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Cobbler statt Kuchen!

Cobbler ist der englische Ausdruck für Schuhflicker oder Flickschuster. Unter „Cobbler“ verstehen die Amerikaner einen Nachtisch aus Früchten mit Teigkruste oder Streuseln. Auch die Namen Buckle, Crumble oder Brown Betty sind verbreitet. Der Cobbler ist aber auch der Drink, der vor fast 180 Jahren wesentliche Utensilien hinter den Tresen gebracht hat, ohne die heute keine Bar funktionieren würde. Für die Spirituosenwelt hat sich der Schuhflicker zum Kesselflicker gewandelt, der heute, in Zeiten der zunehmenden Aperitifkultur, vor einer Renaissance steht. 

Noch herrschen die dunkelsten Tage im Jahr vor. Aber jeder weiß, wie schnell die Zeit vergeht und wie rasch die nächste Terrassensaison mit ihren Spritz’s und anderen leichten Aperitivi da sein wird. Es ist Zeit, die Zeit für eine Alternative, eine Wiederentdeckung. Vor über 150 Jahren war er einer der sensationierten Drinks in den Bars, vor allem den amerikanischen – der Cobbler. Das hatte – heute so selbstverständlich, wie ein Flug in den Weltraum – im wesentlichen zwei Gründe, eigentlich zweieinhalb: Eis, Trinkhalm und Shaker.

Eis war noch immer ein rares Naturgut und lagerte in Eiskellern, die Kühltechnik war gerade erst im Entstehen. Und wie trinkt man ein randvoll mit Eis gefülltes Glas, angereichert mit frischen Früchten am elegantesten? Mit dem Trinkhalm, der damals so etwas wie ein „killer-tool“ in Bars war. „Ein Strohhalm ist ein unheimlich nützlicher Artikel, vorausgesetzt, die eine Seite badet in einem Cobbler“, stellte die Grand Island Times 1873 fest. Zur Zubereitung fand der sogenannte „Cobbler Shaker“ Verwendung: Dreiteilig und aus Metall, so wie er heute weltweit millionenfach in kostengünstiger Form auch zahllose Heimbars schmückt. Das ist insofern relevant, da die hohe thermodynamische Leitfähigkeit von Metall gegenüber Glas weniger Schmelzwasser beim Schütteln bildet. Und das in den Deckel eingebaute Sieb tut sein übriges, wenn es darum geht, Fruchtstücke und Eis zurückzuhalten, ohne dass extra ein Hawthorne Strainer zum Einsatz kommen muss.

Charles Dickens und der Sherry Cobbler

Ein Cobbler ist schwer zu definieren. Es handelt sich eher um einen Überbegriff für eine Getränkegattung wie etwa Sours, bestehend aus fortifizierten (durch Hinzugabe von Alkohol verstärkten) Weinen wie Sherry, Port, Wermut, sowie Champagner – aber auch Spirituosen! – Zucker und frischen, saisonalen Früchten. Meist werden die Zutaten über gestoßenem Eis gemixt und dann mit Trinkhalm serviert. Ein wahres Chamäleon, da man die Früchte je nach Gusto variieren und den Zucker durch Sirup, Bitters oder Likör ersetzen kann. Der Cobbler ist ein Drink, der aufgrund seiner Leichtigkeit eher der warmen Jahreszeit zugeschrieben wird, es gibt aber auch Winterkreationen mit Whisky oder Gin und Cranberrys, den letzten Beeren vor der Winterstarre.

Am populärsten sind allerdings die Mischungen mit Sherry, Port und Wermut, die ohnehin in der ambitionierten Barkultur Staub und Patina gegen Tand und Glitter einzutauschen sich anschicken. Unter diesem Trio der fortifizierten Weine hat der Sherry seine früheste Erwähnung im Cobbler. Der Cocktail-Historiker David Wondrich datiert ihn auf das Jahr 1838, als die Kanadierin Katherine Jane Ellice ihn in ihrem USA-Reisetagebuch erwähnt. Auch die Literatur hat wie immer ihre Finger im Spiel, wenn es um Alkohol geht. Charles Dickens lässt in seinem Schelmenroman „The Life and Adventures of Martin Chuzzlewit (1843/44), seinen Protagonisten ekstatisch in einem Zuge einen Sherry Cobbler austrinken, um dann über die Qualität des Drinks und die Art der Konsumation durch einen Halm zu philosophieren.

Cobbler oder Fix?

Der Cobbler ist prädestiniert für Bartender, die ihren Gästen etwas zeigen wollen, sie gerne über die zusammengeschusterten Aperitif-Welten hinausführen wollen. Er ist zwar der Spritz des 19. Jahrhunderts, aber doch weit mehr als ein Spritz. Seine Bedeutung für die Bar ist überragend: „Er hat das Eis, den Strohhalm und den Shaker in die Bar gebracht“, konstatiert der Wiener Bartender und anerkannte Spirituosenexperte Reinhard Pohorec. Der Cobbler folgt einer simplen Mechanik. Oliver Ebert, Betreiber der Berliner Bar Becketts Kopf fasst es puristisch zusammen: „Der Drink funktioniert über Kälte und Wasser. Zucker ist dafür da, ihm Körper zu geben, Zitrone hat darin eigentlich nichts zu suchen, sonst wäre es ein ‚Fix’. Er ist ein herrliches Erfrischungsgetränk für den Sommer, gepaart mit saisonalen Früchten. Wir haben jedes Jahr zur Kirschenzeit im Juli und August den Cherry Cobbler im Programm. Als Basisspirituose verwenden wir trockenen, milden und vollen Amontillado Sherry.“

Etwas unpäpstlicher interpretiert Pohorec den Drink: „Ich bin kein Paragraphenreiter, von mir aus kann da auch Zitrone rein. Mit den steifen Kategorien kann doch heute kaum noch jemand was anfangen. Bartender und zunehmend auch Gäste experimentieren eben gerne.“

Der Allrounder

Auch Dietmar Petri, ehemals im Münchener Les Fleurs Du Mal und künftig im noch nicht eröffneten Roomers Hotel in der Isarmetropole, befasst sich seit mehreren Jahren mit dem Cobbler. „Ich habe noch nie Säure beigegeben, eher habe ich dem Drink mit einem Dash einer aromatischen Spirituose wie Rum oder Whisky eine andere Richtung gegeben“, sagt er. Allerdings begreift er den Cobbler nicht unbedingt als Aperitif: „Für mich kann das auch ein leichter, süffiger After-Dinner-Drink sein. Ich würde nicht auf schwere Spirituosen zurückgreifen. Portwein, Sherry und Wermut sind die geeignete Basis, die sich umspielen lässt. Auch welche Jahreszeit ist, spielt nicht wirklich eine Rolle. Mit Marmelade und Port lässt sich eine wunderbare Wintervariante aufbauen.“ Ganz wichtig ist für Petri der Silberbecher, der gehöre zur Funktion des Cobblers.

Auch Reinhard Pohorec verfolgt eher die Grundidee mit fortifizierten Weinen. „Dann ist er ein stimmiger Allrounder, der süffig, leicht und sehr aromatisch ist. Neben dem Wermut funktionieren sehr gut Portwein oder Madeira. In unserer Bar werden insbesondere Sherry-Drinks immer häufiger nachgefragt. Charaktervoller Fino oder Oloroso sind die Favoriten. Allerdings stehen diese noch in der Spezialitätenecke“, erklärt er.

Der Cobbler ist kein „einfacher“ Drink, und fortifizierte Weine nicht jedermanns Sache, obwohl sie zu Zeit wieder stärker in den Fokus rücken. Interessant sind auch Varianten mit Riesling, Bordeaux oder Champagner. Aber auch hochprozentige Spirituosen wie Whisky, Brandy oder Rum haben eine treue Fangemeinde. Insbesondere der Whiskey Cobbler mit einem kräftigen Bourbon, beispielsweise mit einem Dash Maraschino oder Peach Bitters ein wenig weicher gemacht, ist eine Variante für erfahrenere Genießer. Immer aber gilt: „Er muss eiskalt sein, fast schon eine Sorbetkonsistenz haben, dann schmeckt er mir am besten“, findet Oliver Ebert.

Der Cobbler ist also schwer zu packen, eine chamäleonartige Getränkekategorie, die alle Spielarten erlaubt und – in der leichteren Variante auch schon am Nachmittag – zu jeder Jahreszeit, besonders aber an warmen Tagen genossen werden kann. Spritz und Hugo sollten im kommenden Frühjahr ernsthaft Konkurrenz bekommen.

Wenn der Cobbler der Flickschuster unter den Desserts mit Fruchtkombinationen ist, dann ist er in der Welt der Spirituosen der Kesselflicker. Den man zwar nicht wie ein Kesselflicker saufen, aber ruhig mal wieder auf den Tisch stellen sollte.

 

Dieser Artikel erschien ursprünglich in der MIXOLOGY-Ausgabe 2/2016.

Credits

Foto: Foto via Tim Klöcker.

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