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Wein in Cocktails: Zeit, reinen Wein einzushaken!

Champagner und verstärkte Weine sind Stammgäste an jedem Tresen. Doch was ist mit echtem, reinen Wein in Cocktails? Was spricht gegen den bewussten Einsatz von reinsortigem Riesling, Blaufränkisch, Shiraz oder Muskateller in echten Drinks? Eine Suche zu einer – vorläufig noch – Nischendisziplin der modernen Cocktailbar.

Wein – ein hochkarätiger Essensbegleiter, der an keiner anspruchsvollen Tafel und in ebensolchem Munde fehlen darf. Und Drinks, die in den letzten Jahren durch neuartige Zubereitungsarten und Ingredienzien die Schaffenskraft des Barmanns sowie die Kreativität der Mixologie unter Beweis stellten. Doch sollte man beide Größen – den Wein und die Mixologie – im wahrsten Sinne des Wortes vermixen?

Gewiss, ja, das kennt man schon. Da gibt es doch den berühmten Bishop, welcher allerdings eher in verstaubten Cocktailbüchern als in Bar-Karten von Welt zu finden ist. Und auch Weinbrände, allen voran Brandy und sein Cousin aus der Charente, sowie gespriteter Wein – man denke an Porto-Tonic und diverse Wermut-Revivals – sind auf dem liquiden Vormarsch und haben ihren Weg in den Shaker gefunden. Ebenso ist die Verwendung von Wein-Sirups oder fruchtig-säuerlichem Verjus keinesfalls unbekannt im alltäglichen und allnächtlichen Tresenzirkus. Und natürlich hat – allen weinhaltigen Ingredienzien voran – auch prickelnder Schaumwein seinen festen Platz in den Händen eines jeden Bartenders, verhilft er doch alten Kubanern zu mehr Spritzigkeit und so manch walisischem Prinzen zu einem fast frivolen Bizzeln.

Wein in Cocktails: Warum – in Gottes Namen – denn nicht?!

Doch all diese Trauben-Variationen einmal außer Acht gelassen – warum und weshalb findet kein knackig-mineralischer Riesling oder ein aromatisch-blumiger Muskateller seinen Weg in den Shaker? Und was passiert, wenn ein tanninreicher Blaufränkischer auf eine kräftige Spirituose trifft? Was passiert, wenn „echter“ Wein in Cocktails auftaucht?

Eigentlich eine so fantasievolle wie vernünftige Idee, denn gerade in kleinen Bars besteht oftmals das Problem, dass die offenen Weine aufgrund geringer Nachfrage im Kühlschrank dahinsiechen, bis man sie dann schweren Herzens sowie mit einem schalen Gefühl und ebensolchem Geschmack auf der Zunge in den Ausguss kippen muss. Auch Lukas Motejzik musste sich diesem Problem des liquiden Verfalls stellen und fand eine so geschmackvolle wie praktische Lösung: „Besonders in Zeiten von Zero Waste ist es natürlich inakzeptabel, Wein regelmäßig wegzuschütten. Zudem sind auch Low-Alcohol-Drinks gerade auf dem Vormarsch. Deshalb habe ich angefangen, unsere offenen Weine im Herzog, im Zephyr und im Lausa für neue Cocktailkreationen zu nutzen, was unfassbar gut funktioniert.“

Damit diese weinsinnige Paarung zweier selten vereinter Größen – Spirituose und Wein – allerdings einen so harmonischen wie glasfüllenden Ausgang nimmt, bedarf es einiger vorangehender Gedanken und des ausführlichen Verkostens. Am besten holt man sich als Bartender auch den Rat eines kompetenten und findigen Sommeliers – in unserem Fall Markus Hirschler aus der Grapes Weinbar in München –, um die Grundaromatiken der verschiedenen Weine und ihre sinn- und geschmackvolle Verwendung in Drinks herauszufinden: „Jede Rebsorte hat ihre eigene Typizität und man muss ähnlich wie bei einem Foodpairing schauen, wozu diese am besten passt.“

Der Wein als ausgleichender Faktor

Gehen wir, aller Tresen-Theorie zum Trotz, ganz praktisch vor und blicken gemeinsam mit Lukas und Markus in die eigene Kühlung. Hier findet sich in den meisten Bars im deutschsprachigen Raum ein ganz gewisses, offenes Fläschchen – nämlich ein deutscher Riesling. Diese Rebsorte weist grundsätzlich eine straffe Säure sowie eine lebhafte Mineralität und Frucht auf, wobei insbesondere seine Säure den Riesling zum idealen Ausgleich und harmonisierenden Part in süßen oder sogar zu süßen Drinks macht. So nutzt Lukas den rassigen Weißwein, um bei seinem Old Astronaut die so süße wie aromatische Mischung aus Salbei-Gin, gesalzenem Amarettini-Sirup und etwas Zitronensaft auszugleichen, indem er einen Two-in-one-Cocktail serviert. Zum süßen Gin-Drink wird à part ein Glas Riesling gereicht, sodass der Gast, abwechselnd trinkend, ein so kontrastreiches wie harmonisches Gaumenkitzeln genießen kann. Außer eines leichten Gins oder seinen fruchtigeren Brüdern, Old Tom und Plymouth, wäre auch weißer Rum eine vorstellbare Spirituose, die dem knackigen Riesling im Glase erfolgreich entgegenzutreten vermag.

Doch nicht nur als Säureersatz hat Wein in Cocktails seine Berechtigung, denn der edle Rebensaft vereint in sich schließlich alles, was wir auch von einem guten Drink erwarten – nämlich süße, saure und aromatische Noten. Aus diesem Grund kann Wein auch als wahrer „Pusher“ eingesetzt werden, der einem Cocktail mehr Tiefe und Komplexität verleiht. „Gerade eine aromatische Rebsorte wie ein Gelber Muskateller, der florale Noten und eine feingliedrige Säure hat, kann Drinks mit kräftigen, hellen Spirituosen – man denke an einen würzigen Gin oder einen Rhum Agricole – zu mehr Charisma verhelfen“, weiß Sommelier Markus Hirschler. So wird bei Motejziks King Pigeon die Basis aus Gin, Enzianbrand, Zuckersirup, Pfirsichlikör und Zitronensaft, die an sich schon Süße, Säure und Aroma mitbringt, durch 3 cl trocken ausgebauten Muskateller ordentlich vorangebracht und aufs Süffigste aufgewertet.

Vorsicht mit den Tanninen!

Neben Säureersatz und der eben erwähnten Pusher-Funktion kann man jedoch – ähnlich wie es so mancher Sternekoch vormacht – dekonstruieren und somit ganz konstruktiv neue Geschmackserlebnisse im Glas oder Shaker zusammenbauen. Motejzik orientiert sich bei dieser Vorgehensweise an den Grundzutaten eines Wermuts – Wein, Würze, Süße, zusätzlicher Alkohol – und baut diesen mit einem Blaufränkischen sowie Cognac, Traubenzucker-Sirup und Verjus nach.

„Durch den Einsatz des tanninreichen, würzigen, aber dennoch säurebetonten Rotweins kann ich die Süße bei diesem zu 100 Prozent aus Trauben bestehenden Drink selbst dosieren und sie ist nicht durch einen fertigen Wermut vorgegeben“, so der „Mixologe des Jahres 2017“ bei den MIXOLOGY BAR AWARDS. Neben der Kombination mit Cognac geht der Blaufränkische auch gerne eine geschmackvolle Liaison mit anderen komplexen Spirituosen wie dunklem Rum oder rauchigem Whisky ein, wobei bissfeste Begleiter wie geräucherte Mandeln oder sogar kräftiger Käse dem würzigen Zungenspiel zu noch mehr Spannung verhelfen können. Sommelier Markus Hirschler weiß beim Einsatz von Rotwein im Drink allerdings um einen wichtigen Fakt, den man als Bartender beachten sollte: „Die Tanninstrukturen des Weines verstärken sich durch kühle Temperaturen, so dass bei Rotwein-Drinks auf den Einsatz von im Glas schmelzenden Eiswürfeln verzichtet werden sollte.“

Nachdem wir uns nun drei mögliche Verwendungen recht Bar-bekannter Weine genauer angeschaut haben, lohnt sich noch ein kurzer, aber Wirkung erzeugender Blick auf außergewöhnlichere Weintypen. Der Erste ist ein Süßwein, genauer gesagt eine Beerenauslese, welche ab und an in Hotelbars oder Restaurant-Bar-Konzepten die Karte ziert und diese alleine schon durch ihren verheißungsvollen Namen aufwertet. Damit ein solcher, in kleinen Gläsern und ebensolchen Schlucken genossener Dessertwein, nicht doch irgendwann kippt, kann man ihn auch einfach kippen – und zwar in einen Drink. Denn die süße, fruchtige Beerenauslese, die zuweilen mit Honig- oder Vanille-Noten dem Gaumen und der Seele schmeichelt, bringt Exotik in jeden so einfachen wie trockenen Gin & Tonic. Der Aha-Effekt wird dabei noch verstärkt, wenn die Auslese als Eiswürfel hinzugefügt wird und so durch das zeitbedingte Dahinschmelzen den Longdrink spannungsvoll verändert, anstatt denselben zu verwässern. Wein in Cocktails 2.0, wenn man so will.

Wer braucht da noch einen Sprizz?

Und – wenn wir schon bei Longdrinks und Süßwein sind – auch Klaus St. Rainer wird diesen Frühling einen weinbasierten Drink auf die sonnenbeschienene Terrasse der Goldenen Bar und in die Gläser seiner Gäste bringen: „Wir vertreten eine ‚No-Sprizz-Policy‘, da wir unseren Gästen etwas Besseres als Alternative anbieten wollen. Deshalb wird es bei uns dieses Jahr einen Aperitif aus einem burgenländischen, restsüßen Demeter-Roséwein geben, der mit einem trockenen Tonic aufgegossen und mit einer Zitronenzeste auf Eis serviert wird. Damit hat man ein ehrliches, sogar natürliches Produkt im Glas, das völlig ohne künstlichen Zucker auskommt.“

Doch nicht nur bei seiner aktuellen Frühlingskarte experimentiert der erfahrene Bartender mit dem Rebensaft, sondern er begann bereits vor 15 Jahren damit, restsüße Weine als Ersatz für den mit künstlichem Zucker versetzen Wermut zu verwenden, um die Qualität der servierten Cocktails zu steigern: „Gerade bei einem Martini kann man durch eine Spätlese als Wermut-Ersatz und ein paar Dashes Bitters für die Würze hochwertige und verhältnismäßig gesunde Ergebnisse erzielen.“

Zurück zur Natur

Neben Auslesen und Spätlesen findet man seit einiger Zeit auch einen anderen Wein-Exoten im Handel, welcher zwar gerade in aller Munde ist, jedoch aufgrund seiner geringen Haltbarkeit eine schwierige Flaschen-Zier in cocktaillastigen Bars darstellt. Die Rede ist von „Orange Wine“ oder „Naturwein“, bei dessen Herstellung die ganzen Weißweintrauben – und manchmal auch die Stiele – ohne Filtrierung auf der Maische stehen gelassen werden. Durch dieses, eigentlich dem Rotwein vorbehaltene, Prozedere bekommt der Weißwein nicht nur seine orangene Farbe, sondern auch hefige, mostige, leicht oxidative Aromen, welche an überreife Äpfel oder Pfirsiche erinnern und dem Wein eine ähnliche Saftigkeit verliehen, wie man es von einer sommerlich-prickelnden Apfelsaftschorle kennt. Einen solchen Wein glasweise in der Bar anbieten zu können ist schon ein echter Gewinn – einem Drink allerdings verhilft der orangene Tropfen zu einer zungenschnalzenden Süffigkeit, welche einem das Wasser im Munde zusammen laufen lässt und den Trinkfluss angenehm anregt. „Einen solchen Orange Wine kombiniere ich für eine 20th Century-Variante gerne mit Old Tom Gin, Kakaobrand und einem Verjus Cordial, wobei eine gedörrte und mit Kardamom aromatisierte Traube dem Ganzen noch einen extra Aromakick gibt“, weiß Motejzik.

Weiß, rot, rosé, orange oder eine beerige Auslese – Wein kann mehr sein als lediglich eine Alternative zu Drinks. Die Scheu, diesen komplexen Traubensaft nicht nur als Essensbegleiter einzusetzen, sondern ihn auch als bereichernde Ingredienz am Brett und als Ergänzung zu hochprozentigen Spirituosen anzusehen, sollte nach diesen Beobachtungen eigentlich auf der Hand oder vielmehr im Shaker liegen. Wobei gerade die vinophile Vielfalt an Rebsorten, Regionen und Farben einen findigen Bartender dazu reizen könnte, auszuprobieren, was alles möglich ist und wie viel weinsinnige Erkenntnisse noch zu erlangen sind. Aber warum nicht einfach anfangen und bei der nächsten Schicht die angebrochene Flasche Riesling zu neuem, liquidem Leben im Rührglas verhelfen? Denn in vino veritas und: rein mit dem Wein!

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