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Heut´ geh´n wir in die Cocktailkneipe. Wozu noch eine Bar?

Es herrschen großartige Zeiten. Anders als vor 15 Jahren erleben wir eine breite Verfügbarkeit hervorragender Spirituosen und Cocktailzutaten und immer mehr Orte, die sie vernünftig anwenden. Verblüffung hält sich in Grenzen, wenn der tätowierte Waldschrat mit dem Nasenring hinter dem Tresen von ´Xaver´s Heavy Metal Treff´ plötzlich den Premium-Gin zückt und alle 99 Botanicals aufzählt. Insgesamt trinken wir heute viel besser. Was macht also eine Cocktail Bar aus?

Die Unterscheidung verschiedenster Trinkstätten war vor 100 Jahren noch umfangreicher: Taverne, Budike, Destille, Diele, Likörstube und so weiter. Aber was ist eine Bar? Antwort verspricht das Buch der 1001 Fragen: „1001 Questions every Bartender and Lounge Lizard should know how to answer“ von Robert Plotkin. Nach Durchsicht des Werkes ist der Leser imstande, das meistverkaufte Danziger Goldwasser zu nennen und weiß, welche Vodkamarke 1932 nahe Helsinki das Licht der Welt erblickte. Der Begriff ´Bar´ bleibt im Dunkeln und legt nahe, dass die nächste Auflage des Werkes auf 1002 Fragen erweitert werden sollte.

Womöglich hilft wieder einmal der gestrenge Lehrmeister Harry Schraemli in „Das Große Lehrbuch der Bar“ weiter. In der Tat unternimmt der Altmeister einen kulturgeschichtlichen Streifzug, erklärt den Begriff ´Barriere´ um im Gasthaus den Wirt und seine Ware zu schützen und definiert: „Eine ´Bar´ ist also ein mehr oder weniger großes Lokal, in welchem alle Arten von gemischten und ungemischten, alkoholhaltigen und alkoholfreien Getränken, und in beschränktem Ausmaß auch Speisen zu haben sind. Wir haben es also nicht, wie vielfach irrigerweise angenommen wird, mit einer ´Schnapswirtschaft´ zu tun.“ Warum die Distanzierung vom Schnaps?

Weiter erklärt er den Begriff der Bar in regionalem Zusammenhang und nennt die Italienische Bar zu Espresso, die Englische Bar als Pub, die Französische Bar als Bistrot, um schließlich bei der American Bar zu landen und sie mit den Ursprüngen der gemixten Drinks zu verknüpfen. Sind wir dem Ziel nahe? Noch nicht ganz. Wir sind in den 1950ern und Schraemli führt aus, dass Bars „in der Nähe belebter Geschäftsstraßen … aber doch in diskreter Abgeschiedenheit …“ liegen. „Man trifft in der Regel nur Herren an.“

Fragen wir Frau Google und Herrn Jimmie

Bringt uns die Suchmaschine weiter? Nun ja, immerhin bringt uns der Suchbegriff „American Bar“ nach Österreich. Wacker hält die dortige Barkultur den Begriff lebendig. Loos Bar und Kruger´s in Wien lassen die American-Bar-Fahne wehen. Auf Platz drei der Suchergebnisse lenkt die ´American Bar Association´ in die Irre. Ein Anwaltsverein. Gut, im englischen führt die Formulierung ´behind bars´ hinter die schwedischen Gardinen eines eher alkoholarmen Gefängnisbaus. Dies sollte jedoch nicht das Ziel unserer Barforschung sein.

Mit seinem Buch „Destination Cocktails“, führt Autor James Teitelbaum an empfehlenswerte Tresen der Mixologie. Jedoch: Seine Unterscheidung von Bargattungen mutet eher schlicht an: „Es gibt zwei Arten von Bars in der Welt: Jene, die sich bemühen großartige Cocktails zu fertigen und andere, die das nicht tun.“ Weiter erklärt er, wie und warum ein Bar-Geschäftsmodell mit schlechten Drinks wirtschaftlich hervorragend funktionieren kann. Seine Differenzierung trifft er letztendlich in dem Begriff ´Craft Cocktail´ und erfreut sich an handwerklicher Sorgfalt bei der Zubereitung.

Interessant. Benötigen wir neue Begriffe für bestimmte Arten von Cocktails und die Orte, in denen man sie zu sich nimmt?

Oder zählt am Bedeutsamsten der Gastgeber als Persönlichkeit und Seele einer Bar? So steht es jedenfalls in den ´Memoiren von Jimmy dem Barmann´ aus dem Jahre 1937: „Beinahe jeder kann lernen, Drinks präzise und schnell zu mixen. Das ist das Mindeste. Ich aber glaube, der Erfolg hinter dem Tresen beruht auf der Fähigkeit den Mann oder die Frau, denen ich serviere, zu verstehen und ihre Freude und ihr Leid zu begleiten. So bin ich für den Gast eher die Persönlichkeit und nicht der Diener (servant).“

Was also unternehmen wir? Hinein in die Cocktailkneipe auf einen Craft Drink? Zum vertrauten Gastgeber in Barjacke, Hosenträger oder T-Shirt? Brauchen wir neue Kategorien, neue Begriffe? Vorschläge sind willkommen.

In der Zwischenzeit gehen wir für einen Cocktail in die Bar. An die Bar. Wunderbar!?

Comments (10)

  • Robert Vogel

    Sehr geehrter Herr Eichhorn,

    vielen Dank für Ihren Artikel. Seit langem versuche ich der Definition von “Bar” auf die Schlcihe zu kommen. Dank Ihres Artikels bin ich, was die semantische Herlunft angeht, dem Begriff näher gekommen.
    Sie versuchen die Definition in der Historie und im Gedruckten zu finden. Genauso interessant wäre es doch vom Begriff der “Barkultur” aus zu suchen. Eventuell könnte man dann eine genauere Definiton des Begriffes “Bar” herleiten.
    Auch als Diskussionsvorschlag in die Runde der Leser geworfen:
    Was ist Barkultur?
    In der Hoffnung auf viele anregende Beiträge verbleibe ich
    mit freundlichen Grüßen

    Robert Vogel

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  • Jean-Pierre Ebert

    Lieber Peter,

    ein sehr müßiges Thema. Mit Sicherheit sind die Ansichten hierzu weit gefächert.

    Für mein Dafürhalten ist eine Bar eine Räumlichkeit, wo das Tresenblatt das bestimmende, nicht zwingender Weise tatsächlich vorhandene, Element zur Darreichung einer spezifischen Gruppe von Culinaria oder Waren ist.

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  • Sergej Gil

    Die Frage nach der Bar oder der Barkultur ist meines Erachtens höchst spannend. Was die Bar anbelangt könnte man zwar etymologisch eine historische und vielleicht semantische Zuweisung herleiten, würde aber bei einer Definition warscheinlich keinen allgemeinen Konsen finden. Die Antwort darauf sehe ich abermals in der Barkultur. Kultur entwickelt sich, ist wandelbar und bei der Diversität auch auf keinen gemeinsamen Nenner zu bringen. Die Folge für die Barkultur wäre eine ständige Neudefinition und Neuinterpretation von Bar und Barkultur, was ich wiederum sehr spannend finde, was aber auch die Diskrepanz ausmacht. Letztenendes bleibt es immer einem selbst überlassen, wie man Bar definiert und ob die Notwendigkeit von neuen Termini von Nöten ist, um dies zu beschreiben.
    Freundliche Grüße,
    Sergej Gil

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  • Steffen Hubert

    Ach JP. Nach Deinem Dafürhalten… schwurbel… ist also auch eine Metzgerei oder ein Tante Emma Laden eine Bar?

    Zum Thema: Ich glaube nicht, dass wir neue Begriffe brauchen. Eher sollten schon vorhandene Unterschiede klarer dargestellt, verstanden und gelebt werden.

    Bars – welcher Art auch immer – sollten sich auf Ihr Kerngeschäft konzentrieren und damit auf Ihre jeweils individuelle Kundschaft.

    Anders gesagt: Nicht in in jeder Bar muss ein Martinez ‘geworfen’ werden. Nicht jede Bar brauch Tik-Becher und einen Swizzle Stick. Nicht alle Bars sollten 50 Gins und 5 Tonics führen… Bars bleiebn es trotzdem.

    Cheers.

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  • Jean-Pierre Ebert

    Steffen,

    tatsächlich, das auch, verallgemeinert natürlich. Ich freue mich, dass Du es verstanden hast.

    Prost.

    reply
  • Jean-Pierre Ebert

    Lieber Steffen,

    mein Kommentar war nicht provokativ gemeint. Die Übersetzung von Bar ins deutsche wäre beispielsweise Theke. Insofern sind Gemüsetheken, Fleischtheken oder auch Biertheken unter anderem tatsächlich Ausprägungen von ‘Bar’.

    JP

    reply
  • Steffen Hubert

    Lieber JP,
    alles gut. Dein Kommentar hat mich ja nicht aus der Bahn geworfen. Nicht mal meinen Puls erhöht. Höchstens verwundert, ob der wiedermal fragwürdigen JP’esquen “Argumentation”. Aber langsam gewöhne ich mich daran, dass Du gerne mal vom Thema abschweifst.

    Und jetzt rechtfertigst Du Dich auch noch? Oje, Du wirst doch bitte nicht milde im Alter?

    Wie auch immer… Danke für die messerscharf durchdachte und tadellos dargelegte Überleitung zur Gemüsetheke und Fleischtheke, auf die ich derart natürlich ohne Deine Hilfe niemals gekommen wäre. Da unser Business ja bekanntlich von der Wurst abhängt, sollten wir in diesem Zusammenhang bitte direkt noch eine andere Frage klären: gebraucht oder neu?

    http://www.lebensmittelwelt.de/fotoanzeigen/index.php?suchbegriff=Fleischtheke

    Wünsche Dir ein frohes Fest…

    reply
  • Jean-Pierre Ebert

    Eindeutig, gebraucht!

    Hach, wie ich Deine übliche Angriffslust und den beißenden Spott vermisse. Arrangement nennt man das, es ist ein wenig Schade drum.

    Wünsche Dir einen erholsamen Jahresausklang

    reply
  • Die Anregungen zum Thema Barkultur in den Kommentaren haben mich zuletzt länger beschäftigt und ich mag eine Antwort und meine persönliche Einschätzung nun nicht länger schuldig bleiben.

    Der Begriff „Kultur“ ist sehr komplex. Daher nehme ich den bewährten Brockhaus zur Hand und finde grundlegende Definition, die besagt: Kultur kommt vom lateinischen „Pflegen“ und beschreibt heute das, was der Mensch geschaffen hat, was also nicht naturgegeben ist. Im engeren Sinne geht es nicht nur um ein Produkt, etwas Hergestelltes, sondern auch um Handlungsweisen, Lebensstile und auf Dauer angelegte Sinnzusammenhänge.
    Dann gibt es natürlich noch diesen Abschnitt in der Zeitung, in dem es um Kunst, Kino, Theater und Musik geht.

    Und: Kultur in Kombination mit einem weiteren Begriff (z.B. Gesprächskultur oder eben Barkultur) als Idealvorstellung von einem Thema und seiner Handhabung und Erlebbarkeit auf höchstem und bestem Niveau.

    Das wäre aber erst der Becher, wo bleibt der Inhalt?
    Die Magie der Bar und dann der wiederholbare Zauber, der den Begriff Barkultur nachvollziehbar werden lässt, wird vermutlich von mehreren Faktoren gespeist. Ein faszinierender Raum; ein hervorragender Gastgeber; komplexe Getränke in Geschmack und Ästhetik und ein Zauberpulver namens ´Augenblick´, zusammengesetzt aus Verlässlichkeit, Geheimnis und Überraschung.
    Der Gast wird zum Grenzgänger zwischen Inspiration und Rausch.
    Der Bartender serviert an einem besonderen Ort das geheimnisvolle Elixier für Geist und Geschmack und stellt womöglich als Allroundtalent zwischen Zubereitung und Gastgebertum, eine Beziehung, eine eloquente Interaktion zwischen brillanten Gästen her. So kann ein Besuch als Einzelperson in einer Bar ebenso spannend sein, wie eine Einkehr in bester Gesellschaft.

    So bietet die Bar völlig andere potenzielle Erlebnisse, als beispielsweise ein Restaurant. Ein Champagnercocktail offeriert Möglichkeiten, die ein Kartoffelgratin niemals bieten könnte.
    Vielleicht geht es einfach um die mögliche Erlebbarkeit von großartigen Geschichten tragischen Episoden und pathetischen Augenblicken. Komödie, Tragödie, Seifenoper!?
    Eine Bar generiert Genuss, generiert Geschichten. Vielleicht. Hoffentlich! Wenn wir Glück haben, sind wir im richtigen Augenblick Teil davon, auf beiden Seiten des Tresens.

    Grüße aus dem Kulturbeutel,
    Peter Eichhorn

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