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Signorina, darf ich bitten? Zu Gast im Fragrances

Nennen Sie mir Ihren Duft und ich sage Ihnen, wer Sie sind – Arnd Henning Heißen serviert nicht nur Drinks, sondern Inneneinsichten. Die Symbiose zwischen Parfums und Cocktails unterstreicht seine Konzept-Bar Fragrances im Berliner Ritz-Carlton Hotel mit fulminanten Kreationen. Eine davon: der Signorina Cocktail.

„L’Eau“. Der aus der französischen Sprache entlehnte Terminus dürfte den meisten vor allem in klassischer Übersetzung als „Duft“ oder auch als sein etwas leichter über die Lippen gehendes Beinahe-Äquivalent „Parfum“ begegnet sein. Tatsächlich aber trifft es bei genauer Betrachtung der Thematik „eau“ mitunter am besten. Man stelle sich vor, Düfte schlängeln sich wie ein roter Faden durch das Leben seines Trägers und verhalten sich deckungsgleich mit jenen Leben einhauchenden Flüssen, die unermüdlich – ja beharrlich – durch die entlegensten Regionen scheinbar in die Ewigkeit rinnen.

Letztlich ist ein Duft immer subjektiv. Die einen von uns lieben den süßlich-frisch anmutenden Sommerduft, andere schätzen den Tiefe und Ruhe ausstrahlenden Odeur der herbst-winterlichen Duft-Kreationen. Wahrhaftig ist der Duft auch immer die Darlegung unserer Gefühls- und Gedankenwelt, gar der Spiegel unseres Gemüts. Eine Charakterstudie.

Par fumar, por favor

Neben der evidenten Überschneidungen jener Welt der Düfte mit dem Kosmos der Spirituosen gemäß der Tatsache, dass Parfüms im eigentlichen Sinn nichts anderes sind als mit zahlreichen Botanicals angereicherter Alkohol, lässt die Thematik auch großen Spielraum für Kreativität und ein Bar-Menü der besonderen Art zu. „Bei uns bestellt der Gast keine Drinks, er ordert quasi ein Parfum. Nichts anderes macht er, wenn er in einem Fachgeschäft nach dem richtigen Duft für sich sucht. Wir geben ihm seinen Duft, die Basisspirituose und wesentliche Ingredienzien des Parfums vor“, so Arnd Henning Heißen über sein bald ebenfalls im neuen Fragrances-Outlet Shanghai nachzuerlebenden Konzept.

Das kühne Ziel, Cocktails so schmecken zu lassen wie Parfums riechen, wird mit hohem Aufwand umgesetzt. So besteht jedes Parfum aus hierzulande meist gänzlich unbekannten, aus aller Herren Länder stammenden Kräutern, Gewürzen und Pflanzenextrakten. Ob der exotisch anmutende Vetiver aus den Tropenzonen Südostasien oder das indische, sehr intensiv duftende Patschuli, das männlich-herbe Moschus oder das rauchige, extrem wertvolle Sandelholz. Allesamt keine klassischen Botanicals. Allesamt nicht im Tanqueray-Bombay-Gordons–Tonic des Gin-Hipsters zu finden.

Reality and Fantasy

Ein warmer Luftzug durchströmt den in jener Sommernacht stickigen Bahnsteig Warschauer Straße in Berlin-Friedrichshain. Menschen kommen und gehen, mit jedem Donnern bringt die als Bahn getarnte Schlange neue Personen von Ort zu Ort. Sie steigt aus. Signorina ist ihr Name und mit ihrer Aura, ihrem Duft verleiht sie dem Raum ein Odeur der Leichtigkeit, der Beschwingtheit. Menschen drehen sich nach ihr um, denn sie ist etwas, an das man sich erinnern wird. Eine Frau mit Feuer, die nichts anbrennen lässt. Oftmals wurde sie verletzt und doch sehnt sich die durch die Hauptstadt ziehende Lolita der Instagram-Generation nach der einzig wahren Liebe. Sie will das alles hinter sich lassen, aus dem Moloch der Vergangenheit entfliehen in den Rausch der Gegenwart.

So und nicht anders ist die Geschichte des Drinks, den mir Arnd Henning Heißen zubereitet, wenn er auch durch Zutaten die Fabel rekonstruiert. „Die Brombeere, der ein erhebliches Gewicht im Drink zuteil wird, ist im Gegensatz zur Johannisbeere und allen roten Beeren die einzige Variation mit Stacheln am Stängel. In der Aromatherapie drückt das den Schmerz und Kummer, die innere Zerrissenheit einer Person aus.“

Strange and yet so simple

Was so kompliziert und verworren, so ausgeklügelt und ausgefeilt klingt, ist im Grunde, ja im tiefsten Inneren wie unsere Signorina eigentlich nur ein Drink mit einer ehrlichen Seele. Botucal Rum als Basis-Spirituose schmiegt sich an das Vanille- und Karamellnoten enthaltende Odeur des Destillats, ein selbstgemachter Sirup aus Patschuli, Brombeere, Moschus-Extrakt, Orangenblüte und Rosenblättern. Die aufwendigen Sirups lässt das Fragrances-Team eigens in Abstimmung mit Michael Blair und Matthias Reeder herstellen. Bald sollen sie übrigens auch käuflich zu erwerben sein, damit jeder den Genuss auch zu Hause nachempfinden kann.

Ein Tropfen des wunderbaren Cape Mentelle Shiraz rundet des Geschmacksspektakel ab und greift die Karamell-Noten des Botucal gekonnt auf, erweitert sie gar um einen von Kräutern und Pflaume geprägten Odeur. Um das tiefrote Feuerwerk der Sinne nicht vollkommen zu überspitzen, wird mit der Zitrone ein gewisser Konter integriert. Dieser verleiht dem Drink das nötige Gleichgewicht, unterstreicht seine Substanz.

Abracadabra 2.0?

Arnd Henning Heißen und sein Team mögen Geschichten erzählen. Sie mögen dabei überspitzen. Doch erst durch die Übertreibung entsteht Respekt, ja Bewusstsein für die Kunst, die sie jeden Abend zelebrieren. Man muss das nicht mögen, doch selten wurde die Cocktailkunst in einer derartigen Art und Weise durch Stimulierung aller Sinne mit der Kunst einer anderen Branche verbunden. Ein wasserdichtes Konzept, das zu begeistern weiß mit Drinks, die eine ganz eigene, traumwandlerische Sprache sprechen. Und so verfolgen wir mit aller Leichtigkeit den entschlossen-wehmütigen Gang der Signorina – Salute!

Credits

Foto: Foto via Arnd H. Heissen.

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