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Alkoholfreies Craft Beer als große Frage

Muss es immer Alkohol sein? Bleifreie Biere haben unter Kennern einen miserablen Ruf. Meist zurecht. Dünn, wässrig, ohne Biergeschmack. Doch geht es auch anders? MIXOLOGY ONLINE geht der Sache auf den Grund und spricht mit Craft-Brauern darüber, welche Möglichkeiten sich kleineren Brauereien bieten, um auch jenseits geistiger Pfade mit aromatischen Kreationen glänzen zu können.

Beinahe jeder sollte diese Situation kennen. Es ist noch mitten am Tage, der Abend weit entfernt, und dennoch wächst die Lust auf ein Bier. Doch der Alkoholgenuss am Tage ist etwas, das vielen Leuten seltsam vorkommt. Im süddeutschen Raum noch einigermaßen akzeptiert, läuft man in vielen Gegenden Gefahr, schräg angesehen zu werden, wenn man vor dem Feierabend zum Glas greift.

Kein Bier im Dienst!

Mit dem Stichwort vom Feierabend wären wie außerdem bei einem weiteren Grund, der viele Menschen davon abhält, tagsüber zu trinken: bei der Arbeit hat man nüchtern zu sein, und streng genommen ist man das auch nach nur einem Bier nicht mehr. Übrigens: wer meint, das Alkoholverbot im Dienst gelte nur dann, wenn es im Arbeitsvertrag steht, der irrt. Denn auch wenn diese Klausel fehlt, könnte der Alkoholkonsum während der Dienstzeit als Verletzung der Treuepflicht durch den Arbeitnehmer gewertet werden und zur Abmahnung führen.

Doch verlassen wir die juristischen Pfade wieder und besinnen uns aufs Wesentliche. Ein Bier tagsüber wäre manchmal schön, ist aber in den meisten Fällen nicht wirklich geeignet. Und die andere Möglichkeit? Alkoholfreies Bier? Mal ehrlich: wer hat schon einmal ein wirklich gutes, aromatisches und nach Bier schmeckendes alkoholfreies Bier getrunken? Wieder einmal lässt sich das alte Sprichwort von der Mondlandung verwenden: Da fliegen Menschen zum Mond, aber es ist nicht möglich, Biergeschmack in einen alkoholfreien Sud zu bringen?

Aroma ohne Umdrehung. Geht das?

Dabei sind immer mehr Menschen — auch genussbewusste — auf der Suche nach alkoholfreien Alternativen zu klassischen Getränken mit Alkohol. Und auch so mancher Bartender würde vielleicht zum Feierabend ab und an auf einen neutralen Feierabend-Trunk zurückgreifen, wenn er denn genauso gut schmecken würde wie ein solcher mit Alkohol. Doch bislang gibt es alkoholfreie Biere nur von den großen Firmen, und deren Werke sind generell fast immer eine ziemlich fade Angelegenheit. Und warum haben die deutschen Craft-Brauer noch nicht nachgezogen? Ist das Nicht-Brauen eines „Alkoholfreien“ eine für viele unverletzliche Glaubensfrage oder brautechnisch wirklich solch eine Herausforderung? Warum gibt es nur laumalzig schmeckende Pils- und Weizen-Suppen? Ein alkoholfreies IPA — ist das überhaupt möglich?

„Mit den grundlegenden traditionellen und handwerklichen Brauverfahren ist eigentlich keine Herstellung eines wirklich alkoholfreien Bieres möglich“, erläutert Simon Siemsglüss, Gründer und Braumeister der Hamburger Buddelship Brauerei. „Die eine Möglichkeit wäre, dem fertigen Bier den Alkohol aufwendig wieder zu entziehen. Dafür braucht es allerdings recht kostspielige Anlagen, die für Craft-Brauer wenig attraktiv sind.“ Grundsätzlich kann Siemsglüss aber den häufig geäußerten Wunsch nach einer hochwertigen alkoholfreien Alternative nachvollziehen.

„Ein weiterer Weg wäre die Arbeit mit bestimmten Bierhefen, die nur Glucose verarbeiten können und die komplexeren Malzzucker eben nicht in Alkohol umwandeln. Das Ergebnis ist dann aber ein recht süßer Sud, der z.B. mit einem klassischen Pils nicht viel gemeinsam hat“, gibt der Brauer außerdem zu bedenken.

Weniger Alkohol = mehr Arbeit.

Sind gute alkoholfreie Biere denn wirklich eine Wunschvorstellung, die sich nicht realisieren lässt? Alexander Himburg, der mit seinem odenwäldischen BrauKunstKeller zu den wichtigsten Vertretern der ersten deutschen Craft-Welle zählt, hat zunächst eine etwas andere Sicht: „Ich kann den Wunsch nach einem alkoholfreien Bier nicht wirklich nachvollziehen, denn dieser ist einfach ein natürlicher Bestandteil“, so Himburg. Gleichzeitig räumt er ein, dass „es gerade unter alkoholfreien Weizenbieren einige sehr gute Sorten“ gebe.

Mehr noch als Siemsglüss sieht Himburg die Problematik, „echtem“ Bier den Alkohol zu entziehen, als spezifisch für kleine Brauereien: „Die Prozesse sind sehr aufwendig und die Anschaffung der entsprechenden Gerätschaften sehr teuer. Diese Kosten, auch die Entwicklungsphase eines solchen Bieres, müssten sich natürlich dann auch im Preis des fertigen Produktes niederschlagen.“ Mindestens den doppelten Preis eines industriell gefertigten alkohofreien Bieres würde Himburg spontan für ein vergleichbares, dafür aber eventuell aromatischeres Craft-Produkt veranschlagen — da stellt sich die Frage, wer solch einen Betrag für ein Alkoholfrei zahlen würde.

„Aber auch ansonsten bin ich, wie gesagt, skeptisch“, fährt der Odenwälder fort: „Entweder man unterbricht den Gärprozess oder man entzieht den Alkohol. In beiden Fällen aber fehlt dem Bier am Ende ein wichtiger Teil seines Geschmacks. „Zumal bei solchen Klärprozessen immer auch zahlreiche andere Bestandteile und Aromen verloren gehen“, wie der Hanseat Siemsglüss seinem Hessischen Kollegen zustimmt.

Die Alternativen von nebenan

„Dass es auch anders geht, haben uns jedoch z.B. Mikkeller oder BrewDog gezeigt“, meint Himburg allerdings. Die beiden global beliebten Craft-Brauer aus Dänemark bzw. Schottland haben mit ihren Versuchen einen alkoholfreien Bieres in jüngerer Vergangenheit durchaus überzeugen können. Das „Nanny State Alcohol Free Hoppy Ale“ von BrewDog etwa kommt dann mit nur 0,5%/Vol. Alkohol, und darf somit gerade noch als „alkoholfrei“ verkauft werden — bei gleichzeitig stolzen 45 Bitter-Einheiten. Allerdings darf nicht vergessen werden, wie die beiden Firmen mittlerweile produzieren: Mikkeller hat als Gypsy-Brauer die Möglichkeit, auf die vorhandene Infrastruktur des jeweils gastgebenden Brauhauses zurückgreifen zu können. Und die Bier-Punks von BrewDog produzieren heutzutage in ihrer neuen Anlage in Maßstäben, die beinahe als industriell zu bezeichnen sind. Dennoch gibt man auch bei BrewDog gibt zu, sehr lange an einer zufrieden stellenden Balance des Sudes gefeilt zu haben.

Von der Reinheit zur Freiheit?

Himburg sieht außerdem die Gefahr, dass es oft problematisch sei, bei einem alkoholfreien Bier die „fehlende Würzigkeit nur durch Hopfen“ auszugleichen und verweist auf eine Lösung mit Früchten oder Kräutern. Dann darf natürlich das Wort „Bier“ nicht mehr verwendet werden. „Eine schöne Alternative bietet auf jeden Fall der Trend zu Session-Bieren“, findet er. Also zu Bieren mit wenig Stammwürze und einem Alkoholgehalt von rund 3%. Der BrauKunstKeller hat vor einigen Wochen sein gemeinsam mit Hofmark gebrautes „Sunrise Session IPA“ vorgestellt.

Einen ähnlichen Sud legte kürzlich Oliver Wesseloh mit seiner Kreativbrauerei Kehrwieder vor. Und auch Simon Siemsglüss räumt ein, dass das Projekt „Session Beer“ ganz oben auf seiner Agenda steht: „Die Leute fragen einfach sehr oft danach und wünschen sich auch im Bereich der leichten Biere Ausweichmöglichkeiten zu den Produkten der Big Player. Wir werden allerdings bei unserem Session-Projekt auf einen untergärigen Stil setzen.“

So wirklich ins Rollen scheint also die Entwicklung von alkoholfreiem Craft Beer noch nicht gekommen zu sein. Dennoch finden beide Braumeister die Materie durchaus interessant. Vorerst sollten wir uns aber noch auf eine hopfenlose Mittagspause einstellen.

Credits

Foto: Craft Beer & Glas via Shutterstock. Postproduktion: Tim Klöcker.

Comments (2)

  • Jens Müller

    Alkholfreies oder Schankbier-Craftbier wird wichtig, wenn es zur Masse kommt mMn.
    Wenn ich sehe wie in den letzten 10 Jahren die Zahlen für alkoholfreies Bier gestiegen sind und wie wie viel Kisten Alk.freies Weizen wir Woche für Woche über den Tresen schieben…

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  • Jan-Peter

    Vielleicht ist es eine Bierstilfrage? Alkoholfreies Pils kann geschmacklich wirklich selten überzeugen, Weizen hingegen schon. Ich würde mich auf jeden Fall über mehr Auswahl in diesem Bereich freuen, und wenn man sich die Absatzzahlen von alkoholfreien Bieren anschaut, ist da ja auch Potential. Die Innovation im Segment muss man ja auch nicht unbedingt den alkoholfreien Biermixen überlassen.

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