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[Live-Ticker] Cocktail Spirits 2016 & P(OUR) Symposium in Paris

In Paris findet zum neunten Mal die Fachmesse Cocktail Spirits statt und in ihrem Rahmen das Symposium P(OUR). MIXOLOGY-Herausgeber Helmut Adam und Chefredakteur Nils Wrage bieten interessierten Lesern einen Live-Blog vom Event. Für neue Nachrichten bitte nach unten scrollen!

Die Gründung der Barmesse Cocktail Spirits durch Thierry Daniel und Eric Fossard im Jahr 2008 begründete gleichzeitig auch den Wiederaufstieg von Paris zur Cocktailmetropole. Im Gegensatz zum Bar Convent Berlin, der sich zu Europas größter Fachmesse entwickelt hat, blieb die Cocktail Spirits im Boutique-Rahmen. Dafür machte sie jährlich mit einem hervorragenden Bühnenprogramm von sich Reden. Auf der “Bar Rouge” traten die führenden Barbetreiber aus New York, Sydney, London oder Hamburg auf und gaben Einblick in ihre Arbeit und die Herausforderungen des Bargeschäfts.

Ihre Nähe zur internationalen Barszene stellen die Veranstalter der Cocktail Spirits dieses Jahr erneut unter Beweis, indem sie neben dieser Bühne dem neuen Projekt einer Gruppierung enorm bekannter Barprofis ein neues Forum überlässt. Alex Kratena, Jörg Meyer und Jim Meehan trommelten die letzten Wochen auf allen verfügbaren Kanälen für ihr neues gemeinnütziges P(OUR)-Symposium. MIXOLOGY-Herausgeber Helmut Adam (HA) und Chefredakteur Nils Wrage (NW) sind vor Ort und werden die Vorträge mit einem Live-Blog in diesem Artikel verfolgen.


[19.6.2016 11:30 Uhr] Warm-Up mit guten Freunden

Paris heißt uns willkommen. Schon der Samstag Abend vor der Cocktail Spirits steht in den Bars der Stadt ganz im Zeichen der Bar Show. Barprominenz und lange Warteschlangen vor den gefragten Pariser Trinktempeln. Überall gibt es Shakehands und viele frohe Wiedersehen mit Protagonisten wie Greg Boehm, Vasilis Kyritsis, Ago Perrone. Ob im Mabel an der Bastille, Nico De Sotos brandneue Bar Danico in der Rue Vivienne, der mexikanophile Mezcaldauerbrenner Candelaria oder der Neo-Klassiker Little Red Door, der spät in der Nacht endlich Platz für uns bietet – was Anfang Oktober Berlin ist, stellt dieses Wochenende Paris für die Barszene dar: das Zentrum.

Die erste Frage, die wir uns bei dieser Reise stellen: Sind viele der Drinks, die in dieser Samstagnacht zu uns kommen, wirklich das, was Helmut gerne augenzwinkernd als “80-Prozent-Drink” bezeichnet? Bei den meisten Cocktails des Abends blieb jedenfalls ein leicht fader Beigeschmack – obwohl keine einzige der Hauskreationen unzufriedenstellend war, wirken doch viele Drinks trotz langer Entwicklungszeit der oft unheimlich aufwendig gestalteten Karten im Vergleich zur Inszenierung etwas unausgegoren und flach. Der Mezcal Sour im Candelaria hingegen wr über jeden Zweifel erhaben. Was meinen Sie dazu, liebe Leser? Sind Sie vielleicht auch gerade in Paris und haben ähnliche Erfahrungen gemacht? NW

[19.6.2016 12:56] Noch mehr Freunde!

Die Türen sind seit rund einer Stunde offen. Und wer Betty Kupsa in Sachen Tequila antreffen möchte, der liegt falsch: Die Grande Dame der deutschen Barszene steht bei der diesjährigen Messe am Stand des französischen Cognac-Verbandes BNIC. Beim P(OUR) Symposium sind es nur noch wenige Minuten bis zum ersten Vortrag von Alec Doherty über “Art & Beer”, der Champagner fließt bereits jetzt. Und wer Jörg Meyer zum ersten und wahrscheinlich letzten Mal mit Basecap zum perfekten Anzug sehen will, sollte schnell in den nächsten Flieger nach Paris steigen. NW

[19.6.2016 13:06] Ein ehrliches Wort von Alex Kratena

Ein interessantes Statement von Alex Kratena eröffnet das heiß erwartete P(our) Symposium: Die Artesian Bar, die unter seiner achtjährigen Leitung viermal in Folge als “World’s Best Bar” prämiert wurde, habe er im letzten Herbst verlassen, weil sie sich nicht mehr wie “sein” Projekt angefühlt habe. Eine spannende Stellungnahme, besonders, da der tschechische Wahl-Londoner bislang so gut wie nichts zu den Gründen seines Ausstiegs aus der Bar im Langham Hotel gesagt hatte. NW

[19.6.2016 14:55] Raum und Zeit mit Nico De Soto

Mit einem Pandan-Daiquiri in der Hand schreibt es sich gleich viel leichter. Wie stellt man sich als Bar auf den jeweiligen Ort und vor allem die Zeit ein? Mit welchen Features sorgt man für eine prägnante und nachvollziehbare Schwerpunktsetzung am eigenen Tresen? Diese Frage beantworteten Nico De Soto und Thibauld Mequignon, die nach ihrer Beteiligung an der Erfolgsgeschichte der Experimental Cocktail Clubs das New Yorker Mace und vor wenigen Tagen in Paris die Bar Danico entwickelt und eröffnet haben.

Thibauld Mequignon & Nico De Soto

Der Vortrag der beiden charismatischen Franzosen gab hochinteressante Einblicke in situativ und lokal abgestimmte Aspekte abstrakter Markenbildung für Bars. Welche Geschmäcker funktionieren wo? Welche Atmosphäre passt zu New York, aber nicht zu Paris? Und: Warum keine “Weihnachtsbar” in der Baustelle eröffnen, um im Januar die Einnahmen für den Ausbau des Mace zu nutzen? Besonders der Einblick in diese sagenhafte Erfolgsgeschichte der gemeinsam mit Cocktail Kingdom installierten “Miracle On 9th Street” – im ersten Jahr eine Bar, im zweiten Jahr vier Bars und in diesem Jahr 40 geplante Franchises – war ein bisheriger Höhepunkt der Cocktail Spirits 2016. NW

[19.6.2016 15:40] Nick Strangeway: Freizeit macht jeden Bartender besser!

Es waren zwei deutliche Thesen des Londoner Bar-Vordenkers Nick Strangeway in seinem Vortrag “The Cocktail Revolution Wasn’t Televised”. Erstens: Die heutige Bartender-Generation nimmt sich zu ernst und will zu schnell zu viel – wo früher zwei Jahre als Barback üblich waren, sind es heute oft nur noch wenige Monate. Zweitens: Ein Bartender braucht Freizeit, genauer gesagt: “Find somethings else. Everything outside bartending you talk and think about will make you a better bartender. Don’t spend your time on Facebook discussing and analysing the latest cocktail bitters.” Eine Ansage, die zwar nicht zum ersten Mal ertönt, aber in dieser Deutlichkeit selten gehört worden ist. Ein klares Signal und eine Erinnerung daran, dass auch ein Beruf, der mit einem Höchstmaß an Leidenschaft ausgeübt wird, nicht das komplette Leben dominieren darf. NW

[19.6.2016 17:01] Bars & Nachhaltigkeit – geht das gut?

“Begrenzte, wertvolle Ressourcen in 15-Dollar-Cocktails zu verarbeiten und dabei von einem ‘nachhaltigen’ Ansatz der eigenen Bar zu sprechen, ist in etwa so doppelzüngig, als würde man in Manhattan eine ‘lässige Cocktailbar’ eröffnen wollen” – dieser kraftvolle Satz stammt von Tracy Ging. Ging ist erfahrene Brand Managerin, die sich durch ein tiefes Wissen im Kaffeeanbau und dem Thema Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft auszeichnet.

Tracy Ging auf der P(our)-Bühne

In ihrem P(our)-Vortrag nimmt sie Bezug auf die Tendenz mancher Bars, die meinen, nachhaltig zu operieren. Einen scharfen Blick widmet sie zudem die Frage, ob die Kommunikation soziologischer, ethischer und nicht zuletzt politischer Konzepte gegenüber dem Gast dem Kontext “Bar” überhaupt angemessen ist – schließlich suchen doch die meisten Gäste eine Bar auf, um sich vom Alltag und ernsten Themen zu entspannen. Oder geht es letztendlich eher darum, das Gewissen des Barbetreibers und seiner Bartender zu befriedigen? Tracy Gings Vortrag gibt dem modernen Bartender vielleicht keine Antworten, stellt aber wichtige Fragen. NW

 

[19.6.2016 19:09] Bartender: Kümmert Euch um Euch selbst und nehmt den Job ernst!

“How to serve yourself and others” – so der Titel des Vortrags von niemand Geringerem als Jim Meehan, Gründer des PDT in New York und der Marke Banks Rum, die letztes Jahr an Bacardi verkauft wurde. Was braucht es, um heute als professioneller Bartender zu bestehen und eine Karriere zu meistern, die nicht mehr – wie früher – vier Jahre dauert, sondern 40 Jahre? Jim Meehan, wie immer ein Freund offener Worte, nimmt dabei kein Blatt vor den Mund und spricht einige wichtige Themen an, die die Industrie bewegen, aber oft tabuisiert sind: Warum muss man unbedingt immer bis um sechs Uhr morgens mit Saufen gehen, um “dazu” gehören zu dürfen? Haben nicht viele Menschen aus der Barszene auch Familie, Kinder und ein Unternehmen, um das sie sich kümmern müssen? Warum verkaufen sich so viele Meinungsmacher zu sehr an Spirituosenfirmen?

Jim Meehan (PDT) auf der P(our)-Bühne

Wie lange bleiben offener Sexismus und Drogenkonsum noch ein Standard in einer Branche, die nach außen für Toleranz und gesunden, maßvollen Genuss wirbt? Warum dürfen noch immer Angehörige der Szene auf die Bühne, obwohl bekannt ist, dass sie Frauen gegenüber gewalttätig sind oder waren? Noch immer gibt es zu viele Bartender, die ihren zu hohen Alkoholkonsum nicht nur nicht unter Kontrolle haben, sondern ihn auch noch glorifizieren oder als Teil des Berufs kommunizieren? Ist der “Free Shot” für einen Gast oft eigentlich nur ein Vorwand für den nächsten eigenen Drink? Die wenigen “Großen” Bartender, die ein hohes Alter erreichen, haben das nur geschafft, weil sie sich selbst immer wieder selbst diszipliniert haben, meint der Mann aus Portland. Jim Meehan stellt all diese Fragen und erntet dafür brausenden Applaus. Ob auch alle Applaudierenden seine Worte verinnerlichen?

[20.6.2016 12:27] Auf ein Neues

Eins vorweg: die MIXOLOGY-Delegation nach Paris wurde gestern Abend definitiv “glassified”. So die einschlägige Formulierung in Bartenderkreisen, wenn es um schmerzhafte Folgen eines späten Besuches im Glass geht. Doch das soll uns nicht davon abhalten, auch den zweiten Messetag zu begleiten. Nach einem Kaffee. Und noch einem Kaffee. Und vielleicht einem Konterbier. Oder einer Bloody Mary. Oder zweien, Und das, wo doch Jim Meehan gestern noch gesagt hat, dass man nicht immer bis zum Schluss mittrinken sollte! Egal, ein bisschen “Bartender” steckt wohl auch den Herren Adam und Wrage noch in den Knochen. NW

[20.6.2016 15:50] Gastgeber ohne Grenzen

Wie grenzenlos die Kunst des Gastgebertums ausgelebt und verstanden werden kann, das zeigte Corrado Bogni, seit 2008 Concierge im Londoner Connaught Hotel, in seinem Vortrag auf der P(our)-Stage. Wer bei Hosting und Service nur ans Buchen von Theaterkarten denkt, der liegt falsch: Ob Diamantentransfers per Flugzeug nach Hongkong oder da nächtliche Ausdrucken eines mehrere Tausend Seiten umfassenden Schriftsatzes – echte Hospitality kennt keine Grenzen und keinen Feierabend, wie Bogni deutlich machte. Das zeitliche Investment durch das Personal mag manchmal zunächst unverhältnismäßig scheinen, rentiert sich aber fast immer auf mittel- oder langfristiger Basis. Zwar wird wahrscheinlich niemals ein Bartender für seine Gäste Edelsteine um die Welt fliegen, aber wie Mario Kappes gestern Abend berichtete: Es geht im Kleinen los, wenn der Bartender nicht nur das Taxi für einen Gast ruft, sondern der Taxifahrer bei der Ankunft schon das Fahrtziel kennt und dort sogar schon ein Glas mit Eiswasser bereit steht. Cheers! NW

[20.6.2016 17:06] Eine Bar ohne Müll – geht das?

„Zero Waste“ an der Bar: Wunschtraum oder Unmöglichkeit. Generell hat das Gastgewerbe den Ruf, unverhältnismäßig viel Müll  zu produzieren. Der britische Koch Douglas McMaster, Betreiber des Silo-Café in Melbourne und der gleichnamigen Restaurants in Brighton gab in seinem Vortrag Anstöße und Ideen zur Realisierung seiner abfallfreien Gastronomien: Produkte werden ausschließlich vom Erzeuger bezogen und in selbstgefertigten Pfandbehältern transportiert. Verpackungen werden nicht akzeptiert.

Douglas McMaster auf der P(our)-Bühne

Alle organischen Abfälle werden vor Ort in einem Spezialgerät kompostiert und der fertige Kompost den Erzeugern der Produkte zur Verfügung gestellt. Auf diese Weise entsteht ein geschlossener, abfallfreier Kreislauf zwischen Restaurant und Erzeuger. Für die Bar ergibt sich jedoch das spezifische Problem, dass Spirituosen und die meisten anderen Getränke nur in Flaschen erhältlich sind. Daher ist das Silo in Punkto Wein dann auch nicht abfallfrei, wie McMaster einräumt: „Es gibt zwar Weine vom Fass, aber die Weine, die wir in Brighton vom Fass bekommen könnten, sind Schrott – also verursachen wir mit unseren Weinen eben doch Müll.“ Nichtsdestotrotz ist der Denkanstoß, gerade bezogen auf frische Zutaten, durchaus auch für die Bar interessant. NW

Credits

Foto: via Cocktail Spirits

Comments (2)

  • Finanzminister

    Ich vermisse ein wenig das Kürzel HA unter den Einträgen… 😉

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