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Craft Beer-Blase

Gibt es eine Craft Beer-Blase in Berlin?

Ambitioniert gestartet und bereits nach rund eineinhalb Jahren geschlossen. Das Ende der Bierbar The Pier kam überraschend. MIXOLOGY-Chefredakteur Nils Wrage und Herausgeber Helmut Adam nehmen das Scheitern des Bar-Projekts zum Anlass, den Puls der Berliner Craft-Szene zu fühlen und der Frage nachzugehen: Gibt es eine Craft Beer-Blase?.

Gestartet war The Pier als ambitioniertes Projekt. Der Macher und Geschäftsführer, Holger Groll, gelernter Koch und bekannter Bartender, hatte vorher mit einem Partner aus dem Stand die unkonventionell auftretende Barbecue-Schmiede Chicago Williams zu nahezu deutschlandweiter Bekanntheit geführt. The Pier sah von Aufmachung und Anspruch her ebenfalls so aus, als würde man gerne bald auf Skalierung setzen. Auf die baldige Eröffnung einer Bierbar in Berlin-Charlottenburg oder gar in Hamburg. Sich tagsüber als Deli den umliegenden Büros anbietend, sollte der 15 Hähne und zahllose Flaschenbiere bietende Tresen abends Craft Beer-Freunde anziehen.

Auch die Spirituosenindustrie ließ sich nicht lumpen und servierte dem neuen Projekt einen Teil des Tresenaufbaus samt Bourbon-Zapfanlage. Dazu kam als Bar Manager mit dem Kanadier Donald Burke eine der bekanntesten Gastronomiepersönlichkeiten der progressiven Berliner Bierszene. Im Hintergrund standen als Investoren und Partner schließlich noch Dolden Mädel-Impresario Oliver Reimann und der Nordmann-Konzern. Man konnte also von einem langen Atem für die ersten kritischen Monate ausgehen.

Opfer einer Craft Beer-Blase?

Bei den Besuchen von Redaktionsmitgliedern und MIXOLOGY-Autoren schien die Bar fast immer gut gefüllt. Aber auch die guten Konditionen im Einkauf der Ratsherrn-Biere aus der Nordmann-Gruppe, von denen stets vier bis fünf am Hahn waren, scheinen nicht für die Gewinnschwelle gereicht zu haben. Als Donald Burke die Bar knapp ein halbes Jahr nach Eröffnung verließ, kamen bereits Fragen in der Szene auf, ob sich das Konzept halten würde. Insider berichten nun, dass kürzlich zuerst das Deli geschlossen und schließlich Mitte Januar die Mitarbeiter mit drei Tagen Vorlauf vom Ende der Bar informiert wurden.

Trotz mehrfacher Nachfrage durch MIXOLOGY konnten wir leider bis Redaktionsschluss von Holger Groll keine persönliche Stellungnahme zu den Gründen für die Schließung erhalten. Dafür gab uns Oliver Reimann zwar keine Details zu den internen Gründen, aber eine allgemeine Einschätzung: „Es stimmt, es gab viel gutes Feedback zum The Pier, auch viele regelmäßige Gäste. Gleichzeitig muss man einfach ganz klar sagen: Die fanden es zwar schön im The Pier, kamen aber einfach in der Masse zu selten, um das Konzept wirtschaftlich am Leben zu erhalten.” Zudem spielt Reimann auch auf die Lage im Mikrokosmos Berlin-Mitte an: „Man kennt diesen Fall aus der Berliner Gastronomie und speziell aus Mitte zur Genüge – schon ein Unterschied von einem Häuserblock oder einer Ecke kann über Erfolg und Misserfolg zumindest mitentscheiden, ganz egal, wie gut eine Gastronomie an sich ist. Gerade in einem touristisch geprägten Stadtteil fällt so etwas stark ins Gewicht.”

Aber verlassen wir erst einmal den Stadtteil Mitte und betrachten die gesamte Bier-Metropole Berlin.

Der Berliner Bierbar-Boom

Fakt ist: Das Angebot an Craft Beer-Bars bzw. dezidierter Biergastronomien hat sich in Berlin innerhalb der letzten paar Jahre vervielfacht. Ausgehend von den Urschmieden wie dem Brauhaus Südstern, in dem Thorsten Schoppe seine ersten Sude unters Volk brachte, dem kultigen Hops & Barley in Friedrichshain, und nicht zu vergessen dem belgischen Bier-Mekka Herman durfte sich Berlin ab 2013 über eine regelrechte Welle an Craft Beer-Bar Eröffnungen freuen.


»DAS ANGEBOT AN CRAFT BEER-BARS HAT SICH IN BERLIN IN KURZER ZEIT VERVIELFACHT. DAS ÄNDERT AUCH DIE MECHANISMEN DES MARKTES.«


Nach einem erfolgreichen Crowdfunding eröffnete im Juli 2013 die Vagabund-Brauerei mit angeschlossenem Tresen und Gastraum. Schon bald aber musste man nicht mehr in die Weiten des Wedding aufbrechen, um spannende Hopfentropfen zu verkosten. Denn auch die Monterey Bar im Prenzlauer Berg drehte ihr Angebot in Richtung Bier. Försters Feine Biere eröffnete 2014 im Westen der Stadt eine Oase für deutsche Bierspezialitäten und das Kreuzberger Hopfenreich verkündete im selben Jahr stolz „Berlins erste Craft Beer Bar” zu sein. Mitte wiederum gewann das skandinavische Kaschk hinzu, das tagsüber als Café fungiert und abends vermehrt die Zapfhähne zischen lässt. Zunächst unbemerkt von den Bier-Jüngern, nahm gleichzeitig der Weddinger Castle Pub Craft-Tempo auf. Und der Grandseigneur der Berliner Mikrobrauereien, Oliver Lemke, legte ebenfalls nach und baute seine Ende der 90er gestarteten Brauhauskonzepte konsequent in Richtung experimenteller Biervielfalt aus.

Im Jahr 2015 schwappte die hopfige Welle schließlich mit der IPA Bar und dem Bergschloss der Berliner Berg-Brauerei nach Neukölln über. Und auch Friedrichshain bekam mit dem Brau-Bar-Konzept Straßenbräu Verstärkung. Nicht zu vergessen das Dolden Mädel nahe des Kreuzberger Victoriaparks. Aber auch das Jahr 2016 hatte es in sich. Italienische Brauer und Gastronomen eröffneten mit dem Birra in Prenzlauer Berg eine Botschaft für ihre fortgeschrittene Bierkultur. In Neukölln wiederum gingen Kanadier mit dem Muted Horn an den Start. Und auch die Schotten waren endlich soweit – die langersehnte Eröffnung der ersten deutschen BrewDog-Bar erfolgte in Berlin-Mitte. Den Paukenschlag aber lieferte natürlich das Mammutprojekt von Stone Brewing im fernen Mariendorf.

Auch 2017 verspricht spannend zu werden. Das gerade Mal zwei Jahre junge Bierprojekt Brlo feierte mit einem rauschenden Fest den Start seines Brwhouse und die hippe dänische Pioniermarke Mikkeller, in Deutschland im Vertrieb der mächtigen Radeberger-Gruppe, steht ebenfalls in den Startlöchern für eine eigene Gastronomie. Und als sei all das noch nicht genug, bieten auch immer mehr Cocktailbars ihren Gästen parallel ein reichhaltiges Angebot hervorragender Biere, allen voran die aktuelle Hotelbar des Jahres bei den MIXOLOGY BAR AWARDS 2017, die Bar am Steinplatz unter der Leitung von Christian Gentemann.

Bei all der Freude über die imposante Vitalität der hauptstädtischen Bierbar-Landschaft hört man jedoch schon seit einiger Zeit auch jene Stimmen, die mahnen, die Entwicklung könnte zu schnell vonstatten gehen, die Revolution also im wahrsten Sinne des Wortes ihre Kinder fressen, oder besser “ertränken”. Wie viele neue Bierbrunnen verträgt ein vergleichsweise immer noch kleiner Markt innerhalb so kurzer Zeit? Auch das von tendenziell offenen Expats und anderen Genussmenschen geprägte Berlin stößt irgendwo an seine Grenzen. Klar ist, mag man einwenden, dass ein junges Segment sich grundsätzlich aufbläht, bis nach einer Phase des Aussterbens Stabilität eintritt. Dennoch muss die Frage nach den Symptomen und Gründen erlaubt sein, auch nach der Frage, ob ein Überangebot bereits erreicht ist, oder ob Schließungen momentan eher noch im Einzelfall begründet liegen – auch dies ein aus Gastrokreisen nunmal altbekanntes Szenario.

Bier ist kein Selbstzweck

„Eine Sättigung oder gar eine ‘Blase’ sehe ich in der Biergastronomie Berlins definitiv nicht”, meint Reimann, dessen Dolden Mädel in Kreuzberg als „kleine Schwester” des Alten Mädchen in Hamburg nach seinen Angaben hervorragend läuft. „Ich denke aber, dass es seitens der Gastronomen und auch der Craft-Szene allmählich ein Umdenken in Bezug darauf geben muss, wie man die Konsumenten für hochwertige Biere begeistert. Die Masse der Menschen geht nicht nur für gutes Bier aus. Man kann sich nicht einfach ‘nackig’ hinstellen und nur Craft Beer anbieten.” Damit meint Reimann vor allem, dass es „fatal wäre, zu denken, die Fülle an mittlerweile bestehenden Gastronomien mit gutem Bier könnte nur aus der Craft-Szene heraus existieren!”


»BIER-GASTRONOMEN MÜSSEN SO AN DIE MENSCHEN HERANTRETEN, DASS DIESE AUCH ABSEITS VOM THEMA CRAFT BEER EINEN GRUND ZUM KOMMEN HABEN.« –Oliver Reimann


War nun der Grund für das Scheitern von The Pier ein Überangebot an Craft Beer-Bars in Berlin? Es sieht eher so aus, als seien die Ursachen hausgemacht gewesen. Eine Kombination aus hohen Mieten, fordernder Lage, baulichen Verzögerungen und einem eben sehr spezifischem Angebot. Ein Gastronom, der selbst ungenannt bleiben möchte, gab gegenüber MIXOLOGY zu Protokoll: „Legt man die üblichen Mieten und sonstigen Kosten vor Ort zugrunde und wirft einen Blick auf die restlichen Parameter, gehe ich davon aus, dass das Unternehmen schon in den ersten Monaten einen fünfstelligen Verlust eingefahren haben muss.” Durch den Verzug bei der Eröffnung sei die Bar zudem von Anfang an in einer erhöhten wirtschaftlichen Bringschuld gewesen.

Wohlfühlen statt Nerdtum

Vor drei, vier Jahren trat man als Berliner Bierliebhaber noch gerne den Weg in andere Stadtteile an, um in den Genuss guter Tropfen zu kommen. Mittlerweile ist das nicht mehr nötig, denn die nächste Craft Beer-Bar liegt häufig gleich um die Ecke. „Heutzutage ist es für Gastronomien mit Bier-Schwerpunkt bereits sehr wichtig, so an die nicht zur Szene gehörigen Konsumenten heranzutreten, dass auch abseits des Bier-Angebots ein Mehrwert entsteht, ein Impuls für die Menschen, zu kommen”, bringt Reimann es auf den Punkt.

Die Wege dahin seien vielfältig: „Dieser Impuls kann über Essen gesetzt werden, aber auch durch eine klare Einbettung in die Nachbarschaft und ihre Mechanismen. Oder gar über eine Einrichtung, die den Menschen signalisiert: Hier kann ich mich wohlfühlen. Die Begeisterung für Bier kann dann ausgelöst werden – man darf aber als Gastronom nie unterschätzen, dass das Thema ‘kreatives Bier’ für viele ‘normale’ Gäste bei der ersten, oft zufälligen Berührung eher sekundär ist. Bei der zweiten oder dritten dann vielleicht schon nicht mehr.”

So lässt sich abschließend für The Pier wohl sagen, dass die Bar trotz ihrer Lage abseits der Nachtschwärmerwege bei Eröffnung im Jahr 2013 möglicherweise zum Hotspot der Szene hätte avancieren können. Mitte 2015 hingegen war das Angebot an reinen Fach-Bierbars bereits sehr groß, und zwar an wesentlich attraktiveren Orten. Das vergrößerte Angebot in Berlin kann nicht allein für das Ende verantwortlich gemacht werden – ein zu unterschätzender Faktor ist es aber ebenfalls nicht. Denn obwohl es eindeutig noch zu früh ist, von einer Craft Beer-Blase in Berlin zu sprechen, muss man doch Folgendes konstatieren: Gerade für die hochspezialisierten, auf die Kenner der Szene schauenden Konzepte, wird die Luft bereits, wie wiederum in jeder sich entwickelnden Branche, dünner. Bars, die im Jahr 2017 einzig auf Craft Beer als Alleinstellungsmerkmal setzen, müssen sich darüber im Klaren sein, dass ihre Sub-Nische bereits gut gefüllt ist. Die Revolution frisst ihre Kinder noch nicht. Aber es ist ein Nebeneffekt der allmählichen Verbreitung guten Bieres, dass sie anfängt, an ihnen zu knabbern.

Credits

Foto: Foto via Credit Metro Goldwyn Mayer. Post: Tim Klöcker.

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