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Braukunst Live! 2015 – Bierfest im Wandel

Zum vierten Male rief die Braukunst Live! klangvoll Bierfreunde, Brauer und Journalisten in die bayerische Hauptstadt. Peter Eichhorn bringt Ordnung in das Stimmgewirr aus Lederhosen und Gerüchten, aus Musik, Hopfen und Kreativität. Ein Bericht über den aktuellen Stand der Bier-Tonleiter.

„Geh weg mit deinem g’spinnertem Hopfen, I mog a Helles!“ verkündet die lederbehoste Gestalt am Kreativbierstand. Ja, München bleibt ein ganz besonderes Pflaster für Bierverständnis und Craft-Kommunikation. Vielleicht eines der herausragendsten Merkmale der Messe im Straßenbahndepot ist die bunte Mischung ihrer Besucher. Internationale Brauer und Bierhändler, fachlich versiertes Publikum aus ganz Deutschland und Münchner Lokalkolorit auf halbem Wege zum Oktoberfest.

Noch vermengt die Braukunst Live! auf sehr gelungene Art und Weise die unterschiedlichen Gruppen und Themen. Kleine Craft-Brewing-Start-ups, mittelständische Familienbrauereien und einige der größeren Spieler aus dem Brau-Segment schenken nebeneinander ihre Spezialitäten aus, Brauer aus aller Welt fachsimpeln mit den Kollegen und verkosten gegenseitig ihre Spezialitäten.

Hier spielt die Musik

Andrang und Interesse wuchsen über die Jahre kräftig an, was in diesem Jahr bereits der Presserundgang zum Auftakt der drei Messetage verdeutlichte. Nahmen vor drei Jahren gerade einmal zwei Dutzend Blogger, Fachjournalisten und Lokalreporter an dem Rundgang Teil, waren es in diesem Jahr weit über 100, die sich der Brauthematik widmeten. Ein gutes Zeichen für die neue Generation der Genussbiere, denn mittlerweile berichten eben nicht nur Spezialformate über Craft- und Kreativbrauer, sondern auch Publikums- und Lifestylemedien greifen das wachsende Feld auf.

Und tatsächlich: das Feld wächst. Sorten-, Marken- und Ländervielfalt werden täglich abwechslungs- und zahlreicher. Neue Ein- oder Zweipersonenprojekte, wie Bierol aus Österreich, Gzub aus Polen, Kissmeyer aus Dänemark, Tilmans aus München, Buddelship aus Hamburg oder Vulkan aus der Eifel erregten spontan Aufmerksamkeit und ernteten viel Beifall. An den Ständen der bewährten Marken versammelten sich deren eingefleischte Fans, wie etwa bei Schneider Weisse, Riegele, Camba Bavaria, Braufactum, Hofbräu oder Brew Dog.

Moll

Die Zahl der Bierstile nimmt beträchtlich zu, immer mehr Kreativbrauer nehmen sich endlich auch der untergärigen Bierstile an. Oder sie gehen in die Archive, um vergessene, altbewährte Traditionsgebräue neu- und wiederzuentdecken. So durfte Veranstalter Frank Böer sein Vorjahresversprechen einlösen, das er 2014 auf der Bühne angekündigt hatte: wer speziell für die Braukunst Live! einen lange vergessenen Bierstil neu einbraut, darf kostenlos einen Stand erhalten.

Kurzerhand taten sich daraufhin Oliver Wesseloh von der Kreativbrauerei Kehrwieder und Alexander Himburg vom Braukunstkeller zusammen und fertigten ein Moll, ein altes Rauchbier aus dem Berliner Raum, das mit Maulbeerholz veredelt wird. Jenes Moll wurde dann als offizielles Bier der Messe präsentiert und gewann auf Anhieb zahlreiche Fans.

Dur

Bemerkenswert auch das Angebot von der Bierzauberei und Kiesbye’s Bierkulturhaus aus Österreich mit Experimentalsuden und Waldbieren; und insbesondere Sebastian Sauer aus Köln, der mit seinen Labels „Freigeist Bierkultur“ und „The Monarchy“ gleichfalls die flüssige Vergangenheit neu interpretiert. Mit Dortmunder Adambier, Lichtenhainer und Leipziger Gose ermöglichte er zahlreichen Besuchern völlig neue Geschmackserlebnisse. Es gibt sogar glaubwürdige Berichte über den bayerischen Weißbiergroßmeister Georg Schneider, der dabei gesehen wurde, wie er in aller Öffentlichkeit Sauers „Preußen Weisse“ verkostete.

India Pale Ale gilt nach wie vor als der Stil, der symbolisch für die Craft-Bewegung steht. Umso erfreulicher nimmt es sich aus, dass die Brauer nunmehr nicht das x-te IPA in die Fässer pumpen, sondern dass Themen wie Bock, Barley Wine, Witbier, Altbier oder Fassreifung eine wachsende Rolle spielen. Abgesehen davon: wer am Stand von Bier Deluxe das Ballast Point Indie Pale Ale verkostete, musste lange suchen, um diesem Ausnahme-IPA noch eine Alternative entgegen zu setzen.

Dreiklang

Drei Momente der Messe weisen womöglich auf derzeitige aktuelle Entwicklungen hin. Zum Einen präsentierten erstmals die Brauer aus dem Hause Köstritzer ihr Portfolio auf der BKL. Die Marke, die ursprünglich als Inbegriff für Schwarzbier steht, entwickelt ihre Meisterwerke-Serie weiter. Nach Pale Ale und Witbier stellte die Marke aus Thüringen das neue Red Lager vor und kündigte eine Kampagne mit Präsentationen und sogar Fernsehspots an.

Zum Zweiten vermochten die Brauer aus Italien bemerkenswert zu beeindrucken. Brewfist, die diversen Marken unter dem Dach von Interbrau oder die Spezialitäten des Braufactum-Partners Birrificio Italiano beweisen, wie fortgeschritten und köstlich die Biere aus einem Weinland schmecken können. Häufig äußerten Besucher die Hoffnung, dass die Verfügbarkeit dieser Biere in Deutschland rasch wachsen möge.

Wenig überraschend kommt die dritte Beobachtung daher, nämlich dass die USA eine immer stärkere Rolle spielen. Mit Urban Chestnut oder den zahlreichen Marken am Stand der American Brewers Association und weiteren US-Spezialisten unter den Besuchern, macht das Ursprungsland der Craft-Revolution deutlich, dass Deutschland unter wachsender Beobachtung steht und der Markt nun reif scheint für den Eintritt der Amis.

Zudem bewies der Stand von Mike’s Whiskeyhandel, wie hervorragend Bourbon und Rye doch zu einem Bier passen.

Pianissimo

Zuweilen flüsterte der Flurfunk so manches geheime Gerücht und offene Geheimnis die Gänge entlang. Und so war unter den Fachbesuchern die Erwartung und auch Skepsis bezüglich der Aktivitäten aus dem Hause InBev ein häufig diskutiertes Thema. Wie mögen die drei neuen Biere der Marke Beck´s wohl munden? Was bedeutet das für die Genussbier-Szene?

Ein Brauer brachte die Erwartungen trefflich auf den Punkt: „Die Biere dürfen nicht zu gut sein, aber das erwartet eigentlich auch niemand. Sie dürfen aber um Gottes Willen auch nicht zu schlecht sein, sonst schadet das dem gesamten Bierthema.“

Nochmal Moll

Weitere Gespräche drehten sich um diejenigen, die in den Vorjahren die Braukunst Live! begleitet hatten und die in diesem Jahr nicht präsent waren, teilweise sogar schmerzlich vermisst wurden. Maisel & Friends, Pax-Bräu und Ale Mania zählten dabei zu den meistgenannten, und deren Abwesenheit fiel deutlich auf.

Besonders auffällig war jedoch das reduzierte Rahmenprogramm mit Vorträgen und Diskussionsrunden. Hatte in den Vorjahren das Team der Bierbewertungs-Plattform Bier-Index jeweils für abwechslungsreiche Bühnenprogramme und Diskussionsrunden zum regen Austausch gesorgt, fanden in diesem Jahr nur wenige, dafür sehr lohnende, „Masterclasses“ zu Themen wie Hopfenzucht und Bierdesign statt. Bier und Craft-Beer hat nach wie vor Gesprächsbedarf, der durch laute Musikbeschallung und fehlende Diskussionsgelegenheiten nicht ausreichend gewährleistet wurde.

Lediglich die zwei – viel zu kurzen – Stunden für Fachbesucher am Freitag ermöglichten eine vertiefte Interaktion und ernsthafte Dialoge.

Böers Fünfte

Der Besucher- und Presseandrang bei der vierten Braukunst Live! 2015 beweist, dass die Messe und ihr Thema mittlerweile ernsthaft und nachhaltig etabliert sind. Angenehme Atmosphäre, spannende Biere und eine Mischung bewährter wie neuer, großer wie kleiner Brauprojekte festigen den Stellenwert der Veranstaltung, die es sicher auch 2016, dann zum fünfen Mal, geben wird.

Nachdenkliche Worte fielen in den drei Tagen natürlich auch über die Zukunft der Messe. Darf sie weiter wachsen? Wird die Balance aus Publikums- und Semi-Fachmesse gewahrt, sodass auch weiterhin die wichtigsten Protagonisten der Bierszene teilnehmen werden?

Veranstalter Frank Böer beschert München und der Craft-Szene jedenfalls ein ums andere Mal eine wichtige und besondere Veranstaltung. Konstant und doch im Wandel. Wie die Bierszene insgesamt eben.

Credits

Foto: Fotos von Peter Eichhorn oder Jörg Mette.

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