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„Unbezahlbare Erfahrung“: Balvenies Compendium

Mit einem ebenso komplizierten wie einzigartigen Projekt führt Malt Master David Stewart durch die schottische Whisky-Geschichte seit 1961. Das flüssige Sammel-Album DCS-Compendium von The Balvenie wird ein Traumobjekt bleiben. MIXOLOGY ONLINE weiß aber, wie das erste Kapitel schmeckt.

Bescheiden und mit trockenem schottischen Humor steht eine der legendärsten Figuren der Single Malt-Welt in der Londoner Wallace-Collection: „Ich musste erst meine Frau nach der Bedeutung von ‚Compendium‘ fragen“, meint David Stewart anlässlich des „Whisky-Launchs of a Lifetime“, wie man beim Destillerie-Eigentümer William Grants & Sons die Feierstunde seines Lebenswerks genannt hat. 41 Jahre verantwortet der 70-Jährige die Abfüllungen von The Balvenie, auf seine Initiative geht die Geburt des „Double Wood“ und damit des heute in der Malt-Welt so beliebten „Finishing“ in einer zweiten Holzart zurück. Diese Innovation und die insgesamt 53 Jahre, die er für die Destillerie in Dufftown tätig ist, machen ihn zu einer der Autoritäten im Whisky-Business.

Das Malt-Buch der langen Zähne

Dabei „hatte ich auch Bewerbungsgespräche bei einer Bank und einer Versicherung“, erinnert sich Stewart ans Jahr 1962, „die Whisky-Firma klang aber am interessantesten“. Die Summe seiner seither gemachten Erfahrungen hat ihm der Global Brand Ambassador und studierte Literaturwissenschaftler Sam Simmons abgelauscht und in einem Buch verewigt. Man könnte den Begleitband zu der Whisky-Collection auch das „Buch der langen Zähne“ nennen. Denn feinsäuberlich stehen darin jene 25 Einzelfässer verzeichnet, die bis 2019 auf den Markt kommen. Der älteste je abgefüllten Single Cask (1961 – Release: 2017) und der jüngste (2005, bereits erhältlich) von The Balvenie sind nur Eckpunkte des DCS Compendium, das die Initialen David Charles Stewarts trägt.

Je fünf dieser Whiskies aus fünf Jahrzehnten werden zu einem „Kapitel“ zusammengefasst. „Secrets of the Stock Model“ heißt eines, „Malt Master’s Indulgence“ ein anderes. Eröffnet wird die Serie der 25 handverlesenen Whiskies aber von dem, was David Stewart als erstes lernte: „Distillery Style“. Auf den von Honig und Zitrusnoten geprägten Haus-Stil von The Balvenie drillte sein Lehrmeister Hamish Robertson den neuen Mitarbeiter im Warehouse. Wie sich diese Noten entwickeln, exemplifiziert das erste sogenannte „Kapitel“ an Single Casks aus den Jahren 2005, 1997, 1985, 1978 und 1968.

Das erste Kapitel durchblättern

Bevor wir die ersten Eindrücke beschreiben, sei eine generelle Bemerkung angebracht, die zeigt, wie unangebracht Dogmen in der Diskussion um Altersangabe versus NAS (= No Age Statement) sind. Denn die gefühlte Schärfe war nicht beim Whisky mit dem höchsten Alkohol (dem Fass aus dem Jahr 1997) zu finden, und der jüngste Malt (eben der 2005er) wirkte weitaus harmonischer als ein 20 Jahre älterer. Der 1985er ließ sich auch mit Wasser kaum zähmen, wiewohl auch alle anderen in Fass-Stärke abgefüllt wurden. Auch, dass man auf eine chronologische Verkost-Reihenfolge verzichtete, zeigt, dass David Stewart offenbar auch zum Thema Reife eigene Ansichten hat. Und denen darf man durchaus vertrauen: „Wenn etwas polarisiert, fragen wir immer, was David dazu meint“, erzählte uns ein Verkoster der Londoner „Internat. Wine & Spirits Competition“ (IWSC).

Viel Würze, vor allem Muskat und Vanille, aber mit seinen 54,1% Vol. auch ein merklicher Biss prägte den zum Start servierten 1985er. Den besagten Haus-Stil am deutlichsten transportierte der 57,5%-ige Whisky aus 2005, dessen Nase mit Kokos („Bounty“ pur!), Schokolade- und Marzipan-Noten schon einladend wirkte. Am Gaumen kam das im Duft dezente Salz-Karamell durch, aber eben auch Honig, Zimt und feine Orangenraspeln.

Die 1997er Kinder-Überraschung

In mehrfacher Hinsicht überraschte der 17 Jahre gereifte The Balvenie, der als einziger auch einzeln im deutschen Sprachraum erhältlich sein wird. Das Fass Nr. 5375 aus dem Jahr 1997 erinnert mit seinem intensiven Duft nach Milchcreme fast an „Kinder-Schokolade“. Dabei reden wir von einer Fass-Stärke von 60,7% Vol., die von der Süße komplett überspielt werden, die an Kirsche, Muskatnuss und Kokosraspel denken lässt. Am Gaumen bleibt es komplex, im Beginn kommen Nüsse und Schokolade durch, ehe sich – bei allem Punch, den er besitzt – der Geschmack fast im Minutentakt verändert. Spekulatius, Waldhonig, Nuss-Schokolade und im Abgang auch „Hard spice“ wie Zimtrinde und Piment.

Malt mit Tropen-Hut von 1978

Eindeutiger Favorit des Premieren-Publikums war der aus dem Fass Nr. 2708 stammende Single Malt 1978. 37 Jahre im gebrauchten amerikanischen Eichenfass haben die Kanten abgeschliffen, dafür Vielschichtigkeit zurückgelassen: Hier kann man den Honig fast greifen, doch er ist nur ein aromatischer Bestandteil. Kandierte Papaya, Muskatnuss und Orangenblüte finden sich ebenfalls, mit mehr Luft auch geröstete Mandeln. So schwierig Whisky manchmal zu beschreiben ist – hier wartet ein Füllhorn.

Der 1978er weist ein öliges Mundgefühl und delikate Nuss-Noten auf, ehe ein paar Tropfen Wasser noch die Finessen herauskitzeln. Plötzlich erstrahlt der Schotte im karibischen Sonnenlicht: Kokosmilch, Ananas und brauner Zucker sorgen für einen reichhaltigen Geschmack, der von einer Würze abgerundet wird, die lange anhält. Wie erwähnt, ein wirklich großer und ungewöhnlicher Whisky (der auch in das DCS Compendium-Kapitel von 2018 – „Expect the Unexpected“ – passen würde).

Alt-68er: Mild und schoko-sanft

Der älteste Premieren-Whisky stammte aus 1968 und erweist sich anfangs aromatisch dem 10 Jahre jüngeren Malt-Bruder nahe, allmählich wird hier alles noch intensiver. Nach einigen Minuten stellt er eine regelrechte Schokolade-Bombe dar, auch etwas Dörrzwetschke, notieren wird. Mit vergleichsweise milden 46% abgefüllt, wirkt er balanciert und ruht in sich. ‚Calmness‘, bescheinigte ihm „Whisky-Atlas“-Autor Dave Broom. Das trifft es gut, denn die Haselnuss- und Kakaonoten, gesoftet noch von der Vanille der jahrzehntelangen Fasslagerung, lassen fast an Cognac denken. Mit Wasser entfaltet sich dann auch eine Papaya-Fruchtigkeit, die sich harmonisch an die Schokolade- und Waldhonignoten einreiht. Zart und hochelegant verklingt der 1968er, man kann hier fast vom Verhauchen sprechen, so zart verabschiedet er sich mit einem Hauch von Nussigkeit.

Wie kommt man nun zum ersten „Buchkapitel“ von der Speyside? 50 Kollektionen sind weltweit erhältlich und wer rechnen kann, ahnt schon, dass es hier um viel Geld geht: € 35.000 kostet das komplette Whisky-Quintett im maßgefertigten Eichenholz-Messing-Rahmen. Eine Kollektion wurde bereits ins Ruhrgebiet verkauft, als Einzelflasche wird nur der DSC Chapter 1-Malt 1997 in Deutschland erhältlich sein. Für eine der 18 Flaschen – einem relativ großen Kontingent bei 64 Solo-Flaschen weltweit – wären jeweils € 900 fällig.

Credits

Foto: Alle Bilder via The Balvenie.

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