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Martini, Martinique, The Martinician!

Ein Cocktail mit Rhum Agricole, der kein ‘Ti Punch ist? Eine Manhattan-Variation mit Ananas? Und warum ist da bitte Zyanid in meinem Getränk? Pre-Prohibition auf die Französische Art!

Es mag ein Klischee sein, dass der Bartender von heute den Sonntag Nachmittag bewehrt mit Vollbart, Craft-IPA und vor-prohibitionszeitlichem Cocktailbuch verlebt. Jetzt lediglich aus Angst, einem Klischee zu entsprechen, von diesem Vergnügen abzusehen, wäre aber dann doch sehr schade. Lieber greift man da zum Rasiermesser und nimmt dem Stereotyp ein wenig an Wucht, statt die Lektüre aus der Hand zu geben.

Frankophiles Gift?

Ein ganz besonders unterhaltsames Büchlein, um das es heute gehen soll, ist das „Bariana” des Parisers Louis Fouquet aus dem Jahre 1896. Fouquet beschreibt dort seinen Landsleuten vor allem klassische Cocktails aus Übersee, legt aber jedem eine persönliche Note auf: Durch die Beigabe einiger Spritzer Curaçao wie auch Crème de Noyaux erhalten beinahe alle Cocktails einen französischen Touch.

Die Crème de Noyaux ist ein Likör aus Aprikosen- oder Pfirsichkernen, der sich durch ein blumiges, marzipan-artiges Aroma auszeichnet. Leider wird er kaum noch hergestellt – vielleicht auch, weil ebendiese Kerne Spuren von Amygdalin enthalten, das bei der Verdauung zu Zyanid umgewandelt wird.

Entwarnung!

Man bemerke aber auch, dass der weitaus bekanntere, wenn gleich um Längen weniger aromatische Amaretto ebenfalls aus solchen Kernen gemacht wird. Gemessen daran, dass just im Trinkalter angelangte Mädchen sich gerne im Verlaufe eines Abends beträchtliche Mengen davon zuführen, schließlich aber meist unter den zu erwartenden Nebenerscheinungen ungehemmten Zucker- und Alkohol-Konsums leiden, dürfte die Gefahr einer Zyanid-Vergiftung für den Genusstrinker durchaus zu vernachlässigen sein.

Die Firma Tempus Fugit beispielsweise hat übrigens neulich eine Crème de Noyaux auf den Markt gebracht, und es sei jedem geraten, davon zu kosten. Wer trotzdem toxikologische Zweifel hegt oder die Beschaffung als zu mühsam empfindet, der kann stattdessen als Annährung Amaretto verwenden.

Ist das noch Martini? Nein. Macht aber nichts.

Doch nun zurück zu Fouquet und seinen polykulturellen Allüren: Er treibt es nämlich sehr weit, und oft wirkt es so, als werde weniger aus geschmacklichen Überlegungen, sondern mehr aus Gewohnheit zur Zugabe von einigen Spritzern Curaçao und Crème de Noyaux geraten. Den Martini Cocktail verstand Fouquet beispielsweise als eine Mischung aus Gin, rotem Wermut, Curaçao, Orange Bitters, Absinth und ebendieser Crème de Noyaux.

Der nachfolgende Cocktail soll dem Leser aber zeigen, dass es mitnichten um eine bloß habituelle Beigabe handelt, sondern dass diese vielen Cocktails zu unglaublich viel Tiefgang verhilft. Voilà – der The Martinician Vermouth Cocktail. Eigentlich eine einfache Manhattan-Variante mit gelagertem Martinique Rhum, die aber durch ein paar Tröpfchen hier und da perfekt abgerundet wird. Zunächst sicher eine sehr schöne Gelegenheit, Rhum Agricole außerhalb des ‘Ti Punch in einem Cocktail zu präsentieren. Oft ist es nicht leicht, diese Rhums einzufügen, geben sie sich doch gerne kantig, selbstbewusst und unkooperativ. Ein persönlicher Favorit des Autors für diesen Cocktail ist der Saint James Millésime 2000, der mit einer zurückhaltenden Note von tropischen Früchten aufwartet. Beim Wermut sei zu einer bittereren Variante geraten, da die ganzen Tröpfchen und Löffelchen den Cocktail merkbar süßen. Punt è mes ist eine sichere Wahl, und kommt der Anweisung im Originalrezept nach, einen klassischen Wermut nach Turiner Prägung zu verwenden.

Ein schönes Experiment, das der werte Leser nachzuvollziehen eingeladen sei: Den Cocktail zunächst nur mit Rhum und Wermut zu mischen, und unter stetigem Kosten die übrigen Zutaten einzeln dazugeben, um ihre harmonisierende Wirkung auf den Cocktail zu erfahren. Cheers!

Credits

Foto: Pfirsichkern via Shutterstock

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