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Bier subversiv: Der Marsch durch die Institutionen

Während der deutsche Bierkonsum seit sieben Jahren sinkt, bleibt Österreich mit seinen konstant 106,4 Litern pro Kopf Vize-Weltmeister. Dazu kommt ein neues Qualitätsdenken der Austro-Großbrauereien das sich den Anstößen und dem Erfolg der alpenrepublikanischen Craft Beer-Szene verdankt.
Dazu sei ein Exkurs zum österreichischen Biermarkt gestattet, dem wie erwähnt nach Tschechien zweitgrößte Pro Kopf-Verbrauch. Mit 4,795.000 Hektolitern Jahresproduktion sind die Marken der Heineken-Tochter Brau Union (u. a. Gösser, Zipfer, Schwechater, Wieselburger und Puntigamer) Marktführer. Und das so eindeutig, dass alle anderen 192 Brauereien zusammen diese Menge nicht erreichen. Den weitaus größten Teil davon allerdings machen Märzen-Biere aus, also leichte unkomplizierte Abfüllungen, die nach wie vor die Gastrolandschaft dominieren.
Marktverdrängung und neue Produkte
Dahinter folgen mit 11% Marktanteil die größte Privatbrauerei Stiegl/Salzburg mit einer knappen Million Hektoliter Ausstoß und die letzte Wiener Großbrauerei Ottakringer mit rund acht Prozent (oder 614.000 Hektolitern). Den Mittelbau, der gemeinsam ein Zehntel der Austro-Biere stellt, bildet die Vereinigung der neun „Culturbrauer“. Damit genug der Zahlenspiele, die vor allem eines zeigen: Wachstum funktioniert nur mehr über Verdrängung und/oder neue Produkte.
Biere für Papst-Gattin
In einem umkämpften Markt zählen Innovationen natürlich doppelt. Und als solche stellen die Manufaktur-Biere ein geschmackliches Angebot auch für jene dar, die bisher um Bier einen Bogen machen. Sei es aus Snobismus dem „proletarischen“ Getränk gegenüber oder aus Abscheu vor belanglosen Industriebieren ohne (geschmackliche) Kanten. Diese auch in vielen Bars nachvollziehbare These stellte Bierpapst Conrad Seidl beim „Craft Beer Symposium“ auf. Der Papst, um diese Pointe nicht liegen zu lassen, führte als Beispiel für eine neu gewonnene Biertrinkerin seine Gattin an.
Genau diese Chance sehen auch die Großbrauereien in der plötzlichen Zuwendung zum Handwerksbier, wie man das Craft Beer gerne eindeutscht. Einen Vorgeschmack geben die ersten 200 Liter aus dem Ottakringer „Brauwerk“, der kurz vor der Fertigstellung stehenden Entwicklungsstätte für Spezialitätenbiere. Ohne Umschweife nennt es Christiane Wenckheim, Chefin der Ottakringer Brauerei, „unsere Antwort auf den internationalen Trend in Richtung Craft Beer“. Mit der ersten Kostprobe von Braumeister Martin Simions wurde die Neugierde angeheizt. Der mit Simcoe-Hopfen aromatisierte Versuchssud duftet geradezu aberwitzig nach Maracuja, weist dabei eine schöne Rezenz und bemerkenswerte Cremigkeit auf, vor allem aber wurde die Bittere im Abgang dezent gehalten. Das Kunststück: Die typische Farbe des Wiener Traditionsbiers („Goldfassl“ heißt eine Marke nicht zu unrecht) blieb erhalten, man zeigt sich kreativ auf der Höhe der Zeit, ohne Stammverwender zu sehr zu verschrecken.
Kraut-Mann und Fasslagerung
Die österreichische Nummer 2 Stiegl leistet sich bereits seit einigen Jahren eine Kreativbrauerei, wie die Salzburger das Reich von Braumeister Markus Trinker (sic!) nennen. Als Limited Editions kommen die so genannten Monatsbiere auf den Markt. Mit Wiesenkräutern oder Schokolade aromatisiert, tragen sie Namen wie „Wildshuter Sortenspiel“ und „Männerschokolade“. Bis Juni wird die „Gmahde Wiesn“ (hochdeutsch: Gemähte Wiese) serviert, ein Kräuterbier mit Zitronenmelisse, Koriander und Schafgabe. Zusätzliche „street credibility“ bringt die Zusammenarbeit mit Johannes Guttmann, dem Gründer des auch in München aktiven Kräuter-Imperiums „Sonnentor“. Der grüßt gern mit „Halleluja“ und tritt stets mit Lederhose und T-Shirt auf.
Den Trend zur Fasslagerung griff man im Vorjahr ebenfalls auf: Whisky-, Cognac-, Sherry- und Eichenfässer veredeln momentan die Jahrgangsbiere der Salzburger, das erste wurde mit dem „Sonnenkönig“ Ende 2013 vorgestellt. Mit einer Wiederbelebung der Wiener Außenstelle „Stiegl Ambulanz“ kommt eine weitere Kleinbrauerei in der Hauptstadt dazu. In diesem Jahr sollen in dem von Susanne und Heinz Pollischansky betriebenen Braugasthaus drei Bierspezialitäten entstehen, ein „Wiener Lager“, mit dem der jährlich erscheinende „Bier Guide 2014“ begossen wurde, macht den Anfang.
Kärntner Kollaboration
Die im Besitz der Familien Matchett-Krenn und Möller stehende Brauerei Hirt im südlichsten Bundesland Kärnten besteht seit 1270 und gehört den „Culturbrauern“ an. Auch hier läuft die Versuchsanlage auf Hochtouren; Geschäftsführer Dr. Klaus Möllers Inspiration dazu kommt vom anderen Ende der Welt. Der Neuseeland-Reisende lernte bei einer seiner sechswöchigen Touren auch Mike’s Brewery  in Taranaki bzw. deren Braumeister Ron Trigg kennen. Die Freundschaft – beim Bier schnell geschlossen – überdauerte die erste Verkostung des Whisky-Stouts und heuer kommt die Kärntner Version auf den Markt.
Die 500 Flaschen, die Möller von seinem neuen Lieblingsbier erwartet, fallen angesichts der 150.000 Hektoliter von Hirter nicht wirklich ins Gewicht. Sie sind aber nur ein Anfang. Braumeister Ron Trigg hat das „Beerique“ als so genanntes Collaboration Brew (=Zusammenarbeit zweier Bierbrauer) gemeinsam mit Roland Winter in Hirt eingebraut. Im Herbst wird der dann nach Neuseeland geschickt, denn 2015 träumt der leidenschaftliche Pilot Möller bereits von einem neuen Bier mit Aromahopfen von der Nordinsel.
Craft Beer scheint mehr zu sein als ein hopfen-betriebenes Strohfeuer. Es ist auf dem Weg zum Mainstream.

Credits

Foto: Männer via Shutterstock. Postproduktion: Tim Klöcker

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