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Die Geschichte des Cocktails Teil 8: Der Princeton Cocktail (1895)

Der Seelbach bleibt der Seelbach!

Und plötzlich ist der Klassiker ein Junior: Der Seelbach Cocktail stammt nämlich eben nicht aus dem Jahre 1917, sondern ist rund 80 Jahre jünger. Über den Umgang mit einem Rezept, das eigentlich nichts dafür kann. Und eine Mahnung an die schreibende Zunft.

Es war durchaus ein Paukenschlag, der sich da am Montagabend nach europäischer Zeit in der Barwelt vollzogen hat. Adam Seger, seinerzeit Restaurant-Manager im Seelbach Hotel in Louisville, Kentucky, der im Jahre 1995 behauptete, die Rezeptur des angeblich zwischen 1912 und 1917 entwickelten Seelbach Cocktails gefunden zu haben, hat gegenüber dem Journalisten Robert Simonson, der unter anderem regelmäßig für die New York Times schreibt, eingeräumt, dass das Rezept kein Klassiker ist. Vielmehr habe Seger selbst das Rezept entwickelt und dann als wiederentdeckten Hauscocktail des mondänen Grand Hotels aus der Südstaatenmetropole verkauft.

Seelbach: Die Entzauberung, die Entklassifizierung eines Klassikers?

Diese Tatsache fasste Simonson in einem Artikel auf der Website der Times zusammen, natürlich ging der Beitrag innerhalb der Bar- und Spirituosenszene viral – schließlich ist der Seelbach zwar kein tausendfach verkaufter „Crowdpleaser“ (denn dafür ist er viel zu kantig), aber gerade unter Bartendern ein aufgrund seiner komplexen Aromatik überaus geschätzter Champagner Cocktail. Sein prägnantes Aromenprofil verdankt der Seelbach nicht zuletzt der mehr als gesunden Dosis von 14 Dashes Bitters, auch dies ein Umstand dafür, dass Segers Schilderungen als glaubhaft angenommen wurden. War doch die Verwendung strenger Würztinkturen nach Herzenslust vor hundert Jahren noch wesentlich verbreiteter als heutzutage. Doch warum nahm der damals noch vergleichsweise junge Adam Seger überhaupt an, eine solche Story sei nötig, um seine Kreation zu promoten?

„Ich war niemand“, meint Seger gegenüber Simonson in Bezug auf seinen damaligen Status, „ich hatte noch keinerlei Anerkennung in der Barwelt.“ Aus der ergebnislosen Suche nach einem früheren Hauscocktail des Hotels zog Seger die Konsequenz, dass es an ihm sei, diesen Drink zu entwerfen und als alte Rezeptur an den Mann zu bringen. Dazu unterfütterte er den Cocktail mit einer humorigen Entstehungsgeschichte, die im wesentlichen einen handwerklichen Fehler eines trotteligen Bartenders enthielt.

Ob sich Segers heutige Stellung in der Branche nun wirklich auf seine „kreative“ Herangehensweise in Sachen Seelbach Cocktail gründet, ist natürlich eine Mutmaßung. Jedenfalls ist er mittlerweile definitiv kein „niemand“ mehr – nach seinem Ausstieg aus dem Seelbach im Jahre 2001 entwickelte er sich zu einer der führenden Figuren der New Yorker Barszene, neben seiner Beteiligung an Hum Spirits ist er seit Jahren als Consultant aktiv und war zuletzt in die Eröffnung des Tuck Room im iPic-Kino involviert. Ob das alles an einer fingierten Cocktailherkunft liegt? Wohl kaum. Zu weiteren Beweggründen, und ob er meint, dass die Story wirklich zu seinem Aufstieg beigetragen hat, wollte sich Seger in der Kürze der Zeit gegenüber MIXOLOGY nicht äußern.

Die Wut bleibt – zum Glück – aus. Dafür ist Szene zu souverän.

Viel wichtiger ist indes die Tatsache, dass die Offenbarung von Segers, nennen wir es einmal Lüge kaum Entrüstung oder Wut, sondern vielmehr scherzhafte Reaktionen hervorgerufen hat. Die meisten Posts, die sich mit dem „Seelbach-Gate“ befassen, zeigen eine gesunde Ruhe und Gleichmut darüber, dass man sich offenbar kollektiv hat verladen lassen. Ein gesunder Tenor, den etwa auch Camper English in seinem Statement auf Alcademics äußerte, war die simple Feststellung, dass doch wahrscheinlich fast jeder Bartender einem Gast schon einmal eine Geschichte aufgetischt hat, um einen Drink zu verkaufen. Und Gary Regan, der seinerzeit der erste gewesen ist, der sich von Seger hat täuschen lassen, bringt es MIXOLOGY gegenüber augenzwinkernd auf den Punkt: „Die wichtigste Aufgabe eines Bartenders ist es doch, die Leute gut zu unterhalten – und das ist Adam allemal gelungen!“

Doch Spaß beiseite: Wird sich durch das Bekanntwerden einer Fake-Historie etwas an der Beliebtheit des Drinks ändern? Wird die Popularität leiden? Wird aus dem Seelbach nun ein „anderer“, womöglich weniger wertiger Drink? Wie die meisten sieht Regan eher das Gegenteil als wahrscheinlich an: „Meine Wahrnehmung des Drinks hat sich dadurch nicht im Geringsten geändert – ich war schon damals, in den 1990ern, ein klein wenig skeptisch in Bezug auf die Hintergrundgeschichte, aber es gab damals noch lange nicht die heutigem Möglichkeiten, die Quellen zu überprüfen. In unser Buch aber haben wir den Drink nicht der Geschichte halber aufgenommen, sondern, weil nur der Rezeptur halber.“

Ein kleiner Mahnruf an die flüssigen Schreiber

Doch mit der problematischen Quellenlage spricht Regan einen wichtigen Punkt an, der auch Camper English in dessen Stellungnahme beschäftigt und der die gesamte schreibende Bar-Zunft zu ein wenig Nachgrübeln anregen sollte: Nicht alles, was irgendwo erzählt wird, stimmt. Und noch wichtiger: Auch, wenn Gesagtes den Weg in ein Buch oder eine Zeitschrift geschafft hat, wird es dadurch nicht richtiger. „Im Nachhinein muss ich natürlich zugeben: Mardee und ich hätten damals gründlicher hinterfragen müssen, was es mit Adams Geschichte auf sich hat. Sie ist nett, aber wir hätten sie nicht so unkritisch übernehmen dürfen“, meint Regan, und English pflichtet quasi bei, wenn er meint, dass „ich natürlich nicht glücklich damit bin, zur Verbreitung von Fehlinformationen beigetragen zu haben. Ich bin ein Autor, der hart dafür arbeitet, solche Fehler zu vermeiden.“ Er nimmt damit Bezug auf einen Artikel, den er für die Ausgabe 5/2012 für MIXOLOGY verfasst hat und der im deutschen Sprachraum viel Beachtung gefunden hat. Ebenso ist Marco Beiers Online-Beitrag von 2013 natürlich demselben Irrtum aufgesessen.

Die Entwicklung in der Seelbach-Sache ist keine tragische, wie Camper English sich ebenfalls erlaubt anzumerken: „Die Cocktailgeschichte ist ein ‚bewegliches Ziel’. Vor allem aber ist sie aber zum Glück keine Nuklearwissenschaft.“ Bei aller Ernsthaftigkeit ist Bar-Journalismus auch mit hohem Anspruch noch eine andere Disziplin als der klassische Journalismus, wie ihn beispielsweise die New York Times sinnbildlich praktiziert. Zum Glück gibt es heutzutage Spezialisten wie Robert Simonson, die mit ihrer Kompetenz eine neue Nuance in die Brance bringen.

Dennoch ist der Seelbach-Fall ein Zeichen an Journalisten und Buchautoren, dass die klassische Recherche teilweise zu kurz kommt. Ein Zeichen dafür, dass man eine Story stets einen Moment sacken lassen und gegebenenfalls hinterfragen sollte, bevor man sie übernimmt. Es ist interessant, bemerkenswert und auch ein klein wenig fad, dass ausgerechnet der geschätzte Ted „Dr. Cocktail“ Haigh, der durch die Aufnahme der Seelbach-Story in sein vielbeachtetes Buch „Vintage Spirits & Forgotten Flavors“ (2004) maßgeblich zur Popularisierung des Seelbach Cocktails beigetragen hat, sich bislang noch nicht zu der Causa geäußert hat. Auch er scheint offenbar „nur“ von Regan abgeschrieben zu haben. Ebenso gibt er nicht den korrekten Schaumwein an, denn laut Seger sollte es sich dabei um den in den USA beliebten Korbel Brut gehandelt haben – nicht um Champagner. Wobei hier niemandem eine „Schuld“ zugeschrieben werden soll, wie es in den zwei zurückliegenden Tagen in den sozialen Medien durchaus auch in Richtung Journalismus geschehen ist.

Der Seelbach Cocktail bleibt!

Am wichtigstens ist jedoch: Der Seelbach Cocktail wird hoffentlich bleiben. Denn es wäre auch ziemlich gemein, den Drink für eine Story abzustrafen, für die er gar nichts kann. Dafür ist er viel zu gut, viel zu eigenständig und zu charakterstark (dazu mehr in unserer kommenden Ausgabe 6/2016). Er bleibt der Hauscocktail dieses ehrenwerten Stadthotels. Schließlich ist er ja auch wirklich dort entstanden. Wer weiß – vielleicht bekommt er ja sein eigenes Verb? Wenn jemand an der Bar angeschwindelt wird, könnte das vielleicht in Barkreisen in wenigen Jahren mit „to seelbach somebody“ belächelt werden. Der Seelbach ist zwar nun kein Klassiker mehr, sondern ein Junior, der sogar jünger ist als der Bramble. Er ist sogar so jung, dass er in seiner Heimat gerade erst selbst Alkohol trinken dürfte. Aber er bleibt trotzdem ein grandioser Drink für Erwachsene. Sogar im Jahre 2016.

Credits

Foto: Nils Wrage

Comments (1)

  • JGATSBY

    Well well well, so eine Legendenbildung ist in Amerika recht üblich bei Markenbildung und wird als solche meist gar nicht verheimlicht. Das muss man lässig sehen..
    Oder glaubt jemand, was zB Abercrombie & Fitch von sich gibt ,-)

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