TOP

Produkt & Marke: Der alte Zwist

Wo und wie wird ein Produkt am sinnvollsten bewertet? Unter Fachleuten in einer sterilen Blindverkostung oder doch als Gesamtmarke mit allen Features und dem Design? Diese große Frage beschäftigt die Bar spätestens seit ihrer Wiederauferstehung. Und auch wenn es die eine Antwort nicht geben kann, hat sich MIXOLOGY ONLINE erneut daran gemacht, die große Frage nach Produkt & Marke zu stellen. Das Ergebnis: Eigentlich nur noch mehr Fragen. Aber auch die muss man erst einmal entdecken!

Jeder kennt diesen Moment: Man nimmt Platz am Tresen, der Tag war lang und man mag alles – nur nicht überlegen, was jetzt auf den Tisch kommen soll. Bloß kein Blick in die Karte! Ein Gin & Tonic soll es sein, und zwar ein ganz bestimmter, der liebste, der nicht zu stark herausfordert, aber dennoch Spannung besitzt. Also raus mit dem „Brand Call“, der ganz spezifischen Bestellung: Bitte einen Gin X mit Y-Tonic!

Was sich nun ereignet, ist im Prinzip reine Psychologie. Der Bartender nimmt die gewünschte Ginflasche aus dem Rückbüffet, die Eiswürfel klicken und klacken im Glas, der Gin senkt sich auf sie, die Tonicflasche wird zischend geöffnet. Und spätestens in dem Moment, in dem Glas und Fläschchen auf der Serviette vor den eigenen Augen zum Stehen kommen, fühlt man sich angekommen. Weil die Flasche bekannt ist, ihre Farbgebung, ihre Form, ihr Gewicht – sogar die Beschaffenheit des Glases. Ja, das Glas einer Fentimans-Flasche fühlt sich anders an als das vom Indi-Tonic. Was da anklopft (und schon vor der Bestellung angeklopft hat), ist das Limbische System im Gehirn, also jenes Areal, das beispielsweise Kaufentscheidungen eine emotional-sinnliche Komponente beimischt.

Doch was nun, wenn ein Schelm etwas anderes in die Flasche gefüllt hat? Merken wir das dann eigentlich? Jeder Bartender weiß aus eigener Erfahrung: nein. Den Test, bei dem man einem Probanden zwei Proben derselben Substanz hinstellt und derjenige ganz klar zwei völlig verschiedene Sachen schmeckt, dürften die allermeisten Tresenkünstler bereits erlebt haben.

Die Sicherheit des Etiketts

Trotzdem schaffen Marken Vertrauen und Sicherheit. Sie sollen es zumindest. Das ist der Grundsatz allen Marketings, aller Werbung und Ursache dafür, dass Hersteller überhaupt irgendwann anfingen, ihren Namen auf ein Produkt zu schreiben. Denn was hat einen höheren Wiederkennungswert: Die Beschriftung „Der beste Vodka Schwedens“ oder die ikonische Stilisierung „Absolut Vodka“? Der Slogan „Gute Zigarette“ oder der Wahlspruch „Lucky Strike – sonst nichts“? Eigentlich klar.

Marken können beliebig entwickelt werden. Gleichzeitig ist die Suche des Menschen nach bekannten, verlässlichen Dingen allerdings auch ein urzeitlicher Instinkt nach Gefahrlosigkeit: Schon unsere Vorfahren brachten sich gegenseitig bei, wo man am besten jagt und sammelt, wo der Honig vielleicht besser schmeckt oder wo er mit weniger Schmerzen beschafft werden konnte. Oder einfach: Wo er am nahrhaftesten war. Man nannte das zu Zeiten von Ötzi noch nicht „Brand“ oder „Geschützte Herkunftsbezeichnung“, aber es ist im Prinzip das gleiche.

Doch Marken können auch am Ziel vorbeischießen, können Selbstzweck werden und mit viel finanziellem Aufwand ein mediokres Produkt verschleiern. Ein Produkt, das einer guten Bar vielleicht nicht würdig ist, sich aber durch ein luxuriöses Packaging den Anstrich einer Qualitätsware geben möchte. Das Beispiel Einzelhandel ist zwar mit der Bar nur in Teilen vergleichbar, dennoch: Ein Konsument, der eine Ware sucht, verbringt laut Untersuchungen im Schnitt zwischen 1,3 und 1,6 Sekunden mit der Kaufentscheidung – da bleibt keine Zeit, sich mit Inhaltsstoffen oder ähnlichem zu befassen. Den Ausschlag geben zwei Faktoren, nämlich Aussehen und Preis. Und auch in der Bar kann das passieren: Stehen mehrere neue, dem Gast unbekannte Gins zur Debatte, fällt die Wahl womöglich einfach auf die Flasche, deren Design dem Gast am meisten zusagt. Gefällt das Markenerlebnis dann beim Trinken, kann der Gin schnell zur neuen Lieblings-Brand werden. Auch, wenn der Bartender sich vielleicht gewünscht hätte, dass die Wahl auf eine andere Marke fällt.

Blindverkostung – die gerechte, neutrale Justitia? Oder nur ein kleiner Ausschnitt?

Damit aber mittelmäßige oder gar schlechte Produkte sich nicht durchsetzen, gibt es Blindverkostungen. Denn die Blindverkostung schiebt all das beiseite, worüber sich Werbemenschen und Produktentwickler, Marketingstrategen und Vertriebler den Kopf zerbrechen: das Drumherum. Die Blindverkostung lässt das Produkt als eigene Entität für sich sprechen – mit Aroma, Geschmack, Textur. Zumeist unter sehr neutralen, wenn nicht gar sterilen Bedingungen. Und siehe da: Sündhaft teure Ultra-Premium-Marken landen abgeschlagen im unteren Mittelfeld, während ein Discounterprodukt klammheimlich und knapp am Siegertreppchen vorbeischrammt. Solche Phänomene kennt man nicht nur von Spirituosen, auch die Weinwelt weiß um derlei Skandälchen – wie etwa in den USA, wo in Riesen-Tastings mit unzähligen Sommeliers schon mehrfach Weine aus der Trader Joe’s-Kette ein ganze Reihe Mega-Chardonnays aus dem Nappa Valley hinter sich gelassen haben.

Aber: Die Blindverkostung ist im Prinzip eine streng empirische Disziplin, indem sie versucht, die Fremdeinflüsse auf ein Produkt zu minimieren und im Anschluss ein bestimmtes Monitoring durchzuführen. Doch gerade durch ihre Beschaffenheit klammert die Blindverkostung viele Aspekte aus, sie begrenzt sich durch die Reduktion der Parameter auch in ihrer eigenen Reproduzierbarkeit: In keiner Bar wird ein Produkt jemals so verkostet wie in einer Blindverkostung, nicht einmal annähernd. Man kann in einer Bar verkosten, keine Frage. Man kann dort auch blind verkosten. Aber die Situation ist eine völlig andere. Denn die Blindverkostung klammert nicht nur die „Marke an sich“ zugunsten des reinen Produktes aus, sie tut das gleiche mit dem Konsumenten.

Der Konsument „verkostet“ nicht …

Dieser Konsument nimmt Aromen und Geschmäcker jeden Tag anders wahr: In zahlreichen Studien ist nachgewiesen worden, dass nicht nur die greifbaren örtlichen Faktoren wie Licht, Farbe des Raumes, Lautstärke und Beschaffenheit der Musik oder Nebengerüche (Raucherbar?!) starken Einfluss auf die Wahrnehmung haben, sondern auch persönliche Befindlichkeiten wie Stimmung, Tageszeit, was man zuletzt gegessen hat oder mit wem man einen Drink nimmt. Eine Blindverkostung hat dort für viele Bargäste kaum Relevanz. Sicher: Vielleicht hat man sein Lieblingsprodukt einst auf Basis einer Blindverkostung entdeckt oder es ist einem durch einen Bartender empfohlen worden, der es wiederum selbst blind verkostet oder davon gelesen hat. Aber danach ist das Produkt mit seinen Markenfeatures abgespeichert. Im abendlichen Bargeschäft gibt das Gesamtprodukt einem Gast wesentlich mehr Sicherheit als es der Verweis auf eine Blindverkostung je könnte.

Ist die Blindverkostung am Ende also eher ein vorgeschaltetes Instrument für Profis, eine Instanz, die noch vor dem Einlisten eines Produktes steht? Spricht man mit dem Gast am besten gar nicht über klinische Tasting Notes, sondern reicht ihm am besten schlussendlich eher das fertige Produkt weiter, nachdem man es selbst für gut befunden hat? Eine schwierige Frage, weil sie wiederum zwei Kardinalfragen nach sich zieht: Ist der Gast zu unmündig, um mit Blindverkostungen konfrontiert zu werden? Und: Ist es überhaupt die Aufgabe des Bartenders und Gastgebers, zu missionieren, wenn doch der Gast an sich schon eine Vorliebe geäußert hat?

… sondern er genießt

Für Arash Ghassemi ist diese Frage nicht mit einem Satz zu beantworten. Der Bartender mit iranischen Wurzeln, der seit kurzem die Leitung der Berliner Bar-Institution Green Door innehat, kennt sich als diesjähriger Finalist der Bacardi Legacy-Competition (bei der eine Promotion-Phase Bestandteil des Wettbewerbs ist) nicht nur mit Drinks, sondern auch mit Markenimage als Kommunikationsinstrument aus. Zudem ist er seit einiger Zeit regelmäßiger Teilnehmer im MIXOLOGY TASTE FORUM (MTF), das alle zwei Monate in Blindverkostungen Produkte kategorieweise prüft und bewertet. Trotz dieser umfänglichen Erfahrungen setzt Ghassemi erst einmal einen anderen Fokus: „Ich halte mich da als Gastgeber mit meiner persönlichen Meinung im ersten Augenblick zurück. Wenn ich einen markenfixierten Gast vor mir habe, bei dem das Marketing funktioniert hat, dann werde ich ihm niemals zwingend ein Produkt vor die Nase halten, das ich aufgrund meiner eigenen Erfahrungen aus Verkostungen für besser halte.“

„Ich halte mich da als Gastgeber mit meiner persönlichen Meinung im ersten Augenblick zurück. Wenn ich einen markenfixierten Gast vor mir habe, bei dem das Marketing funktioniert hat, dann werde ich ihm niemals zwingend ein Produkt vor die Nase halten, das ich aufgrund meiner eigenen Erfahrungen aus Verkostungen für besser halte.“ – Arash Ghassemi (Green Door, Berlin)

Für Ghassemi zählt also als Richtgröße im regulären Geschäft zunächst einmal der Gast, der sich nach der Verlässlichkeit einer spezifischen Marke sehnt – dass er in seiner Bar nur Produkte hat, hinter denen er aufgrund professioneller Bewertung steht, ist für ihn ohnehin klar. Warum also dann unnötig in die Gepflogenheiten des Gastes hineingrätschen? Trotzdem weist er auf den Bartender als beeinflussende Instanz hin, allerdings nicht zwingend und nur in bestimmten Fällen: „Im Laufe der Zeit entwickelt man ein Gespür für die Gäste, die zwar Vorlieben haben, aber auch aufgeschlossen für Anregungen sind.“ Und bei genau jenen, meint er, kann der Bartender dann eben doch auf seine spezifischeren, detaillierteren Erfahrungen aus Blindverkostungen zurückgreifen, denn „da kommt es dann auch schon mal vor, dass ich einen Drink, der eigentlich auf Vodka oder Gin basiert, lieber mit einem würzigen lokalen Korn zubereite, bei dem ich weiß, dass er darin funktioniert.“

Für Arash haben sich also beide Herangehensweisen, je nach Gast, als sinnvoll erwiesen: Einerseits das Vertrauen auf die Synergien eines kommunizierten Markenimages, andererseits – bei den „richtigen“ Gästen – durchaus das Setzen auf die spezielle Kompetenz des Bartenders als zusätzliche Station im Vertrauens-Zirkel. Der Bartender, der sich beruflich mit der Qualität von Spirituosen und anderen Barprodukten auseinandersetzt, wird hier zur wichtigen Stimme und auch zum Einflussnehmer. Ohne Erlebnisse aus Blindverkostungen könnte er das nicht. Er ist die Stimme, die dem Gast im Eventualfall sagt: Diese Flasche hier ist vielleicht nicht der absolute Hingucker, aber bei einer Verkostung fanden ihn die meisten Teilnehmer klar am besten. So steht bei ihm auch fest, wo für ihn die Leitlinie bei der Einlistung neuer Produkte liegt: „Definitiv die Blindverkostung! Neben dem Produkt gibt es ja nur die Verpackung. Anders als bei vielen Nahrungsmitteln geht es bei Spirituosen am Ende um keinen weiteren ästhetischen Faktor. Am Ende geht es um Geschmack.“

Der Zauber der schönen Flasche

Mit dieser Auffassung steht Ghassemi nicht alleine da, sowohl in Bezug auf die wirklichen Produktmerkmale als primäres Kriterium, aber auch mit Blick auf die Aspekte der Markenbildung. So meint etwa sein Berliner Kollege Konrad Friedemann, Bar Manager im Hotel Monbijou am Hackeschen Mark in Berlin-Mitte und ebenfalls MTF-Mitglied: „Tatsächlich hoffe ich, dem Inhalt mehr Bedeutung zu geben als der Verpackung. Das funktioniert allerdings, denke ich, in der Realität nur bedingt. Ich kann mich an Produkte erinnern, die ich in der Blindverkostung großartig fand, die aber aufgrund unschöner Verpackung und/oder schlechtem Image für die Bar nicht in Frage kamen.“

Dem Spannungsverhältnis zwischen großen, bekannten Marken mit gutem Ruf und neuen, kleinen Qualitätsspirituosen versucht Friedemann durch ein besonnenes Gleichgewicht zu begegnen: „Bei uns in der Bijou Bar versuche ich, eine Balance zwischen populären ‚Crowdpleasern’ und beratungsintensiven Nischenprodukten zu halten. Gerade da nutze ich dann beim Servieren einer kleinen Verkostungsprobe auch die Gelegenheit, darauf hinzuweisen, dass manche Firmen einfach nicht das Budget für aufwendiges Packaging und Design haben.“ Für den Berliner ist damit schon klar, dass es ein kategorisches Sich-Verschließen gegenüber Marketing-Aspekten wohl nur unter ganz speziellen Bedingungen geben kann, und meint verschmitzt: „Am Ende des Tages erfreue ich mich aber genauso wie meine Gäste natürlich auch an schönen Flaschen, und bin somit ein ‚Opfer‘ des Marketings.“

„Bei uns in der Bijou Bar versuche ich, eine Balance zwischen populären ‚Crowdpleasern’ und beratungsintensiven Nischenprodukten zu halten. Gerade da nutze ich dann beim Servieren einer kleinen Verkostungsprobe auch die Gelegenheit, darauf hinzuweisen, dass manche Firmen einfach nicht das Budget für aufwendiges Packaging und Design haben.“- Konrad Friedemann (Hotel Monbijou, Berlin)

Brand Calls & Craft: Der junge Osten und die Zwei Gesichter Chinas

Vielleicht noch stärker ausgeprägt ist dieses Muster derzeit in Asien, wie Miguel Fernandez Fernandez zu berichten weiß, der früher Barchef im Frankfurter Dauerbrenner Roomers war und mittlerweile seit einem knappen Jahr als Bar Manager der Ozone Bar im Ritz Carlton Hongkong tätig ist. Fernandez verweist darauf, dass das Markenbewusstsein unter chinesischen Konsumenten noch immer sehr hoch ist, auch wenn sich daran mittlerweile durchaus etwas ändert: „Wir erleben zwar massive ‚Brand Calls“, die Gäste hier werden aber auch immer aufgeklärter. Gerade weil der Markt extrem kommerziell ist, suchen manche bewusst nach dem Produkt, das ihre Freunde noch nicht kennen. Wir versuchen daher auch durchaus, kleinen, qualitativ wertvollen Marken eine Plattform zu geben.“

„Wir erleben zwar massive ‚Brand Calls“, die Gäste hier werden aber auch immer aufgeklärter. Gerade weil der Markt extrem kommerziell ist, suchen manche bewusst nach dem Produkt, das ihre Freunde noch nicht kennen. Wir versuchen daher auch durchaus, kleinen, qualitativ wertvollen Marken eine Plattform zu geben.“ – Miguel Fernandez Fernandez (Ozone Bar, Hongkong)

Gleichzeitig kann sich der Bar Manager auch nicht den wirtschaftlichen Gegebenheiten entziehen: „Wir sind ja in unserer Bar das, was man als ‚high volume’ bezeichnet. Für größere Promotions brauche ich auch einen finanzstarken Partner, der selbst für PR und ein Netzwerk sorgen kann“, räumt er offen ein. Zählt dann am Schluss doch das Image und die monetäre Kraft mehr als das Produkt und dessen Qualität an sich? „Nein“, meint Fernandez, „letztendlich nehmen wir ein Produkt, zu dem wir nicht stehen, auch nicht ins Portfolio auf – sogar wenn Gäste danach fragen. Generell ist der Geschmack am Ende das Wichtigste an einem Produkt. Und vielleicht“, schließt er seine Ausführungen, „haben wir hier sogar den Luxus, dass der Markt noch nicht so ‚verdorben‘ ist, eben weil er jung ist.“ Ein interessanter Aspekt, der dem Bartender die Kompetenz zuspricht, vom On-Trade-Level aus mehr Einfluss darauf zu nehmen, welche Spirituosen überhaupt bei qualitätsbewussten Kunden landen.

Der Vergleich zwischen Produkt & Marke ist schief!

Wir sehen: Am Ende sind weder der ausschließliche Bezug auf ein Bündel an Marken-Merkmalen noch der reine Verweis auf die Ergebnisse von Blindverkostungen im Umgang mit dem Gast der Weisheit letzter Schluss. Vielmehr zeigt sich, welchen Zweck das Tool „Blindverkostung“ in der Bar-Branche einnimmt: Sie ist zunächst ein Werkzeug für alle jene, die sich beruflich mit Spirituosen und Cocktails auseinandersetzen. Für das Gespräch mit dem Gast scheint sie jedoch als alleinige Grundlage zu neutral, zu weit entfernt vom Erlebnis Barbesuch und auch – wenn es auch so manchen schmerzt – zu weit weg vom Genussgedanken. Das sensorische Aufschlüsseln unter Laborbedingungen macht zweifellos Freude, aber es gehört nicht in eine Bar. Gefragt ist beim Transport solcher Ergebnisse an den Konsumenten vor allem Fingerspitzengefühl in der Kommunikation: Wie viel trockene Fakten „verträgt“ jeder individuelle Gast? Wie hoch ist der Anspruch an die objektive Produktqualität im Vergleich zum umkomplizierten Genuss? Bis zu welchem Maße kann und darf ein Bartender auf Markenfeatures und Packaging als Verkaufsinstrument zurückgreifen, ohne ein schlechtes Gewissen haben zu müssen?

Dies sind einige Fragen, die sich auftun und die wohl jeder im einzelnen Fall sowie im Anbetracht seines spezifischen Barkonzepts erörtern und beantworten muss. Auch andere Aspekte tun sich auf, quasi in die andere Richtung: Ist ein Barteam von einem Produkt eigentlich vollkommen überzeugt, während das Produkt immer bekannter wird und sich auch jenseits der Bar verbreitet, listen manche Bars diese Produkte wieder aus – mit der Begründung, das Produkt verlöre an Distinktionsmöglichkeit. Eine immer wieder schwelende Debatte in der Szene: Warum trennt sich eine Bar von einem Produkt, das im Prinzip alle Bedingungen erfüllt? Nur weil es nun auch im Supermarkt zu haben ist? War dann vorher wirklich das Produkt an sich von primärer Bedeutung oder doch auch hier – im anderen Sinne – die Marke mit all ihren Begleiteigenschaften?

Man könnte Bücher darüber schreiben. Wahrscheinlich mehrere. Und man kann die Einsicht erlangen, dass es wohl schwierig ist, das „Produkt“ aus der Blindverkostung mit der „Marke“ im Rückbüffet zu vergleichen. Weil das eine dem anderen vorgeschaltet ist. Weil es am Ende möglicherweise gar zwei ganz verschiedene Dinge sind.

Credits

Foto: Artikelbild via Shutterstock. Post. Tim Klöcker.

Comments (1)

  • schlimmerdurst

    Faszinierender Artikel. Der Grund, warum einem etwas schmeckt, ist doch höchst individuell. Auch wenn das viele Puristen und Qualitätsfanatiker erschrecken dürfte: Persönlich genieße ich ungern blind einen Schnaps, sondern lieber ein Gesamtpaket. Vom optischen Eindruck der Flasche und des Glases, über den akustischen Eindruck des Plopp! des Korkens, des Gluckern beim Eingießen und dem eventuellen Klimpern von Eis, bis hin zum Sinnieren über Sinn und Unsinn der Historie und des Marketings einer Marke. Blindverkostungen sind was für Techniker, für Analysten. Ich bevorzuge den Rundumgenuss, den ich bei einer Blindverkostung nicht bekomme. Für mich kann ein gutes Gesamtpaket (damit meine ich natürlich nicht Marketingblabla!) viel ausgleichen. Nicht immer und alles, aber hin und wieder schon.

    reply

Kommentieren