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Der Gibson im Gibson: Eine Erfahrung!

Es gibt Klassiker. Und es gibt Twists. Und dann gibt es Leute wie Marian Beke, die lieber einen Drink komplett, aber respektvoll durchdenken.Über einen akribischen Umgang mit Aromen und die Arbeit an einem wahrlich eigenständigen Signature Drink.

Vielleicht geht es nicht nur dem Autor so: Bei der mittlerweile gängigen Bezeichnung vom „Twist auf einen Klassiker“ kann man sich zweierlei Eindrücken häufig nicht erwehren – einerseits kommt einem der Begriff inzwischen etwas inflationär vor, andererseits fragt man sich teilweise , wo ein Twist aufhört und eigentlich doch irgendwann ein anderer Drink beginnt. Zudem hat die muntere Umarbeitung klassischer Urgesteine manchmal einen etwas hochmütigen Anstrich. Aber das ist Thema für ein anderes Mal.

Einen Weg, der eigentlich weniger mit einem Twist als mit einer inneren Erweiterung eines weltbekannten Cocktails zu tun hat, beschreitet seit der Eröffnung im Januar dieses Jahres der berühmte Londoner Bartender Marian Beke in seinem The Gibson im Stadtteil Islington, bei den MIXOLOGY BAR AWARDS 2017 vor einigen Wochen als „Best New European Bar“ ausgezeichnet. Es handelt sich beim Drink um den – Überraschung! – Gibson.

Doch kein Martini!

„Der Name der Bar stand schon vorher, insofern hatte die Entscheidung, aus dem Gibson Cocktail unseren ‚Signature Drink’ zu machen, nur teilweise mit dem Namen der Bar zu tun“, erklärt der umtriebige Slowake, der in der Zeit vor dem Gibson maßgeblich dazu beigetragen hat, aus dem nur einen kurzen Spaziergang entfernten Nightjar eine Bar zu machen, die von gar nicht mal so wenigen als die beste auf dem Erdball bezeichnet wird. „Ich wollte zunächst den typisch londonerischen Weg gehen, und eine Art Signature Martini entwickeln, aber es zeigte sich, dass das eigentlich ein wenig witzlos ist. Und so kamen wir darauf, uns doch lieber passend zu unserer Bar dem unbekannteren Gibson zuzuwenden.“

Nun mag man einwenden, dass der Gibson eigentlich ja selbst nur einen Twist auf den Dry Martini darstellt: Eben ein sehr trockener Martini, der statt der Zitronenzeste oder Olive eben ein Perlzwiebel als Garnitur erhält. Doch damit mochte sich Beke nicht arrangieren: „Je mehr wir uns mit der Funktionsweise des Gibson befasst haben, umso mehr hat er uns gefesselt. Er funktioniert anders als ein Martini. Es geht beim Gibson viel mehr um Würzigkeit.“

Im Zentrum des Gibson Cocktail stehen die Gewürze – nicht nur vom Gin

Diesem Anspruch wird Beke nun durch seine beeindruckende Version des Gibson Cocktails gerecht. Denn im Zentrum stehen die Gewürze – jene vom Gin als auch die charakteristischen Zusätze beim klassischen „Pickling“, also beim sauren Einlegen von Gemüse: „Schon vor der Entwicklung der Rezeptur war klar, dass wir unseren Gästen zur Begrüßung jeweils ein paar Happen selbst eingelegtes Essiggemüse anbieten – es reinigt den Gaumen und bereitet ihn sehr schön auf das folgende Geschmackserlebnis bei unseren Cocktails vor.“ Für Beke lag es daher nah, Eins und Eins zusammenzuzählen: „Wenn doch unsere ‚Pickles‘ ein wichtiger Teil des Konzepts sind und ein Kernbestandteil des Gibson die eingelegte Perlzwiebel ist, dann muss sich doch das ‚Pickling‘ irgendwie auch in den restlichen Drink übertragen lassen“

Die Idee zur Lösung des Problems ist an sich naheliegend, aber dennoch überraschend: Der trockene Wermut für den Drink wird im Vorfeld mit den typischen Gewürzen infundiert, die auch beim Einlegen zum Einsatz kommen, also vor allem Senfkörner, aber auch Piment, Pfeffer, Nelken, Ingwer, Lorbeer und – quasi als Brückenschlag zum Gin – Koriandersaat. Dadurch wird der Drink, der ohnehin schon in einem recht trockenen Verhältnis von 6:1 angelegt ist, in seiner aromatischen Architektur noch eine ganze Spur maskuliner, erdiger, aber auch komplexer.  Doch Marian Beke wäre nicht der nimmermüde Tüftler, wenn ihm das schon genügen würde, denn noch fehlt ja ein, vielleicht gar der zentrale Bestandteil: die Zwiebel!

Goldene Silberzwiebeln?

„Es hat gedauert, bis wir zufrieden waren“, räumt er ein. Wie akribisch das Team im The Gibson am gesamten Drum-und-Dran arbeitet untermauert die Tatsache, dass schon ab dem späten Vormittag mehrere Personen mit Vorbereitungen und Mise-en-place beschäftigt sind. „Gekaufte Silberzwiebeln schieden natürlich sofort aus. Die Lösung, die wir nun gefunden haben ist zwar aufwendig, aber sie erfüllt führt zu genau dem Ziel, das wir erreichen wollten, nämlich eine Mischung aus pikanten ‚Pickle‘-Noten und einer milden, leicht süßlichen Würze der Zwiebel.“

Daher werden die Zwiebelchen für den Drink doppelt eingelegt: Zunächst in Aceto Balsamico. Danach werden sie gründlich gewaschen, um wieder eine hellere Farbe zu bekommen, wie Beke erklärt. Im Anschluss daran erfolgt der zweite Durchgang in wesentlich schärferem Weißweinessig mit einer ordentlichen Ladung Gewürzen. Allein die Zwiebeln für sich sind bereits ein sehr komplexes Geschmackserlebnis, obendrein natürlich mit einem feinen Biss und schönem Mundgefühl.

„Durch den infundierten Wermut brauchen wir auch keine Cocktail Bitters, wie er mittlerweile wieder in viele Martinis kommt“, meint Beke. „Die Tiefe und Komplexität bringen die Botanicals schon ausreichend mit, ein wenig Frische fügen wir mittels einer kleinen Zitronenzeste zu.“ Serviert wird der Gibson-Gibson dann in einer Martini-Schale aus Nickel, und zwar mit exakt drei Zwiebeln: „Die erste kommt in den Cocktail und bleibt dort erst einmal. Dann trinkt man zwei oder drei Schluck und isst eine der beiden anderen Zwiebeln. Das gleich nochmal. Und dann, nach den letzten zwei oder drei Schlucken, isst man die eiskalte Zwiebel, die noch einen Moment im Cocktail lag.“ Als kontrastierendes Pairing bietet das Team zudem beim Gibson noch ein paar Späne alten Parmigiano Reggiano, der durch sein „Umami pur“ (Beke) den Gaumen jedes Mal neu auf den Drink einstimmt.

Der Gibson von Marian Beke ist sicherlich kein Drink, den man mal eben so schnell zuhause adaptiert. Für alle, die das dennoch überlegen, sei aber auch gesagt: So schwer ist das mit dem Einlegen der Zwiebeln gar nicht. Und beim Wermut kann man in kleinen Mengen tüfteln. In jedem Fall ist das, was Marian Beke und sein Team als Hauscocktail dort kreiert haben, nicht einfach ein platter Twist. Sondern Weiterentwicklung, Bereicherung und Demonstration dessen, was man als ganzheitliches Nachdenken über einen Cocktail bezeichnen kann. Einen gleichzeitig klassischeren und eigenständigen Hauscocktail kann man sich nur schwer vorstellen. Und da durch das fallende Pfund ja reisen auf die Insel momentan auch nicht so ins Kontor schlagen, sollte das The Gibson mit seinem Gibson bei vielen Bartendern ganz oben auf der Liste stehen.

Credits

Foto: The Gibson Bar, London

Comments (1)

  • Goncalo

    „Es gibt Klassiker. Und es gibt Twists“
    „inflationär … wo ein Twist aufhört … etwas hochmütigen Anstrich. Aber das ist Thema für ein anderes Mal“

    das andere Mal ist gerade jetzt „Ein Drink ist ein Drink“ Und „Eine Bar ist eine Bar“
    Der Gibson ist eine „Martini-Variante mit einer Perlzwiebel“

    Drink Drink
    Sicher kann auch dieser Drink zur Perfektion ausgearbeitet werden. Und mit allen erdenkbaren Feinheiten ausgearbeitet werden. Um aus einer plumpen Bestellung in einem schäbigen Pub zu einem Ausstellungsstück im MoMa zu mutieren. „It is just a drink. Sir“

    Bar Bar
    Das Wirtshaus bedient seine Gäste. Auch die „ungehobelten“ Bier-Trinker oder „unentschlossene“ Gin-Tonic-Besteller. Ohne als anmaßender Wirt nach den Präferenzen des Wacholders zu fragen; um den hilflosen Gast im zweiten Zug mit dem Tonic „Seiner“ Wahl Matt zu setzten.

    Hochmut war die richtige Wortwahl im Anfangs-Paragraph.
    Mit der Entwicklung der Barkultur in den vergangenen zehn Jahren. Und unter Berücksichtigung der Status-Gestressheit in London, schlage ich noch ein weiteres Wort vor:

    presumptuous – überheblich, anmaßend, vermessen.

    Und jetzt ein Gibson; ganz Anders diesmal.
    G.

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