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Bars und die Gentrifizierung in München.

Mit großen Erwartungen startete im Frühjahr 2013 die Münchner Bar Gamsei von Impresario Matthew Bax. Regional und experimentell sollte es zugehen.
Ein Showroom und ein Labor der Cocktailkunst war die Intention. Jetzt ist schon wieder Schluss. Offensichtlich hat man sich gründlich missverstanden – die Bar und ihr Publikum. Ein Beispiel unter vielen.
München leuchtet nicht mehr, es lodert zwar noch, aber an manchen Stellen ist die Asche bereits erkaltet. Der Ausspruch “München leuchtete” geht auf Thomas Mann zurück und hat sich von seinem ironischen Unterton in die Charakterisierung des Stolzes auf sich selbst und die Stadt gewandelt. München selbst wandelt sich, hat sich tiefgreifend verändert. Das ist nichts besonderes, es ist ein weltweites Phänomen, das sich in beinahe allen Metropolen beobachten lässt. Daher eignet sich das Thema mit dem wir uns heute befassen als Matrix für eine kurze Erzählung aus der Welt der Bars.
Gamsei vorbei
Diese Woche haben wir auf MIXOLOGY ONLINE eine Meldung veröffentlicht, dass eines der ambitioniertesten Barprojekte der Stadt, das Gamsei des umtriebigen Künstlers und Bartenders Matthew Bax, ausgezeichnet mit den MIXOLOGY BAR AWARDS 2014 für die beste Barkarte, bereits nach nicht einmal einem Jahr den Betrieb einstellt. Selbst spricht man von einem Umzug. Das darf bezweifelt werden, Fakt ist, dass das Konzept in München nicht funktioniert hat, wie so viele. Ein Scheitern. Ein Projekt, das wie Ikarus hoch fliegen wollte, dann aber ungebremst fiel, nachdem es der Sonne zu nahe kommen wollte. Ein paar Überlegungen eines Außenstehenden, Münchners und Gastes über die möglichen Ursachen .
Zur falschen Zeit am falschen Ort
Sie ahnen es schon, es geht unter anderem um Gentrifizierung und die Auswirkungen auf die Gentrifizierer. Wir haben hier schon darüber berichtet, aber diesmal soll es nicht nur um die Nöte der Verdrängten gehen, sondern auch um diejenigen, die versuchen die entstandenen Lücken zu schließen oder neu zu beleben und nicht erfolgreich sind.
Ein anschauliches Beispiel ist der krachend gescheiterte Millionenfreß- und Spaßtempel Goya in Berlin, der deutschen Stadt mit der größten Gentrifizierung seit dem Mauerfall. Der Zusammenbruch nach wenigen Monaten hat eine Menge Leute ruiniert. Warum? Neben vielen Managementfehlern passte die Idee ins Moskau der zeigefreudigen Reichen oder nach München, nicht aber ins schmuddelige Berlin und schon gar nicht ins linke, bürgerliche, szenige nicht gentrifizierte Schöneberg. Ein Raumschiff auf einem völlig fremden Planeten.
Doch zurück nach München. Dass dort die Mieten astronomisch sind, ist bekannt. Immobilien sind längst zum Spekulations- und Anlageobjekt in Zeiten der Finanzkrise und Niedrigzinsen geworden. Häuser stehen halb leer, obwohl alle Wohnungen verkauft sind. Kommt die Feuerwehr wegen eines Brandes, löscht sie seelenloses Betongold. Gutverdiener ziehen in die In-Bezirke wie das Glockenbach– oder das Gärtnerplatzviertel. Gewachsene Kieze gibt es kaum. Das macht es für Barbetreiber schwer, da es keine konstante und heterogene Publikumsstruktur gibt. Marco Beier, MIXOLOGY-Autor und Bartender im Münchner Padres berichtet: „Wir haben zwar immer noch unsere Stammgäste, aber im Gegensatz zu früher wandert ein Teil der Gäste bereits gegen zwei Uhr ab in die umliegenden Clubs, die sich hier in der Gegend angesiedelt haben, nachdem sie woanders vertrieben wurden. Die Szene kanibalisiert sich ein wenig durch den räumlichen Druck.“
Benchmark Schumann´s
Aber es gibt noch mehr Probleme. Der wohl meistbegangene Fehler dabei ist ein ambitioniertes Konzept, brillant ausgeklügelt und innovativ – nur gemacht für die falsche Stadt, oder den falschen Zeitpunkt. Oder die Preisgestaltung. In München gibt es für Bars eine Benchmark. Wer teurer als Schumann´s ist, der hat es schwer. Das verstehen die Leute nicht. Wer zu verkopft und nerdbasiert an seinem Angebot feilt, der verkennt die Münchner Mentalität, der noch immer das bierige, volkstümliche und gemütliche innewohnt – bei aller Sympathie für den Luxus. Die Wohlsituierten gehen eben da hin, wo ihresgleichen schon seit Jahrzehnten immer hingehen und wo sie unter sich sind. Sehen und gesehen werden und nicht der Cocktail aus dem Jahr 1832 ist deren Kriterium.
Stefan Gabányi, Ethnologe, Autor und Betreiber der Bar Gabányi sieht das ähnlich. „Die Gentrifizierer, die irgendwelche Viertel kapern, gehen dort nicht unbedingt auch aus, das muss man bei einer Bareröffnung bedenken. Oder manche Viertel sind noch nicht genug gentrifiziert für eine hochpreisige Bar.“ Möglicherweise war das auch der Hauptfehler des Gamsei. Zu wenig Bar, zu viel Inszenierung. Vielleicht hätte es nach Berlin gepasst. Dort liebt man zwar den Trash, hat aber immer auch ein Interesse für das Experimentelle. Das mag man in München im Theater, nicht aber in einer Stadt die für die Erhaltung ihrer Stüberl und Boazen kämpft. In jüngster Zeit hat es beispielsweise auch das Traditionslokal Trachtenvogl erwischt. Die Gentrifizierungsrandalierer und Spießer haben es kleingeklagt. Die nächtliche Sause ist nun verboten, 22 Uhr ist das Licht aus. Das ist eben die andere Seite des Prozesses und die kalte Asche einer sich wandelnden Stadt.
Bildquelle: Quelle East Side Gallery Via Shutterstock

Comments (3)

  • Joerg Meyer

    Ich hatte ja ein wenig gehofft, das das ehrenwerte Mixology Magazin spätestens in 2014 ohne die Lieblingsvokabel der Hobby-Soziologen: “Gentrifizierung”, auskommt. Nun denn ….
    Gentrifizierung ist überstrapaziert und kann nicht für alles herhalten.
    Matthew Bax hat seit Jahren weltweit großes und außergewöhnliches in der Bar Branche geleistet.
    Er und seine Projekte sind eine wie ich finde ” komplexe” und interessante Geschichte. Der Artikel hingehen ist für meinen Geschmack ein wenig oberflächlich zusammengeschustert und wird Ihm und seinen Ideen nicht gerecht …
    Schade.
    Mit besten Grüßen
    Jörg Meyer

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  • Matthew Bax

    Firstly, thanks you Joerg for your continued support.
    Those close to me know the “real” reason why Gamsei is relocating. Its a shame people review our efforts as a failure. I myself, are extremely proud of what my team has achieved. I thought it would take much longer to bring our drinks to an acceptable level with the constraints we placed upon ourselves.
    After Der Raum & Tippling Club I’m no stranger to the challenges of new ideas, one year was not enough time. Der Raum took 5 years to reach something like a normal income. It’s with total regret that I needed to close the Munich operation but it had nothing to do with business performance.
    Its much easier swimming downstream. I hope others bringing new ideas to Germany are not judged so harshly.
    In closing, I would again like to extend my heartfelt thanks to all of those who did support us, it made the adventure absolutely worthwhile.
    Matthew Bax

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  • Lieber Herr Meyer, lieber Jörg,
    schön mal wieder von Dir zu hören. Deine Abneigung gegen den Begriff Gentrifizierung kann ich verstehen. Nur ist es nun einmal ein allgemein akzeptierter stadtsoziologischer Fachbegriff, der inzwischen Eingang in die Umgangsssprache gefunden hat, um Veränderungen und Verdrängungen in Metropolen zu definieren. Und ob ehrenwert oder nicht, er hat nicht weniger eine Berechtigung wie andere Termini, um Dinge zu beschreiben. Nicht weniger wie: Barrel Aged Cocktail, Speak Easy oder Klimaerwärmung und Globalisierung.
    Fakt ist, dass sich durch dieses Phänomen urbane Räume nicht immer zu ihrem Vorteil verändern. Darauf weist der Artikel hin. Er weist auch darauf hin, dass das die Planbarkeit gastronomischer Konzepte schwierig macht. Oder bestehende bedroht. Aber es gibt noch andere Gründe und damit kommen wir zu dem, über das Du Dich wohl am meisten geärgert hast: Das Hinterfragen des Konzeptes des Gamsei.
    Obwohl es eigentlich überfüssig ist, sei es gerne noch einmal erwähnt. Dass sich Matthew Bax bei MIXOLOGY größter Wertschätzung sicher sein kann, wird schon durch die ausführliche Berichterstattung (siehe Links im Artikel) dokumentiert. Selbst die Meldung über die Schließung leitet der Autor so ein: “Ein großes Experiment sollte es sein. Ein Konzept, das es in solch einer Form und so konsequent durchdacht wahrscheinlich noch nie gab. Das Gamsei in München setzte Maßstäbe in Sachen regionalen Denkens und ungewöhnlicher Arbeitstechniken.”
    Dieser Artikel nutzt das (bedauernswerte) Scheitern des Gamsei, um sich ein paar allgemeine Gedanken über gastronomische Konzepte in München zu machen. Vieles gäbe es dazu noch zu schreiben. Aber eines ist klar: das Gamsei und München haben nicht zusammen gefunden. Ich habe mich in den letzten Monaten mit vielen Fachleuten darüber unterhalten. Der Tenor war immer der Gleiche, stieß in diese Richtung.
    Ich hatte mich bei meinem Aufenthalt in München letzte Woche eigentlich auf einen Besuch im Gamsei gefreut, doch da war es überraschend bereits geschlossen. Ich bleibe dabei: Das Projekt Gamsei war zur falschen Zeit am falchen Ort. Das muss sich jeder überlegen, dem bei allen Erfolgen auch mal was misslingt. Autor eingeschlossen.
    Ich denke, das Gamsei ist gescheitert, weil das Konzept seiner Zeit voraus war – jedenfalls in München.
    Schade – aber auch ein Trost für die Zukunft.
    Gruß – Markus
    P.S.: @Matthew. I think, MIXOLOGY supported you as well!?

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