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Der Charles Jourdan

Neonfarbene Getränke aus den 1980er Jahren: Häresie im Glas oder Herausforderung für den Bartender? Nico Colic sagt beides – und schneidert einem grünen Gespenst ein zeitgemäßes Gewand.

Es ist Freitag Abend und das Publikum wild durchmischt: Der eine Gast erfreut sich an seinem liebsten Craft-Bourbon, der andere ist verwundert über die Frage, welcher Gin es denn im G&T sein dürfte. Gibt es denn da mehr als einen? Ja, nicht jeder liest Cocktailbücher statt Wochenzeitungen, und das ist auch gut so. Trotzdem verwundern manche Bestellungen.

Zum Beispiel, wenn jemand einen “Charles Jordan” bestellt. Weder Barmann noch Gast wissen, worum es geht. Nur, dass das Getränk eine “schöne grüne Farbe gehabt habe, damals in dieser Bar da.” Das klingt verdächtig nach Tom Cruise und vergangenen Zeiten. Die kurze Recherche im Internet bestätigt, dass dieser Charles Jordan sich nahtlos in die Reihe von chemischen Cosmos und Piña Coladas einreiht: Blanco Tequila, Litschilikör, Blue Curaçao und Grapefruitsaft.

Na viel Spaß! Mit der Erklärung, dass nicht alle Zutaten verfügbar seien, wird ein Charlie Chaplin aufgrund des ähnlichen Namens empfohlen, und alle sind zufrieden. Vorerst zumindest.

Back to the Future

Denn dieser Charles Jordan hallt nach, wie ein peinliches Lied aus der frühen Kindheit, dem man sich nicht entziehen kann. Man tritt auf Pfaden, die lange nicht mehr betreten wurden: Allein schon die Suche nach Litschilikör und Blue Curaçao ist nicht ganz einfach, und das Getränk beweist, dass die 80er und 90er Jahre wenig mixologische Meisterwerke hervorgebracht haben: Von der Spirituose keine Spur, die Kombination aus Litschi und Grapefruit erinnert an Spülmittel, und die Farbe bekräftigt diesen Eindruck. Es sei dem werten Leser trotzdem geraten, das Experiment zu wiederholen, falls die Zutaten aus unerfindlichem Grund zur Hand sein sollten: Es schafft Dankbarkeit für die Entwicklung, die die Barszene in den letzten Jahren erlebt hat.

Zugleich aber auch die Herausforderung: Wie setzt man eine solche Kampfansage in der modernen Bar um? Denn die Kombination von Tequila und Grapefruit, Litschi und Orange tönt eigentlich spannend.

Ein Twist ist das nicht, aber …!

Geht man von diesen Aromen aus statt von der ursprünglichen Rezeptur, so eröffnen sich neue Möglichkeiten.

An einem Litschilikör ist an sich nichts falsch. Die Frucht hat ein außerordentliches, exotisches Aroma, das sich gerne mit Blumen paart. Allerdings weckt die Flasche auch Erinnerungen an übersüßte, von einer verklärten Asien-Faszination geprägte Vodka-Plitschen, die ruhig noch ein paar Jahre begraben liegen dürfen. Es wird also zum Gewürztraminer gegriffen: Ein Wein, der sich mit seinen typischen Litschi- und Grapefruitnoten hier geradezu aufdrängt.

Wo Wein im Spiel ist, da bietet es sich an, statt Zitrussäften vom Verjus Gebrauch zu machen. Verjus ist der Saft junger Trauben, der sich durch eine feine Säure auszeichnet. Damit lässt sich die Süße des Gewürztraminers elegant ausgleichen. Um der Grapefruit im ursprünglichen Rezept trotzdem Rechnung zu tragen, wird das Getränk mit einer Grapefruit-Zeste abgespritzt.

Grapefruit und Tequila sind bekannte No-Brainer, die eigentlich immer funktionieren. Tatsächlich holt die Zeste unglaublich viele Aromen des Tequila an die Oberfläche und schlägt eine Brücke zwischen dem Gewürztraminer und dem Tequila. Es bieten sich hier leichtere, florale Blanco oder Reposado Tequilas an – oder, falls es denn ausgefallen sein muss, durchaus auch Sotol. Letzterer ist ebenfalls ein Agavenbrand aus Mexico, kommt aber aus einem höher gelegenen Gebiet als Tequila und zeigt sich etwas verhaltener.

Into the Blue

Bleibt also noch der Blue Curaçao. Ein heikles Thema: Das eine Lager sieht in dem künstlich gefärbten Bitterorangenlikör ein Zeichen, dass die Zeiten von hochnäsigen Bartendern mit gewachstem Schnurrbart und Vorträgen über artisinale Amaros vorbei sind und man endlich wieder Spaß haben kann in der Bar. Das andere Lager zählt ihn zu den chemischen Geschmacksmonstrositäten, die in der zeitgenössischen Bar, die auf Qualitätsprodukte und möglichst natürliche Zutaten setzt, nichts zu suchen haben.

Egal, auf welcher Seite man stehen mag, die Farbe prägt die Geschmackswahrnehmung entscheidend, und was unnatürlich aussieht, wird auch so schmecken. Es geht also darum, ob die Farbe einen Bezug zum Geschmack hat. Veilchenliköre und Parfait d’Amours werden ebenfalls mit Lebensmittelfarbe aufgepeppt, aber da Veilchen eben tatsächlich lila sind, stört das nicht übermäßig. Nun denn, weder die Litschi noch die Orange sind bekannt dafür, blau zu sein, deswegen wird an dieser Stelle auf die blaue Farbe verzichtet – und statt dem Blue Curaçao ein anständiger Triple Sec zur Unterstützung der Grapefruit an Bord geholt.

Ende vom Lied? Nicht ganz: Denn inzwischen ist ein eleganter, leicht blumiger Aperitif entstanden, der den Tequila in ein ganz neues Licht rückt. Wie eine Dame, zurückhaltend, etwas unnahbar, die in der Nachmittagssonne an einem vorbei schreitet und den Duft von Veilchen in der Luft zurücklässt. Ja, ein Tropfen Veilchenlikör führt das Getränk zur Vollendung.

10

Woher der ursprüngliche Charles Jordan seinen Namen hat, ist unbekannt. Es lässt sich erstaunlich wenig über dieses Rezept herausfinden, und auch finden sich kaum bekannte Persönlichkeiten, die als Namenspaten wahrscheinlich sind. Es gibt aber den französischen Modedesigner Charles Jourdan, welcher sich im letzten Jahrhundert einen Namen mit avantgardistischen Damenschuhen gemacht hat.

Vielleicht war es dieser Monsieur Jourdan, der ursprünglich mit der unglücklichen Rezeptur bedacht wurde. Der Unterschied zwischen Jourdan und Jordan mag dann wohl zwischen Büchsenlitschies und neongefärbten Cocktail-Schlachten untergegangen sein. Wissen tut es wohl keiner, aber ein guter Name hat sich damit gefunden.

Credits

Foto: Schuh via Shutterstock.

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