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Oxydised Negroni

Remy Savage experimentiert nun mit Watt. Das Ergebnis ist ein Negroni mit Licht-Geschmack

Bier-Liebhaber fürchten den so genannten Lichtgeschmack als Fehlton, Rémy Savage sucht ihn beim Oxydised Negroni bewusst. Der Pariser Bar-Kreative, für Salz im Drink und Cocktailkarten ohne Worte bekannt, experimentiert mit einer Variante der Reifung: Watt statt Fass.

Fermentiert wird jetzt allenthalben. Und während der unter Sauerstoffabschluss ablaufende Umwandlungsprozess durch Mikroorganismen auch immer mehr Bartender fasziniert, schlägt das Trend-Pendel auch wieder in die Gegenrichtung aus. Und zwar passender Weise in der Stadt des Foucaultschen Pendels, Paris. Während sein Landsmann Louis Pasteur Fermentation als „Leben ohne Luft“ definierte, interessiert Rémy Savage dort nämlich der gegenteilige Prozess: Wie wirkt (zu viel) Sauerstoff auf alkoholische Getränke?

Oxidier Dir was: Stehlampe statt Fass

Dialektisch geschult, dachte Savage, der einst Philosophie studierte, das Konzept des Barrel Ageings weiter. Wenn das Ergebnis bei der Mikro-Oxidation im Fass immer ein wenig unterschiedlich ausfällt, wie wäre es, das Holz doch ganz wegzulassen? Wir Menschen werden doch auch alt, ohne dass man uns in ein Barrique sperrt. Vom Hautschrumpeln und Pigment-Flecken war es dann ein kurzer Weg, der zum Experiment des quirligen Remy führte, den Oxydised Negroni. Dass seine Heimatstadt noch dazu seit dem 17. Jahrhundert als „Ville-lumière“, Stadt des Lichts, bekannt ist, passte natürlich vorzüglich zur Versuchsreihe rund um den Oxydised Negroni, bei der mit einer 60 Watt-Birne „gereift“ wird. Zumal diese Bezeichnung auf den Polizeichef von Ludwig XIV, Gilbert Nicolas de la Reynie, zurückgeht, der die flächendeckende Straßenbeleuchtung anordnete. Und de la Reynie wiederum war Zeitgenosse von Claude Charlot, nachdem die Rue Charlot benannt ist, in der sich Remys Little Red Door befindet.

Lauter Zufälle, aber solche, die zum Experiment mit dem „electric light ageing“ passen, das dort nachzukosten ist. Voraus geht dem Lichtgeschmack die Analyse der Oxidation bei Rotweinen, vor allem was die Entstehung von Tanninen (Gerbstoff) während dieses Prozesses betrifft. „Wir wollen das zu unserem Vorteil nutzen“, schildert Savage die alchimistisch anmutende Idee, mit der natürliche Vorgänge nachgebaut werden sollen. „Ich mische dafür verschiedene Rotweine und Weinblätter, die besonders schnell oxidieren“, lässt sich der Little Red Door-Chef auch nicht ganz genau in die Karten schauen. Präziser wird es, wenn er den nun folgenden Arbeitsschritt für seine „Spontan-Oxidation“ beschreibt: 48 Stunden bringt das Gemisch unter der 60 Watt-Lampe zu, ehe es für die weitere Verwendung abgeseiht wird.

Der Oxydised Negroni: Die Licht-ung des Weins

Inspiriert wurde der Prozess von der Wermut-Herstellung, „die ja auch Weine am Rande ihrer Oxidation nutzt und dann mit Kräutern und Gewürzen ihre Haltbarkeit verlängert“. Könnte man diesen Prozess genau kontrollieren, so der rationale Ansatz Remy Savages, dann fielen die Botanicals als Stabilisatoren, aber auch als Geschmacksträger weg. Das Ergebnis, sozusagen ein weiniger Pseudo-Wermut (die Weinblätter ersetzen das Wermutkraut als einzigen zusätzlichen Aromageber im Wein), schreit natürlich nach einem Negroni mit Lichtgeschmack, dem Oxydised Negroni. Und genau diesen Oxydised Negroni serviert man auch in der Stadt des Lichts.

Das Negroni-Drittel, das aus der Höhensonne kam, verändert den Drink merklich. Dass der Wermut trockener wird durch die Bestrahlung, mag man als Einbildung oder angewandte Physik abhaken. Check. „Die Tannine”, gibt der Franzose den Weinkenner, „haben aber eine Geschmackskomponente mehr.” Für Savage äußert sich diese Wärme-Behandlung beim Gerbstoff des Rotweins „in einem fast Umami-artigen Tiefgang”. Oder, in aller Kürze vom Pariser Daniel Düsentrieb formuliert: „It is super-awesome”. Merci, Remy!

Credits

Foto: Foto via Tim Klöcker.

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