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Obstbrand

Edelbrände im Schattenreich

Edelbrände, Obstbrände und Trester führen an der Bar und der Spirituosenindustrie oft ein Schattendasein und fühlen sich unterrepräsentiert. MIXOLOGY ONLINE sucht die Schnittstelle und Licht ins Dunkel.

Was ist das Besondere an Bränden? Als nahezu ideale Lösung zur Konservierung der letztjährigen Ernte, ja sogar zur Steigerung des Wertes dessen, was in den Weinbergen, auf Feldern und Bäumen wuchs, wurde das Einfangen der Essenz von Früchten verschiedenster Arten im Laufe der Geschichte gepflegt und perfektioniert.
Von fermentiertem Saft oder Maische ganzer, fleischiger Früchte, Beeren oder Gemüse destilliert, mit oder ohne Stein beziehungsweise Kernen mit mindestens 37,5%  Vol. ohne irgendwelche Zusätze abgefüllt, darf das finale Produkt die ursprüngliche Frucht im Namen tragen, gefolgt von Beizeichnungen wie Spirituose oder Wasser.
Reine Frucht und ein enger Cut
Der GSA-Raum und andere Mitteleuropäische und Slawische Länder bieten ein weites, vollreifes Fruchtspektrum, und Meisterbrenner mit ihren oft einzigartig gestalteten Kupferbrennblasen bilden perfekt eingespielte Teams, um die Materialien zu veredeln.
Weithin herrscht dabei Einigkeit darüber, dass die Qualität eines Edelbrands bereits am Feld und  Baum beginnt. Alois Gölles, einer der Pioniere der Österreichischen Szene, wird nicht müde zu betonen, dass „am wichtigsten sauberes Obst ist. An zweiter Stelle stehen Frische und Aromatik der Früchte. Und an dritter Stelle folgt – wie sollte es anders sein – das Obst, das Obst und wieder das Obst. Die Lage, der Boden, das Klima und die physiologische Reife“. In dieselbe Kerbe schlägt auch Christoph Keller von der hochdekorierten Stählemühle: „Zur Verwendung kommt ausschließlich sortenreines Obst der Spitzenqualität, aus biologischem Anbau, vollreif geerntet, händisch verlesen und gereinigt.“ Dem folgen das Geschick und die Perfektion an den Brennapparaturen, die durch das Setzen der Cut-Points die Klarheit und Sauberkeit des Destillats bestimmen. Edelbrände leben von der Frische, Finesse und Reinheit der Fruchtausprägung. Der richtige Umgang mit Vor- und Nachlauf ist ein schmaler Grat, den es zu meistern gilt.
Kostenintensive Juwelen
Als Konsequenz können sich 100kg Frucht schon einmal in einer wahnwitzig anmutenden Ausbeute von gerade fünf Litern reinen Alkohols niederschlagen und machen Williams, Zwetschge, Marillenbrände und Konsorten mit zu den arbeits- und kostenintensivsten Juwelen der flüssigen Welt.
Gerade bei Beerenfrüchten und Sorten mit niedrigem Zuckergehalt, geht so mancher den Weg, unfermentierte Früchte in Agraralkohol zu mazerieren, das Kondensat am Ende des Schwanenhalses muss dann als Geist kategorisiert werden, kann sich aber selten mit einem echten Brand messen.
Und der vielzitierte Schnaps übrigens, eigentlich ein Synonym für echte, naturbelassene Brände, wird heute oft fälschlich als Billigfusel abgetan und hat schon gar nichts mit der übersüßen und nach Jugendsünde schreienden Schnapps-Variante zu tun, die im anglikanischen Raum erhältlich ist.
Zumeist als klarer Brand in neutralen Behältnissen aus Glas oder Edelstahl geruht und harmonisiert, immer wieder aber auch durch Holzeinsatz um neue Nuancen erweitert, füllen die Brenner ihre Werke auf die Flasche und werden zumeist pur, als Digestif und in der Spitzengastronomie genossen.
Mehr Hintergrundwissen
Warum diese wunderbaren, handwerklichen Produkte, genau dem Trend hin zu Regionalität und Authentizität entsprechend, dennoch ein Leben an der spirituellen Seitenauslinie fristen und in der Barwelt nicht die verdiente Würdigung erhalten, mag mit einem bäuerlich, einfachen Image  zusammenhängen. Ebenso wie dem mangelnden Hintergrundwissen und einer fehlenden Wertschätzung hinsichtlich der Vielfalt und Bandbreite dieser Kategorie.
Vielfach wird auch ein Preisargument in den Ring geworfen, treiben doch so manche Vogelbeere, Elsbeere oder eine echter Himbeerbrand die Kalkulation für einen Drink deutlich in die Höhe. Gerade in Zeiten der Qualitätsbesinnung und einer zunehmenden „Premiumisierung“ der Spirituosenbranche generell, sollte diese Diskussion aber nicht hinderlich im Weg stehen.
Und mit einer Williamsbirne lassen sich sehr interessante Drinks ebenso wirtschaftlich rational kreieren, wie mit einer Alten Zwetschge oder einem fassgelagerten Apfelbrand. Ob als Basis, Modifier oder kleiner Flavouring-Akzent, sei es pur im richtigen Glas, als Sour, Longdrink oder Variante eines klassisch-kräftigen, gerührten Drinks – die Möglichkeiten sind mannigfaltig.
Man muss sich ein wenig einlassen auf die Vielfalt und einen eigenen, neuen und zeitgemäßen Weg mit den edlen Bränden finden. Die lebensverlängernde Flüssigkeit auf sich wirken lassen, die Düfte von Sommerbeeren und Herbstfrüchten im Glas entdecken und ein bisschen auf den historischen Pfaden der Alchemisten wandeln – stets auf der Suche nach dem Stein der Weisen.

Credits

Foto: Tim Klöcker & Sebastian Böhme

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