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Archäologie des Bieres – Vergessen & Neu Entdeckt

Es muss nicht immer Pale Ale sein. Heute wildern wir in heimischen, vergessenen Biergefilden und werfen Salz, Steine, Koriander und Schafgarbe ins spontan vergorene Sauerbier. Peter Eichhorn mit einem Einblick in vergessene Bierstile „Made in Germany“, die sich auch heute immer noch lohnen.

Die aktuelle einheimische Craft Beer-Welt blickt vornehmlich in die USA. Dort war es, wo die historischen Bierstile India Pale oder Russian Imperial Stout neu entdeckt und kultiviert wurden und mittlerweile Kultstatus erlangt haben bzw. in der modernen Bierwelt eine immens prominente Rolle spielen. Die Brauerei Dogfish Head entwickelte ein Bier aufgrund von Untersuchungen in einem Sarkophag von 700 v.Chr., der in der Türkei entdeckt wurde. Darin befanden sich Trinkgefäße, die folgenden mikrochemischen Untersuchungen förderten zu Tage, welche Inhaltsstoffe sie einstmals enthielten. Dogfish Head braute gemäß dieser Ergebnisse das Bier „Midas Touch“, ein Bier-Wein-Met-Hybrid. Aber auch wer sich hierzulande auf die Suche macht, findet ebenfalls historische Bierstile, die lohnen, wieder und neu entdeckt zu werden. Zugleich erzählen sie lebendige Biergeschichte. Eine Auswahl davon stellen wir heute vor.

Grutbier

Mit Grutbier (auch Gruitbier) begibt sich der Biertrinker in jene Zeiten des Mittelalters, in denen Hopfen als aromatisierende Zutat im Bier ersetzt werden musste, da er nicht überall wuchs oder schlicht nicht verfügbar war. Insbesondere im Norden Kontinentaleuropas und auf den Britischen Inseln griffen die Brauer daher zu Gewürzmischungen – die sogenannte „Grut“. Erst ungefähr ab dem 14. Und 15. Jahrhundert, löste Hopfen zunehmend die Kräuter und Gewürze ab. Je nach Region waren das sehr verschiedene Kräuter und auch in derselben Region gab es von Ort zu Ort verschiedene Rezepturen. Oft enthielten sie Wacholder, Gagel, Beifuß, Schafgarbe, Rosmarin und vieles andere mehr. Ein Grutbier konnte auf unterschiedlichsten Getreidesorten basieren, beispielsweise auf Weizen, Dinkel, Gerste oder Hafer.

In Münster gibt es die kleine Gruthaus Brauerei, die sich dem Wiederentdecken der norddeutschen Tradition widmet. Das Team machte sich auf die Entdeckungsreise und recherchierte zu der alten Tradition des Gruthandels, der für das mittelalterliche Münster ein wichtiger Wirtschaftsfaktor war.

Historisch gab es in den Städten nahe dem Rathaus ein Gruthaus. Dort wachte der Grutherr über die geheime Rezeptur der begehrten Kräutermischung, welche die Brauer dort erwerben konnten, ja mussten. Nach vielen Testsuden und Verfeinerungen der Rezeptur ist mit dem „Myrica Gale 1480“ seit Frühjahr 2016 ihr Grutbier auch überregional erhältlich. Es enthält Gerstenmalz, Weizen, Weizenmalz, Hafer, Hopfen, Wacholder, Gagel und Kümmel.

Auch die Lahnsteiner Brauerei entwickelte eine neue Kräutermischung und vertreibt ihr „Lahnsteiner Grutbier mild“. In Berlin widmet sich das Spent Brewers Collective dem Thema und bringt jährlich anlässlich des „International Gruit Day“ am 1. Februar gerne einmal eine neue Grut-Edition heraus. Zuletzt war es das „Vanilla Triple Gruit“ mit Gerstenmalz Hafermalz, Dinkelmalz, Holunderblüten, Zitronengras, Zitronenschalen, Wermut, Kandiszucker und Vanilleschoten. Ein andere Variante für diese Art des Mittelalter-Bieres lautet „Porsebier“ und war vornehmlich in Richtung Dänemark gängig.  Die alten Brauer verwendeten Sumpfporst, eine Rhododendronpflanze aus der Familie der Heidekrautgewächse. Die Blätter wiesen Eigenschaften auf, die sich für den den Brauvorgang eigneten. Zwischen Neumünster und Bad Segeberg in Schleswig-Holstein entdeckte die Ricklinger Landbrauerei diese fast vergessene Traditionen neu und braut die famose „Ricklinger Porse“. Biere, nicht nach dem Reinheitsgebot, sondern davor.

Steinbier

In früheren Zeiten, als Hölzer die vorwiegenden Materialien in den Kesseln der Braumeister waren, bestand die große Gefahr, dass die Feuer, welche die Sude erhitzten, das Behältnis in Brand setzen könnten. Um die Gefahr zu bannen, kam die damals gängige Methode zum Einsatz, bei der Steine ins Feuer gelegt wurden, um sie auf glühend hohe Temperaturen zu erhitzen.

Danach kamen die heißen Steine in einen Eisenkorb, der in die Maische getunkt wurde, um diese zu erhitzen. An den Steinen wiederum lagerte sich Malzzucker ab, der sich später löste, wenn die Steine erkalteten. Der karamellisierte Zucker, beeinflusst von den mineralischen, zuweilen beinahe salzigen Noten der Steine, gab ein spezielles Aroma ab. Einige Brauereien entdecken derzeit die Technik und die Aromatik wieder und wenden sie neu an. So beispielsweise die Brauerei Leikeim im oberfränkischen Altenkunstadt oder die Gusswerk Brauerei, die ihr Bio-Brauhaus in Salzburg betreibt und ein Märzen nach dem Steinbier-Verfahren fertigte.

Moll

Das Moll ist ein historische Rauchbier aus dem Raum Köpenick. In Berlin bestellt man traditionell eine „Molle“ und meint damit ein Bier. Ob sich der Begriff tatsächlich vom Moll-Bier aus dem Köpenicker Raum ableitet, wie es die Köpenicker Schlossplatz-Brauerei Kühn vermutet, ist nicht ganz klar. Aber der augenzwinkernden Tradition des vermeintlichen Hauptmanns von Köpenick folgend, der sich ja als Schuster entpuppte, kann man so manche Geschichte behaupten. Nach den Erklärungen der Brauerei ist die Brauerei die kleinste Deutschlands, der Große Kurfürst ist der spätere König Wilhelm I. und 1752 regierte in Brandenburg ein Kurfürst. Da dreht sich der Alte Fritz im Grabe um und wir dürfen die eine oder andere Aussage getrost als „Köpenickiade“ abtun.

Jedenfalls: Brauen können die Herrschaften in dem kleinen Glaspavillon definitiv. Sie erforschten historische Rezepturen gemeinsam mit dem dem Historiker Dr. Wernecke und nahmen eine Rezeptur von 1752 als Grundlage für ihr Moll mit einem vollmundig-fruchtigen Geschmack und einer angenehmen Rauchnote.

Zur gleichen Zeit entdeckten zwei Craft-Brauer ebenfalls den vergessenen Bierstil wieder. Angeregt von einer Wette mit dem Organisator der Braukunst Live! in München, Frank Boer, suchten Oliver Wesseloh von der Kehrwieder Kreativbrauerei und Alexander Himburg von Himburgs Braukunstkeller, einen vergessenen und verschollenen Bierstil, den sie zu neuem Leben erwecken könnten. Sie stießen auf das Moll und brauten das Bier, das sie mit getoasteten Maulbeerbaum-Chips veredelten.

Lichtenhainer

Nahe dem thüringischen Jena liegt Lichtenhain. Urkunden belegen, dass in der Region bereits im frühen 14. Jahrhundert Hopfen geerntet wurde. Die Rekonstruktion dieses obergärigen Bierstils ist sehr mühsam, da die Quellenlage dürftig ist. Die Vermutungen kundiger Bierhistoriker gehen in die Richtung, dass eine Mischung aus Gerste und Weizen die Grundlage bildete, wobei eines davon ein Rauchmalz sein solle. Die Kochzeit der Würze war sehr kurz. Die Hopfenbeigabe ist nur gering, dafür sorgen Milchsäure-Reinzuchtkulturen für eine leicht säuerliche Stilistik bei sehr milder Bittere.

Besonders verdient um vergessene Braustiele macht sich Sebastian Sauer, der mit seinen marken The Monarchy und Freigeist Bierkultur bereits Bierstilen wie Adamsbier oder Grätzer zu neuer Aufmerksamkeit verhalf. Mit seinem „Abraxxxas“ schuf Sauer ein hervorragendes Bier und mit dem „Abraxxxas Pear Lichtenhainer“ zudem eine Variation, bei deren Gärung er Birnen zufügte.

Ein Slogan von 1908 verrät: „Die Welt wird immer feiner – jetzt trinkt man nur noch Lichtenhainer“. Aber zu DDR-Zeiten wurden die Brauereien geschlossen. Als letzte musste das Brauhaus Ed. Barfuss & Söhne in Wöllnitz 1983 den Betrieb einstellen. Eine verwandte Biergattung ist zudem die Leipziger Gose.

Gose

Der Trend geht zu Sauerbieren, also gerne her mit einer Flasche Gose. Die Gose ist ein obergäriges, leicht säuerliches Bier, der Berliner Weisse oder den belgischen Gueuze-Bieren nicht unähnlich. Der Name leitet sich von seinem Ursprungsort her: Goslar. Ursprünglich wurde die Gose mit Weizen oder Hafer gebraut und – das ist die spezielle Note – mit Koriander und Salz gewürzt.

Ab 1740 wurde diese Art von Bier insbesondere im Raum Leipzig sehr populär. Dort löste die kleine Brauerei im Bayerischen Bahnhof, die dort seit 1999 braut, ein Revival des spontangärigen Bieres aus. Wer in Leipzig weilt, sollte sich einen Besuch der Gaststätte im ältesten Kopfbahnhof der Welt nicht entgehen lassen. Mittlerweile ist diese Gose auch in ungewöhnlichen Bügelflaschen erhältlich, die an die traditionellen Flaschen erinnert, die Aussahen wie ein Bocksbeutel mit sehr langem Flaschenhals.

Für weitere Aufmerksamkeit und – besser noch – Verfügbarkeit, sorgt die Ritterguts Gose, die auf einem Rezept von 1824 beruht. Das bernsteinfarbene Bier enthält 4,2 % Vol. und die Nase wird zunächst mit einem charaktervollen Duft betört. Auf der Zunge folgt dann eine erfrischende Säure, bevor sich dann die Aromen von Koriander und Salz entfalten. Erst vor wenigen Tagen enthüllten die Brauer des Ritterguts einen Gose-Bock, den „Bärentöter“.

Mit großer Hingabe widmet sich im Westen der Republik Fritz Wülfing, einer der deutschen Craft-Pioniere überhaupt, mit seiner Firma Ale Mania der Gose. Nicht in der Flasche, sondern in der Dose. In seiner „Gose in der Dose“ ist die Säure sehr zart ausgeprägt, ein vollmundiger Malzkörper steht im Vordergrund. Ein herrliches Bier für die verbleibenden Sommertage!

Credits

Foto: Foto via Shutterstock.

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