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Flüssige Biografie großer Männer. Harry‘s Cocktail.

Warum Deutschland eigentlich die Wiege moderner Cocktails ist und um moderne Streitigkeiten, die auch schon vor 100 Jahren Konfliktpotenzial hatten. Darum und um die beiden berühmten Harrys der Bargeschichte, Harry Johnson und Harry Craddock, dreht sich das neue Buch von Anistatia Miller und Jared Brown. Ihnen und dem Buch zu Ehren heute der verbindende Cocktail. Harry‘s Cocktail.

The Deans of Drinks. Die Dekane der gemischten Getränke, so heißt das neue Buch der beiden Cocktailhistoriker Anistatia Miller und Jared Brown. Mit den Dekanen sind die beiden berühmtesten Bartender nach Jerry Thomas, nämlich Harry Johnson und Harry Craddock gemeint.

Begonnen wird mit geschichtlichen Fakten. Deutsche Einwanderer waren verantwortlich für einen großen Teil der gastronomischen Kultur im jungen Amerika. Deutsche Brauer verdrängten das Ale der Engländer und noch heute existiert im New Yorker Central Park der „Bohemian Hall and Beer Garden“. Er war zu seiner Eröffnung 1910 einer von vielen Biergärten in New York.

Obstbecher und Champus für 126 Dollar

Der aus Deutschland emigrierte William Schmidt, „The Only William“ wie er genannt wurde, war Vorreiter vieler Bartender, die aus Deutschland ausgereist sind. Von ihm stammt der Ausspruch, dass die meisten modernen Getränke keine amerikanische Erfindung sind, sondern bestenfalls Weiterentwicklungen von in Europa bereits bekannten Cocktails. Schmidt brüstete sich damit den teuersten Cocktail der Welt erfunden zu haben. Ein Julep mit Champagner und Vanilleeis, garniert mit einem halben Obstkorb kostete damals 5 $ was einem aktuellen Wert von ca. 126 $ entsprechen würde. Der Wettbewerb um größer, besser und teurer ist also auch kein Moderner.

Weniger exzentrisch lesen sich hingegen die Vitas von Harry Johnson und Harry Craddock. Beides Gentlemen par excellence, denen das Wohl des Gastes und die Stimmung wichtiger war als die Erfindung neuer Drinks.

Johnson, dem nicht immer das Glück zur Seite stand, ist heute noch bekannt durch sein „Handbuch für Bartender“, welches in immer neuen Auflagen stetig verbessert wurde und neben seiner Bar immer wieder für regelmäßiges Einkommen sorgte.

Seine Biografie ist nicht immer schlüssig. Dies erklärt sich durch seine persönliche Vergangenheit, die er teilweise leugnete oder beschönigte, je nachdem was die politische Lage erforderte.

Craddock, dessen schriftliches Erbe von unschätzbarem Wert ist – er hat schließlich das Savoy Cocktail Book geschrieben -, hat hingegen alle Höhen und Tiefen der Bargeschichte erlebt. Das Aufleben der amerikanischen Barkultur, die Depression und Prohibition und späte Ehren nach seiner Ausreise nach London.

Harry‘s Cocktail

Beide Männer werden in diesem Buch bildhaft porträtiert und man kann sich das Leben eines Barbesitzers vor circa 100 Jahren vorstellen. Neben vielen, teilweise sehr privaten Informationen findet man zu beiden Personen Cocktails, die von heute bekannten Bartendern diesen Vorreitern der Branche zu Ehren kreiert wurden. Tolle Mischungen im Stile der beiden Herren finden sich dort. Wir werden aber keinen von diesen Cocktails präsentieren, sondern den Harry‘s Cocktail. Schließlich ist 2013 das Jahr, in dem sich der Todestag von Johnson zum 80. Mal, der von Craddock zum 50. Mal jährt.

Harry‘s Cocktail (adaptiert von Harry Craddock, Savoy Cocktail Book)

2 cl Sweet Vermouth *

4 cl Gin

1 dash Absinthe

2 Zweige Minze

Glas: Coupette

Garnitur: (gefüllte) Olive

Zubereitung: Alle Zutaten auf Eiswürfeln kräftig shaken. In das vorgekühlte Gästeglas durch ein Teesieb abseihen.

* Im originalen Rezept wird nach Gancia Italian Vermouth verlangt. Es gibt verschiedene Diskussionen ob dieser einfach durch einen Sweet Vermouth zu ersetzen ist, oder ob eigentlich nach einem weißen, nicht zu trockenem Wermut verlangt wird. Im Praxistest brachten sowohl klassischer süßer Wermut als auch eine Variante mit Noilly Prat Ambre ein sehr schmackhaftes Ergebnis.

Bildquelle: aboutpixel.de / Sonnenaufgang über Queens © Barbara Pritzkau

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