So trocken viele Barflys auch gerne trinken, ganz ohne Zucker geht es nicht. Die eleganteste Lösung ist da oft ein Likör. Doch welche FÜNF! Sorten sind wirklich unerlässlich? MIXOLOGY gibt Antworten, welche süß-aromatischen Flaschen in absolut gar keiner Bar fehlen dürfen.
Schon Wilhelm Busch, der alte scharfzüngig-erzieherische Reimknallkopf, wusste: „Es ist ein Brauch von Alters her – wer Sorgen hat, hat auch Likör“. Vor allen Dingen aber rät er im Folgevers außerdem auch all jenen glücklichen, nicht von Sorgen geplagten Menschen dazu, sich auch welchen zu besorgen, um die wohlige Laune beibehalten zu können. Das Vermischen von Bränden mit Aromastoffen und Zucker, also die grundlegende Form der Likörherstellung, ist vermutlich so alt wie das Trinken selbst. Bedenkt man, wie die meisten Brände in archaischer Zeit geschmeckt haben, ist es sogar mehr als wahrscheinlich, dass fast aller Schnaps ehedem irgendwie gesüßt wurde.
Und auch in Zeiten des „sauberen“ Alkohols hat sich eines nicht geändert: Eine Bar ohne Liköre ist eigentlich keine Bar. Vielleicht im räumlichen Sinne, aber nicht im technischen. So schlecht der Ruf des „Likörchens“ als Kopfschmerzverursacher manchmal sein mag, so gäbe es doch gleichzeitig wirklich einen Großteil der heute gängigen und klassischen Cocktails ohne ihn gar nicht. Die Bar lebt durch ihren Reichtum – nicht nur an Spirituosen, sondern auch an Likören. Sogar Optisch, wie Charles Schumann einst postulierte: Mit ihren vielfältig geformten Flaschen und dem farbenfrohen Inhalt machen viele Bars den Zauber eines reichhaltigen Rückbuffets erst aus. Es müssen allerdings nicht unbedingt 15 verschiedene Frucht-Crèmes vorhanden sein. Was ist, wenn man an die „Basis“ geht? Ohne welche FÜNF! Liköre kommt die Bar auf keinen Fall aus? Auch, wenn dabei so mancher persönlicher Favorit ausgeschlossen bleiben muss, scheinen folgende Liköre unter keinen Umständen aus der Bar wegzudenken.
1) Orange Curaçao oder Triple Sec
Müsste sich ein traditionsbewusster Bartender für nur einen Likör entscheiden, wäre jener wohl in den meisten Fällen ein klarer Orangenlikör, also ein Curaçao bzw. die „Triple Sec“-Variante mit höherem Alkoholgehalt. Bedanken können wir uns für den Likör indirekt bei den frühen spanischen Siedlern auf der Karibikinsel Curaçao, die heute übrigens zu den Niederlanden gehört: Der Versuch der Iberer, die heimischen Sevilla-Orangen auf der Insel anzubauen, scheiterte zunächst aufgrund der vollkommen anderen Beschaffenheit der Böden.
Die Orangenbäume, für die sich irgendwann niemand mehr interessierte, verwilderten und es entstanden eine oder mehrere neue Unterarten (die Forschung ist hier uneins) der Pomeranze bzw. Bitterorange, die sich durch besonders aromatische Schalen auszeichnen. Ihre Aromen geben bis heute einer stattlichen Runde zeitloser Drinks – wie White Lady, Side Car, Mai Tai oder Margarita – oft den entscheidenden letzten Schliff.
Die größte Tradition der hochwertigen Curaçao-Produktion liegt seit knapp 200 Jahren in Frankreich, wo die kraftvollen Orangenliköre kurz nach Napoleons Tod riesige Popularität erfuhren. Neben den Abfüllungen der großen Häuser aus den Niederlanden, die weltweit immensen Absatz generieren, gelten bei Kennern nach wie vor die klassischen französischen Sorten, etwa von Ferrand, Cointreau oder Grand Marnier, als beste Wahl.
2) Maraschino
Der Name täuscht: Denn obwohl das Wort „Maraschino“ erst einmal italienisch klingt und der heute fast als einzig ernsthafte Wahl geltende Luxardo Maraschino in Nordostitalien hergestellt wird, ist die Gattung Maraschino eigentlich an der kroatischen Adriaküste im Landstrich Dalmatien beheimatet.
Sein Name geht zurück auf die dalmatinische Maraska-Kirschsorte, die dem würzig-blumigen Likör gemeinsam mit anderen Zutaten, wie z.B. Rosenöl, Mandelkerne oder Vanille, seinen einzigartigen Geschmack verleiht. Übrigens stammt auch das erwähnte Haus Luxardo, das in fünf Jahren seinen 200. Geburtstag feiert, ursprünglich aus Kroatien. Die heutige Grenzziehung zwischen beiden Ländern untergräbt leider teilweise das starke gemeinsame kulturelle Erbe der Region um die Adria.
An der Bar erhält Maraschino, lange Zeit ein klassisches „Stiefkind“, erst seit relativ kurzer Zeit wieder größere Aufmerksamkeit. Doch spätestens mit der Wiederentdeckung solch großartiger Schöpfungen wie dem Last Word, dem Aviation und natürlich dem Martinez Cocktail hat sich das Bild gewandelt. Statt einer staubig-verklebten Flasche in der letzten Ecke, die schon drei Barchefs hat kommen und gehen sehen, ist Maraschino heute ein Produkt mir regem Durchlauf.
3) Chartreuse
Bruno von Köln wird in der katholischen Kirche heute als Heiliger verehrt. Was die katholische Kirche hingegen wohl eher nicht weiß, ist, dass der Mönch und Stifter des Kartäuser-Ordens auch unter Bartendern in gewisser Weise kultische Anbetung genießt. Denn aus dem Kartäuserkloster bei Grenoble in Frankreich stammt jener Kräuterlikör, der für viele Barprofis zum Sinnbild der Bar-Renaissance geworden ist: Der Chartreuse Verte, also der grüne Kräuterlikör mit satten 55% Vol. Aber auch sein etwas „leichterer“, gelber Bruder (der immer noch 40 Prozent auf die Waage bringt) wandert regelmäßig durch die Hände jedes guten Bartenders.
Stolz prangt die Jahreszahl 1605 als Ursprungsjahr der Rezeptur auf dem Etikett und verweist darauf, dass angeblich seitdem nach derselben Formel aus über 100 Kräutern und Gewürzen produziert wird. Wie kein anderer Likör ist die grüne Chartreuse zum Shot-Liebling der Bargemeinde aufgestiegen (in Deutschland mit dem Epizentrum Frankfurt am Main). Gleichzeitig führt aber auch für einen Last Word, die komplette Daisy-Familie oder den kraftvoll-fruchtigen Chartreuse Swizzle des griechisch-amerikanischen Bartenders Marcovaldos Dionysos aus San Francisco kein Weg an Chartreuse vorbei. Das Siegel auf der Rückseite der Flasche garantiert, dass der Likör bis heute wirklich von Mönchen produziert wird.
4) Absinth
Nochmal grün: Der ursprünglich aus der Schweiz stammende Absinth ist neben den klassischen Cocktail Bitters vielleicht das Cocktail-Gewürz schlechthin. Lange Zeit aufgrund des hohen Gehaltes an Thujon-Öl verboten und verdammt, hat der Genießer heute wieder die Wahl zwischen einem breiten Angebot hochwertiger Abfüllungen der „Grünen Fee“ mit der bitterwürzigen Note von Wermutkraut und Anis.
Besonders die typisch kreolischen Drinks aus der Frühzeit des Cocktails, etwa aus dem frankophonen New Orleans (aber auch viele wirklich klassische Tiki-Rezepturen) sind undenkbar ohne Absinth, der lange Zeit durch seinen Sprössling Pastis ersetzt werden musste. Neben dem archetypischen Sazerac wandert der grüne Likör aber noch in zahlreiche klassische und zeitgenössische Schöpfungen: Auch der Turf Cocktail oder Harry Craddocks berühmter Corpse Reviver No.2 funktionieren nicht ohne ihn, und der charakteristische „Absinth-Rinse“, also das Ausspülen des Cocktailglases, bevor der eigentliche Drink eingeschenkt wird, gehört heute wieder zu einer Lieblingsbeschäftigung vieler Tresenkünstler.
(Anm.: Im Sinne der Definition ist Absinth kein Likör, da er höchstens 50g Zucker pro Liter enthalten darf. Ein Likör hingegen muss mindestens 100 pro Liter enthalten. Wir entschuldigen uns für den Irrtum, lassen den Text jedoch in seiner ursprünglichen Form bestehen, zumal Absinth durchaus als Zuckerquelle im Drink zum Tragen kommt.)
5) Campari
Zwar gab und gibt es immer wieder Versuche, einen Negroni mit einem anderen Bitterlikör zuzubereiten. Aber irgendwie scheitern sie doch alle. Vor vielen Jahren brachte es Bastian Heuser deutlich zur Sprache: „In einen Negroni gehört Campari. Punkt.“ Deutlicher geht es nicht.
Tatsächlich ist der leuchtend rote Bitter auf der Basis von Orangen und Kräutern über die Jahre von einer Marke eigentlich eher zu einer eigenen Gattung geworden. Negroni, Americano, Campari & Orangensaft oder Campari & Soda – die Firma, die auf der Idee von Gaspare Campari und dem Unternehmergeist seines Sohnes Davide beruht und die heute als Konzern zu den mächtigsten Spirituosenriesen der Welt gehört, braucht sich eigentlich keine Sorgen zu machen. Denn Negronis und Boulevardiers werden immer getrunken. Hinzu kommen spannende Neuschöpfungen wie etwa der Jasmine Cocktail nach Paul Harrington, die zeigen, dass es fatal wäre, den Campari auf seine alten „Lorbeeren“ zu reduzieren. Darauf einen Aperitif?
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