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Platzt die Craft-Blase? Templeton Rye vor Gericht

„Craft“. Fast mag man das Wort nicht mehr im Munde führen. Doch gleichzeitig explodiert das Geschäft mit „handwerklich“ produzierten Spirituosen. Besondere Aufmerksamkeit erfahren letzthin die wohlbeleumundeten amerikanischen Destillerien, deren Produkte sich auch in Europa einer wachsenden Anhängerschaft erfreuen. Doch wo hört „Craft“ eigentlich auf? In den USA sieht sich mit Templeton Rye die erste Marke mit einer Klage konfrontiert.
Das Geschäft mit den handgemachten Spirituosen aus den USA hat in den letzten Jahren eine Blüte erlebt. Während der Gin&Tonic-Boom langsam den gastronomischen Mainstream erreicht zu haben scheint, ist es unter Kennern eine ebenso wichtige Anforderung an eine hochklassige Bar, dass eine sorgfältig getroffene Auswahl amerikanischer Craft-Whiskeys zur Verfügung steht.
Nachfrage in GSA-Land und anderswo
Auch in Europa sind US-amerikanische Spirituosen, allen voran Bourbon und Rye, aber auch Gin, zu einem Synonym für unverfälschte, authentische Handwerkskunst geworden. Zweifellos bietet der Import derartiger Spirituosen in naher Zukunft noch gewaltiges Potenzial. Und auf dem diesjährigen Bar Convent Berlin, den MIXOLOGY als Medienpartner begleitet, rücken die USA als offizielles Gastland ganz besonders in den Interessenfokus europäischer Barflies.
Die derzeitige Steigerung der Nachfrage ist ein Phänomen, das nicht nur die Suche nach einem ursprünglichen Geschmackserlebnis artikuliert, sondern ebenso hervorgerufen wird durch das anhaltende Interesse nach klassischen Drinks. Ein wahrer Manhattan-Kosmos tut sich auf, wenn man bedenkt, welche Unterschiede die zahlreichen Whiskeys aus feinen Kleinbrennereien dem zeitlosen Drink und seinen Verwandten noch bescheren können.
Neben der allgegenwärtigen Kampfvokabel „craft“ sind es Schlagwörter wie „handmade“, „small batch“, „artesanal“ oder „micro-distillery“, die auf den stolzen Etiketten der begehrten Flaschen locken. Doch trotz Cowboy-Romantik und dem Bild von weiter Prärie vor dem inneren Auge, ist auch im derzeitigen Hype-Land der Brennerszene nicht alles Gold, was etikettiert wird.
Lohnbrennen im großen Stil – Templeton Rye
Ein aktuelles Beispiel darüber, wie manche versuchen, die Craft-Kuh zu melken, ist der Fall von Templeton Rye. In den USA und Übersee durchaus geschätzt, brüstet man sich auf dem Etikett selbstbewusst als Hersteller eines Small-Batch-Rye aus der Kleinstadt Templeton in Iowa, wo der Whiskey angeblich nach einem alten Rezept aus der Prohibitions-Ära produziert wird.
Tatsächlich wird der sogenannte „Small Batch“ Whiskey beim US-Lebensmittelriesen MGP Ingredients (Midwest Grain Products) eingekauft. Auf diesen Umstand hat vor gut einem Monat der Journalist und Buchautor Eric Felten in einem detaillierten Beitrag auf The Daily Beast hingewiesen. Felten beruft sich dabei primär auf den aktivistischen Food-Blogger Steven Ury.
Das Verfahren im Falle von MGP ist denkbar einfach: die Fabrik in Indiana produziert im industriellen Maßstab eine große Range an Spirituosentypen, die – auch bereits gelagert – an kleinere Abnehmer weiterverkauft werden. Was jene dann aus der eingekauften Spirituose erzeugen, liegt nicht bei MGP. Im Prinzip also nichts anderes als eine Form von Lohnbrennen.
Klage wegen Etikettenschwindel
Eine Anwaltskanzlei aus Chicago hat nun jedoch Klage gegen Templeton eingereicht. Der Vorwurf lautet auf absichtliche Täuschung aller Konsumenten, die beim Kauf einer Flasche Templeton den Kaufpreis von ungefähr 35 US-$ auch deswegen gezahlt hätten, weil die Firma den Rye als ein handwerklich erzeugtes Produkt vermarktet. Der Hauptkläger Christopher McNair, ebenfalls aus Chicago, fühlt sich angesichts des zugekauften Brandes durch Templeton betrogen. Von der Firma selbst gibt es bislang kein Statement zur Sachlage.
Templeton und MGP sind freilich nur eines der von Felten genannten Beispiele: Ury nämlich präsentiert auf seiner Seite eine erstaunlich lange Liste von hochwertigen Marken, die allesamt ihr Ausgangsprodukt von externen Brennern produzieren lassen. Auf der Liste finden sich prominente Namen wie etwa Bulleit, George Dickel, Pappy van Winkle, Prichard’s und Willet. Durch den jetzt initiierten Rechtstreit gewinnt jedoch speziell die Causa Templeton an Bedeutung, da sie in einem beispielgebenden Urteil resultieren könnte.
Die USA und ihre Gesetze erfüllen das eigene Klischee
Die Rechtslage scheint – wie so oft in den Vereinigten Staaten – diffus: einerseits ist Templeton berechtigt, die Formulierung „Produced in Iowa“ zu führen, da zusätzliche Lagerung, Blending sowie Abfüllung des fertigen Produkts tatsächlich im Heimatstaat erfolgen. Gleichzeitig ist der Hersteller jedoch verpflichtet, den Destillationsort anzugeben – und das ist Lawrenceburg im Bundesstaat Indiana. Hinzu kommt der Umstand, dass das Gebaren des zuständigen Tax and Trade Bureau – jener für die Abnahme von Etiketten zuständigen Stelle im Finanzministerium – recht undurchsichtig ist. Die vergleichbare Klage gegen Tito’s Vodka, die vor einigen Wochen in Kalifornien anhängig wurde, zeigt, dass das Ministerium bei der Überprüfung von Labels häufig nicht exakt hinschaut.
Grauzonen als Klagegrund
Genau an diesem Punkt setzen die Anwälte des Klägers an, die überdies auf der Suche nach potentiellen Klägern für eine weitere Sammelklage gegen Häuser wie Bulleit Rye, George Dickel und WhistlePig sind. WhistlePig wurde seit seiner Markteinführung 2010 mit Höchstnoten z.B. im Wine Enthusiast, Spirit Journal und The Tasting Panel Magazine prämiert, zudem listete das Wall Street Journal den Whiskey als einen der Top 5 des Jahres. WhistlePig, eigentlich ansässig im malerischen Vermont, bezieht seinen Brand beispielsweise über eine Großbrennerei aus dem benachbarten Kanada. Teilweise verkaufen auch die Großbrenner aus Kentucky jene Überstände an Kleinbrenner weiter, die sie selbst aufgrund von Kapazitätsgrenzen nicht verarbeiten können.
Zwickmühle für Verbraucher
Das große Problem für die Endverbraucher ist also nicht die Arbeit der Firmen im Lohnbrennen, sondern die fehlende gesetzliche Regulierung. Während in den USA z.B. der Terminus „Craft Beer“ zumindest von Seiten des Brauerverbandes eindeutig geregelt ist, existieren im obigen Beispiel noch einige Schlupflöcher.
Kleine Häuser können einerseits auf die mühevolle Maisch- und Brennarbeit verzichten, gleichzeitig jedoch auf dem Label bestimmte Schlagworte bemühen. Ein Abnehmer, der hohe Beträge für eine Spirituose zahlt, erwartet dann allerdings auch zu Recht ein Produkt, das unter qualitativ hochwertigen, „handwerklichen“ Ansprüchen entstanden ist – denn die damit verbunden Faktoren, wie etwa höhere Rohstoffpreise und Personalkosten, rechtfertigen im Allgemeinen den hohen Endpreis.
Das soll mitnichten heißen, dass ein im Lohnverfahren entstandener Whiskey qualitativ minderwertig ist – viele der etablierten Marken demonstrieren auf teils eindrucksvolle Weise das Gegenteil. Hinzu kommt außerdem die Tatsache, dass viele Firmen, wie etwa Bulleit, den Destillationsort sehr wohl angeben, was aber wiederum von vielen Konsumenten nicht wahrgenommen wird.
Grundsätzlich bleibt aber in vielen Fällen ein fader Beigeschmack, der den gesamten Berufsstand amerikanischer Craft-Brenner betrifft. Denn diejenigen, die tatsächlich selbst destillieren, könnten sich im Zuge der aktuellen Debatte schon bald pauschalen Vorwürfen gegenüber sehen, auch sie würden lediglich mit Etiketten handeln.
Was ist wichtiger: Geschmack oder Ehrlichkeit?
Es liest sich wie blanker Hohn, wenn der umtriebige Autor Dave Lieberman auf OCWeekly behauptet, es komme auf den Destillationsort nicht im Mindesten an. Sicher, mag man gegenhalten, ist nicht die Destillation, sondern sind Fermentation, Lagerung und die Blending die wichtigeren Schritte bei der Whiskey-Herstellung. Doch Liebermans Behauptung schießt über das Ziel hinaus, denn er gibt indirekt dem Konsumenten die Schuld, sich über einen Umstand zu ereifern, den er gar nicht schmecken könne.
Was Lieberman übersieht, ist die offensichtlich vielfach praktizierte Täuschung des Konsumenten. Es ist die Instrumentalisierung mehrerer Begriffe, die prinzipiell synonym für Ehrlichkeit und Authentizität stehen. Die Gefährdung dieser schützenswerten Begriffe und die Gefährdung der Integrität eines tradierten Berufsbildes scheinen für Lieberman keine Rolle zu spielen.
Templeton plant nach eigenen Angaben für das Jahr 2015 die Inbetriebnahme einer eigenen Brennerei in Iowa. Der erste fertige Whiskey aus dieser Destille wird dann wohl um den Jahreswechsel 2020/2021 fertig sein. Ob der Templeton dann doch anders schmeckt?
 
 

Credits

Foto: Hammer via Shutterstock

Comments (2)

  • Daniel Klingenbrunn

    Mittlerweile gibt es eine Reaktion von Templeton. Danach liegt die Geschichte und das Handwerkliche im Zufügen einer “Ancient Formula” zum eingekauften Rye, einer Art Aromazusatz, der in der Zeit der Prohibition angeblich nicht unüblich war. Ob das aber ausreicht, um den Vorwurf der Verbrauchertäuschung zu widerlegen, wage ich zu bezweifeln. (Quelle: http://chuckcowdery.blogspot.de/2014/10/templeton-tale-gets-curiouser-and.html)

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  • Ulli

    Schon mal nach Deutschland geschaut ?
    Ich sag nur “Berliner Brandstifter”, dort wird der Sprit auch im Tankwagen angeliefert und nur mit “Berliner” Wasser verschnitten und dann von Hand veredelt…
    Keine Spur von wirklicher Handarbeit beim Destillierprozess.
    Zu sehen in der Rubrik: Berlin trinkt unter diesem Link.
    Und sie werben mit diesem Film sogar.
    Also ich denke das ist generell nur die Spitze des Crafteisbergs und die Kehrseite dieser eigendlich guten und unterstützenswerten Bewegung.

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