen Grad Celsius.

Beim Ermitteln der Digerationszeit probiere ich die Infusion im Fünf-Minuten-Takt und wähle so die ideale Sättigung aus.

Low Budget Sous Vide

Wir brauchen also ein Sous Vide-Bad. Erhältlich sind ganze Edelstahlbecken mit eingebautem Thermometer und Heizelement, oder einfache Umwälzerhitzer, die in einen Topf oder eine Wanne eingehängt werden können. Zweitere gibt es schon für wenige Hundert Euro. Um Flüssigkeiten zu vakuumieren, braucht man einen Kammervakuumierer, hier muss schon tiefer in die Tasche gegriffen werden.

Aber: Für die meisten Zwecke kommt man auch sehr gut ohne aus. So kann schon mit einem relativ kleinen Budget viel erreicht werden. Ziplock-Beutel oder Kunststoffgallonen funktionieren prima. Marian Beke arbeitet mit Mineralwasserflaschen, hier entsteht ein Vakuum beim Abkühlen, wenn nach dem Erhitzen der Druck kurz abgelassen wird. Allerdings brechen sie beim Abschrecken in Eiswasser. Für empfindliche Rohstoffe wie frische Kräuter, die kein Nachgaren vertragen, ist diese Methode also eher ungeeignet. (Anmerkung: Der Artikel bezieht sich hauptsächlich auf die Arbeit ohne Vakuumierer. So kann Sous Vide auch ohne größeres Investitionsvolumen effektiv eingesetzt werden.)

Garen im Vakuumbeutel verhindert Oxidation und zerdrückt durch den Unterdruck einige Zellmembranen, was den Infusionsprozess positiv beeinflusst. Außerdem lassen sich die vakuumierten Flüssigkeiten einfach abschrecken und lagern. Bei allen Methoden sollte man für maximalen Aromenertrag die Oberfläche des Aromaträgers vergrößern, also Zitronengras klopfen, Gewürze zerstoßen, Früchte oder Gemüse z.B. mit einem Schäler fein schneiden. Für Bitters oder Tinkturen, die nicht klar sein müssen, kann der Rohstoff mit dem Alkohol püriert und nach dem Garen durch einen Kaffeefilter gesiebt werden.

Frische Kräuter beherbergen Enzyme, die vor einem Garprozess bei niedrigen Temperaturen außer Gefecht gesetzt werden müssen. Hier kommt wie bei der Sirupherstellung die Technik des Blanchierens zum Einsatz. Auch hohe Alkoholkonzentrationen können Enzyme nicht abtöten, nur deren Arbeitsgeschwindigkeit verlangsamen. Ein am ersten Tag leuchtend grüner Basilikumgin mit 43 % Vol. ist ohne vorher angewandtes Blanchieren des Krautes nach wenigen Tagen braun und schmeckt muffig.

Dieser Beitrag erschien erstmals im September 2016 auf MIXOLOGY Online. Die letzte Überarbeitung der Redaktion erfolgte im Dezember 2023.

Credits

Foto: framarzo - stock.adobe.com

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