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Die Frucht nach vorne

Ist der Obstbrand bereit, die Herzen der Bargäste zu erobern? Findet er Eingang in das Backboard? Oder noch wichtiger: In die Köpfe der Bartender? Stefan Adrian mit einigen persönlichen, ehrlichen Gedanken.

Ich arbeite seit langem als Bartender. Ich glänze nicht auf Wettbewerben, aber ich stelle mit Sicherheit einen wohltemperierten, genau komponierten Cocktail aufs Tablett. Keine meiner Eigenkreation steht in den Cocktail-Büchern dieser Welt, aber mein Repertoire als demütiger Eklektiker sitzt. Gelegentlich entwickle ich einen Twist, der ankommt.

Quo vadis, Frucht?

Ich arbeite nicht ausschließlich hinter dem Tresen, aber in meinem Handy sind mehr Cocktailrezepte als Telefonnummern. Das Wichtigste: Ich weiß, was ich kann, aber ich konzentriere mich auf das, was ich nicht kann. Und ich habe festgestellt: Auf der Suche nach der Antwort auf die Frage, ob Obstbrand ein Trend in der Bar ist oder nicht, bin ich das Problem. Aber auch Teil der Lösung.

Bei MIXOLOGY hieß es bereits in der Vorschau 2012, Obstbrände würden der Geheimtipp des Jahres, und Quitten-Crusta, Birnen-Fizz oder Zibärtle-Smash der Schlüssel zu einer neuen Zielgruppe. Drei Jahre später gilt das immer noch als wage Prognose.

Weitsichtigkeit als Fluch

„In Deutschland wurde der Obstbrand stiefmütterlich behandelt, Produkte wie Calvados wurden aber immer in Cocktails verwendet,“ stellt Florian Faude, Hersteller der gleichnamigen, hochwertigen Brände aus dem Schwarzwald, fest. Der sympathische Jungbrenner hat von Anfang an mit der Hemingway Bar in Freiburg zusammengearbeitet, die seine Liköre und Brände weiterverarbeitet. „Viele Konsumenten empfinden Obstbrand jedoch nach wie vor als stinkende, scharfe, brennende Flüssigkeit, die bis in die kleine Zehe weh tut. Deswegen wird in Deutschland mehr Vodka getrunken als in anderen Ländern.“

Die Zahlen geben dem 30-jährigen Spitzenbrenner Recht: 2013 war der Anteil von Obstbränden an der Gesamtmarktproduktion in Deutschland 6,3 Prozent. Der von Vodka: 17 Prozent. Nur Bitter, Halbbitter- und Kräuterliköre lagen mit 25,6 Prozent noch weiter vorne. „Die Renaissance des Obstbrandes ist zwar eingeläutet“, so Faude weiter, „aber sie ist abhängig von der Geschmacksbildung des Verbrauchers. An diesem Punkt muss noch viel Aufklärungsarbeit betrieben werden.”

Die Aufklärung beginnt vor der Haustür

Stimmt. Aber: nicht nur. Auch hinter der Bar muss Aufklärung betrieben werden. Denn dort beginnt es ja. Der Bartender ist der, der den Gast aufklärt. Ich habe auch schon einen Birnensour gemacht, einen Martini mit Kirschwasser gerührt, einen Widow’s Kiss mit einem lokalen Kräuterlikör aufgemotzt oder einen Espresso Martini mit Haselnussgeist versehen. Aber ich habe mich nicht wirklich mit der Qualität des Brandes auseinander gesetzt. Ich habe mich nicht gefragt, wie dieser produziert wird, und auch nicht, wie viele Variationen tatsächlich möglich sind.

Und Qualität ist die Arena, in der sich dieses Spiel entscheidet. Die GSA-Länder sind die Brennnationen schlechthin, wenn es um Obstbrände geht. Hier findet man die nuancenreichste, genaueste und perfektionistische Verarbeitung. Und diese Hochwertigkeit des Brands ist essentiell für seine Revitalisierung. Sie schafft die Möglichkeit, dass er von der Auswechselbank in die Stammformation tritt.

Von Ganzheitlichkeit und versteckten Aromen

„Ich kenne Brenner, die ihr Destillat einem einzelnen Baum zuordnen können. Diese Frage der lokalen Produktion und der Regionalität hat mich beschäftigt“, erzählt Oliver Ebert, der nach dem Beckett’s Kopf mit seiner neuen Bar Lost in Grub Street im Zentrum von Berlin auf Pionierwegen marschiert. Ebert setzt ausschließlich auf Punch und auf Cocktails, die auf Obstbränden basieren.

„Es ist mehr als an der Zeit, den Obstbrand in die Bar zu integrieren. Er ist die Königsdisziplin des Brennens, bietet ein unglaubliches Aromenspektrum und einen extrem langen Abgang. Ein hochwertiger Brand lockt Aromen hervor, die man in der frischen Frucht gar nicht schmecken kann, die Schärfe des alkoholischen Brandes ist dabei gleich Null“ so der Mixologe des Jahres 2013. „Man kann wirklich nach der Frucht gehen und sich wie beim Essen im Restaurant fragen: Habe ich Lust auf Mandarine in Kombination mit Koriander? Mit dieser Vorstellungskraft haben Gäste eher noch Probleme. Wenn der Drink erstmal am Tisch steht, kommt in der Regel das große Staunen.“

Aromendichte statt Vokda-Surrogat

Wenige Kilometer weiter westwärts, im Curtain Club des Ritz Carlton, haut Arnd Henning Heissen seinen Gästen Parfumflakons um die Ohren. Natürlich nicht wortwörtlich, aber symbolisch. An den Fläschchen kann man riechen, ihr Duft ist die Komposition des Drinks, den man bekommt. Der Gast bestellt seinen Cocktail nach einem vorhergehenden Dufterlebnis, ohne über die Zutaten Bescheid zu wissen. Obstbrände sind Bestandteil dieses Avantgarde-Konzepts. Heissen, ein früher Verfechter des Obstbrandes, arbeitet ausschließlich mit Produkten der Stählemühle von Christoph Keller.

„Der Ansatz sollte sein: Obstbrand ist ein deutscher Flavored Wodka, der Früchte in Drinks ersetzen kann. Wenn man in Deutschland Birnenbrand erzeugt, warum sollte ich einen Flavored Wodka nehmen, der aus purer Chemie besteht? Ein Obstbrand ist ehrlicher und authentischer. Durch einen hochwertigen Brand kann ich Zucker ersetzen, ebenfalls ein wichtiges Thema in einer Zeit, in der immer mehr Menschen auf Zucker verzichten“, so der quirlige Barchef. „Die Hersteller müssen jedoch Aromen bieten, die heute beliebt sind. Nicht Mirabelle, sondern Zitronengras oder Ingwer. Vom Bergamotte und Bourbon-Vanille aus der Stählemühle reicht ein Barlöffel für einen Cocktail. Das ist auch kommerziell vertretbar. Ich muss nicht 4 cl rein kippen. Essentiell jedoch ist: Man darf nicht bloß Spirituosen durch Obstbrände ersetzen, sondern muss mit deren Aromen spielen und sie in den Mittelpunkt stellen. Dafür muss man die Köpfe öffnen.“

Der Unterschied sitzt am Tresen und im Kopf!

Diese Köpfe sitzen vor dem Tresen. Sie betrachten den Obstbrand als Digestif nach einem schweren Steak, egal ob im Ritz Carlton oder in der Hipster-Bar in Kreuzberg. Diese Köpfe stehen aber auch hinter der Bar. Leute wie ich, keine Bartender der Elite, aber der gehobenen Basis. Wir alle sollten in Grübeln darüber kommen, warum dieses Aromenuniversum oft weiter entfernt scheint als viele andere Winkel dieser Erde. Vielleicht sehen wir uns beim nächsten Urlaub im Schwarzwald. Und 2017 vergleichen wir die Anteile von Obstbränden und Vodka an der Gesamtmarktproduktion auf ein Neues.

Credits

Foto: Birnen via Shutterstock

Comments (10)

  • Jonas Stein

    Mir fehlen die Worte…

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    • Redaktion

      Lieber Jonas,

      bitte erkläre Dich doch etwas genauer. So weiß leider niemand, in welche Richtung Deine Sprachlosigkeit geht.

      Viele Grüße und einen schönen Sonntag,
      NW

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  • Jonas Stein

    lieber nils (wenn ich das kürzel nw richtig interpretiert habe),

    es tut mir leid für meinen aussagelosen und zusammenhanglosen post, aber ich habe beschlossen die schnauze zu halten… ich bitte die umstände zu entschuldigen…

    schönen tag euch noch

    und liebe grüsse

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    • domenico

      kann ich nachvollziehen, Jonas !

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  • Volker Seibert

    wir haben 8 Drinks mit Bränden auf der Karte , 30 Brände zur Auswahl , Stählemühle ganz vorne & nicht als Staubfänger , unsere Gäste 40 +….

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  • Stefan Adrian

    Vielleicht sollte ich dem Artikel eine kurze Erklärung hinter her schieben: Es war mir mit dem Text weder Anliegen noch die Absicht, diejenigen zu ignorieren, die bereits (und auch seit längerem) mit Obstbränden arbeiten. Ich wollte darlegen, dass es vielleicht trotzdem eine anonyme Masse von Bartendern – wie mich – gibt, die sich weg vom Gin-, Whiskey,- Tequila,- etc. -Cocktails hin zum Obstbrand öffnen könnten und sollten … Beste Grüße, AS

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  • domenico

    Funny!
    Wir beschäftigen uns seit 4j mit dem Thema !
    http://www.schwarzwald-bar-brigade.de

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  • jonas hald

    Braende sind doch schon seit Jahren wieder beliebt. Kaum eine Karte kommt noch ohne Drinks mit regionalen Braenden oder Obstlikoeren aus. Die Gaeste sind interessiert und fordern die Barleute. Auf jeden Fall sind sie gefragter als Cognac, Brandy, Pisco oder Craft Beer.

    Gruesse

    Jonas Hald

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    • Domenico

      100 Punkte Hr.Hald

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